Der Sohn des Pfarrers Johann Rudolf Osiander (1717–1801) hatte die Schulen in Kirchheim unter Teck und 1773–75 die evangelische Klosterschule in Denkendorf (Württemberg) besucht. Ab 1776 studierte er Medizin an der Universität Tübingen und promovierte dort 1779 mit einer Dissertation über die Heilquelle von Owen mit De fonte medicato Owensi (Tübingen 1779) zum Doktor der Medizin. Danach ging er ein halbes Jahr nach Straßburg, um sich praktisch fortzubilden, u. a. in Geburtshilfe. Anschließend ließ er sich 1779 als Arzt und Geburtshelfer in Kirchheim unter Teck nieder. Ein Mäzen ermöglichte ihm 1781/82 einen Fortbildungsaufenthalt beim Hofrat G. W. Stein an der Entbindungsanstalt in Kassel. Dort sammelte er umfangreiche Erfahrungen in der Geburtshilfe und lernte die Geburtszange anzuwenden. Danach setzte er seine Praxis in Kirchheim unter Teck fort. 1787 trat er als medizinischer Autor hervor mit dem Buch Beobachtungen, Abhandlungen und Nachrichten, welche vorzüglich Krankheiten der Frauenzimmer und Kinder und die Entbindungswissenschaft betreffen (Tübingen 1787).
Von 1792 bis zu seinem Tod 1822 war Osiander Professor der Medizin und Direktor des Entbindungshospitals (Accouchierhaus) in Göttingen. 1804 wurde er zum ordentlichen Mitglied der Göttinger Akademie der Wissenschaften gewählt.[1] 1805 wurde er zum Hofrat ernannt. Osiander war als Autor, Lehrer und Praktiker einer der profiliertesten deutschen Geburtshelfer seiner Zeit. Er trat als Vorkämpfer der operativen Geburtshilfe und entschiedener Befürworter der Geburtszange auf; dagegen lehnte er Operationen ab, die das Leben des Kindes opferten, um die Mutter zu retten. Unter Osianders Leitung wurden im Göttinger Entbindungshospital 40 % aller Entbindungen mit der Zange durchgeführt. Damit war er Gegenspieler von Johann Lukas Boër in Wien, der sich für eine „natürliche Geburtshilfe“ einsetzte.
Osiander heiratete am 26. Januar 1786 in Kirchheim unter Teck Friederike Charlotte Weber (22. Juli 1765 – 19. August 1827), die Tochter des Bürgermeisters von Cannstatt Johann David Weber. In der Ehe wurden vier Kinder geboren:
Johann Friedrich Osiander (* 2. Februar 1787 in Kirchheim unter Teck; † 10. Februar 1855 in Göttingen), Prof. der Medizin in Göttingen
Christian Friedrich Osiander (* 22. Februar 1789 in Kirchheim unter Teck; † 24. September 1839 in Tübingen) Buchhändler in Tübingen, verh. in Tübingen am 2. Mai 1813 mit Caroline, Tochter des Tübinger Buchhändlers Jacob Friedrich Heerbrandt
Christiane Friederike Osiander (* 27. Januar 1793), verh. 1815 mit dem Juristen Sophus Schmidt
Abhandlung von dem Nutzen und der Bequemlichkeit eines Steinischen Geburtsstuhls; Geburtshelfern, Hebammen und Gebährenden zur Belehrung. Tübingen 1790 (eigentl. 1789) Mit 2 Kupf.
Prog. De causa insertionis placentae in uteri orificium, ex novis circa generationem humanam observationibus et hypothesibus declarata. Göttingen 1792
Prog. Das Neueste aus meiner Göttingischen Praxis. Göttingen 1793
Abhandlung über das vortheilhafteste Aufbewahren thierischer Körper in Weingeist. Mit Zusätzen vom Hrn. Hofrath Soemmerring. Göttingen 1793
Denkwürdigkeiten. für die Heilkunde und Geburtshülfe, aus den Tagebüchern der königlichen praktischen Anstalten zu Erlernung dieser Wissenschaften in Göttingen ausgehoben. Bd. 1, Teil 1 – 2. Mit Kupfern, Göttingen 1794, Bd. 2, Teil 1 – 2. Mit 8 Kupfern, Göttingen 1795
Krankengeschichte einer Frauensperson, welche verschiedene Insekten, Larven und Würmer durch Erbrechen und Stuhlgang von sich gab. Aus dem ersten Bande seiner Denkwürdigkeiten für die Heilkunde ausgehoben. Mit einem Kupfer, Göttingen 1794
Kurze Uebersicht der Vorfälle in dem königl. Entbindungshospital auf der Georg-Augustus-Universität zu Göttingen von 1. Oktober 1794 bis den 23. März 1795, am Schlusse des Winterhalbenjahres seinen Zuhörern zum Andenken mitgetheilt. Göttingen 1795
Tabellarisches Verzeichnis aller in der königl. Entbindungsanstalt zu Göttingen seit ihrer Einrichtung am Ende des Jahrs 1751 bis zum Ende des Jahres 1762 vorgefallenen Geburten, nebst ihrem Erfolg für Mutter und Kind. Ausgezogen aus den Tagebüchern des seel. Prof. Roederer. Göttingen 1795
Lehrbuch der Hebammenkunst sowohl zum Unterricht angehender Hebammen als zum Lesebuch für jede Mutter. Göttingen 1796, Mit 2 Kupfertafeln.
Kurze Nachricht von der Entstehung und Einrichtung der Gesellschaft von Freunden der Entbindungswissenschaft. Göttingen 1796
Erinnerungen an Polizeyen, Aerzte und Hausväter Viehseuchen betreffend zur Verhütung nachtheiliger Folgen für die Menschen, zur Verwahrung des gefundenen und Rettung des kranken Viehes. Göttingen 1796
Ist es räthlich, den Wasserkopf zu öffnen oder nicht? In: Elbens Schwäbische Chronik 1788
Geschichte einer Harnverhaltung von scirrhöser Vorhaut. In: Museum der Heilkunde Bd. 2 1794
Historia partus nanae, versionis negotio a fostu vivo feliciter liberatae, in concessu artis obstetriciae amantium praslecta d. 18. Febr. 1797. Göttingen 1797
Neue Denkwürdigkeiten für Ärzte und Geburtshelfer. Bd. 1, Teil 1. Mit 4 Kupfern, Göttingen 1797; Teil 2. Mit Kupfern, Göttingen 1798
Lehrbuch der Entbindungskunst. 1. Teil: Litterarische und pragmatische Geschichte dieser Kunst. Göttingen 1799
Annalen der Entbindungs-Lehranstalt auf der Universität zu Göttingen; nebst einer Anzeige und Beurtheilung neuer Schriften für Geburtshelfer. 2 Bände in 4, Göttingen 1800–1804
Grundriss der Entbindungskunst, zum Leitfaden bei seinen Vorlesungen, 2 Bände, Göttingen 1802.
Merkwürdige Geschichte einer seltenen Hodengeschwulst. In: Arnemanns Magazin für die Wundarzneywissenschaft 1798
Urtheil über die vorgebliche leichte Möglichkeit der Blatternausrottung in Europa; nebst einer Erinnerung an die Aerzte der gegenwärtigen Zeit, und der Uebersetzung eines französischcn Briefes von Voltaire über diesen Gegenstand, zur Beherzigung der an Ausführbarkeit der Ausrottung Glaubenden und Nichtglaubenden. In: Hannoversches Magazin 1798, St. 78 u. 79
Von dem officinellen Fieberrinden Baum und den andern Arten desselben, die neuerlich Hippolytus Ruiz entdeckte und beschrieb; zuerst aus dem Spanischen ins Italienische und aus diesem ins Teutsche übersetzt. Göttingen 1794
Zweyte Nachrieht von den Verhandlungen der Gesellschaft von Freunden der Entbindungskunst zu Göttingen, vom April 1796 bis dahin 1798. Göttingen 1798
Nachricht von der Entstehung und dem gegenwärtigen Zustande des Boller Bades. In: Schwäbische Chronik 1786
Ueber die Ursache des starken Zusammenhanges und der langen Dauer des Tecker Schlaffes. In: Hausleutner's Schwäbischen Archiv 1789. St 3, S. 372.
Nachricht von dem Alter und den Mahlereyen der Kirche zu Weilheim, einer Würtemberg. Landstadt. In: Hausleutner's Schwäbischen Archiv 1792
Ueber die künstliche Wegnehmung der, nach einem Abortus, in der Gebährmutter zurück gebliebenen Theile des Mutterkuchens, nebst einer Abbildung. In: Loder's Journal für die Chirurgie u. s. w. u. f. w. 1798
Verlauf der mittelst Blasenpflaster geimpften Kuhpocken. Nach eigner Beobachtung und Zeichnung vorgestellt in einer aufs genauste... Göttingen 1802
Epigrammata in complures musei anatomici res, quae versuum amore ductus fecit. Göttingen 1807
Wie können Palläste, Schlösser und Schauspielhäuser am besten gegen Feuersgefahr geschützt, und Feuersbrünste überhaupt vermieden werden? beantwortet u. s. w. Göttingen 1812
Ueber den Selbstmord, seine Ursachen, Arten, medicinisch- gerichtliche Untersuchung, und die Mittel gegen denselben. Eine Schrift sowohl für Polizey- und Juftitz-Beamte, als für gebildete Aerzte und Wundärzte, für Psychologen und Volkslehrer. Hannover 1813 (Volltext in der Google-Buchsuche)
Uebersicht der Ereignisse in der Entbindungslehranstalt im Jahr 1815; dargestellt in einer Rede an seine Zuhörer am 4 Januar 1816. Göttingen 1816
Ueber die Entwickelungskrankheiten in den Blüthenjahren des weiblichen Geschlechts. 1. Teil, enthält die seltenen und wunderbaren Geistes- und Leibes-Zufälle in diesem Alter. Göttingen 1817, 2. Teil, von der medicinischen und psychologischen Behandlung dieser Krankheiten. Tübingen 1818, 2. vermehrte Auflage. Tübingen 1820. 2 Bde.
Abbildungen und Darstellungen in Kupferstichen zur Erläuterung der Lehre der Entbindungskunft nach dem Handbuch. 1. Heft, mit 4 Kupfert. Tübingen 1818
Das lieblichste Bild der Unschuld, beschrieben für Freunde der bildenden Künste. Göttingen 1819
Die Geschichte der schönen Venetianerin und ihres Bildes. Göttingen 1819
Amor der Blumenräuber, ein Oelgemälde. Göttingen 1819
Achill unter den Töchtern des Lykomedes, ein Oelgemälde. Göttingen 1819
Einfache Erzählung der Veranlassung zu seiner Reise nach Leipzig im December 1820 und der daselbst verrichteten chirurgischen Operationen. Tübingen 1820
Geburtsstelle, oder Beschreibung und Abbildung eines Geburtsgestells, welches nach dem in dem Handbuche Osianders dargelegten Grundsätzen eingerichtet, von ihm erfunden und durch eigenen und andern vieljährigen Gebrauch erprobt ist. Mit 2 Abbildungen, Tübingen 1821
Geschichte einer Harnverhaltung von scirrhöser Vorhaut mit ihren Folgen und ihrer Heilung, Durch Zeichnungen nach der Natur erläutert, mit einem selbsterfundenen Harnrecipienten zum Gebrauch derer, die den Harn nicht halten können, begleitet. In: Museum der Heilkunde Bd. 2. (Zürich 1794). S. 1–19.
Heilung des Mutterkrebses und krankhafter Auswüchse aus der Gebärmutter durch den Schnitt. In: Reichsanzeiger 1803, Nr. .. und Hufelands Journal für prakt. Heilkunde Bd. 16, St. 3, S. 133–135 (Digitalisat)
De instrumentis et machinis ad pernoscendam optimam aeque ac vitiosam pelvis muliebris formam et inclinationem facientibus, ab ipso inventis multoque usu comprobatis, commentatio illustra adumbrationibus cum Tab. Aen. VII. In: Commentationibus recentior. Societ. reg. scient. Vol. I, Göttingen, S. 1–24.
Nova methodus instituendi vivente femina ventris gravidi incisionem, ab ipso inventa et bis peracta, adjectis observationum una cum descriptione staterae portatilis ad examinandum infantum neonatorum pondus nuper inventae. Vol. III, Göttingen, S. 25–61.
De carbone ligneo, summo ad arcendam metallorum oxydationem remedio, novo ac certissimo esperimento comprovato. Vol. IV, Göttingen, S. 89 ff.
De homine, quomodo formetur, continnatae observationes, spectantes inprimis epidermidem, cutem et piles fetuum. Göttingen, S. 109 ff.
Ueber den Schwanzwurm der Kühe. In: Hannoversches Magazin 1804, St. 32
Noch ein Abschluss über die älters Zigeunergeschichte, aus einem lateinischen Schriftsteller. Hannoversches Magazin, S. 84.
Umständliche Nachricht von einer vollkommenen Frucht in dem Leichnam eines Knaben, mit erläuternden Anmerkungen. Hannoversches Magazin St. 88
Ueber D. Galls Schädellehre und Vorlesungen in Göttingen. Hannoversches Magazin 1805. St. 60. 83. 85–90.
Beantwortung der Frage: Hat man Beweise und Erfahrungen, dass im Handel den Weinen oder einigen Sorten derselben Spiessglanz beygemischt worden sey? Aus welchen Absichten konnte das geschehen? Hannoversches Magazin 1806. St. 64.
Ueber die Anpflanzung der Obstbäumen an Strassen und auf Weideplätzen. Hannoversches Magazin 1807. St. 43–46.
Wohlfeile wasserdichte Schuhe ohne Leder zu verfertigen. Hannoversches Magazin 1808. St. 19.
Ueber das Erdeessen der Menschen. Hannoversches Magazin 1809. St. 26.27.
Wohlfeile und sichere Art, kleine thierische Körper, die in Weingeist aufbewahrt werden sollen, zu versenden. Hannoversches Magazin St. 52.
Ein erprobtes neues Mittel, die Pferde vor Fliegenstichen zu schützen. Hannoversches Magazin St. 75
Ueber sogenannte Geistererscheinung und Geisterseherey aus eigner Erfahrung. In: Hannoversches Magazin 1809, St. 15–18.
Blüthenstaubregen oder vermeinter Schwefelregen in und um Göttingen. In: Hannoversches Magazin 1811. St. 22.
Ueber den innern Bauchbruch der Zugochsen. In: Hannoversches Magazin St. 31.
Einige Nachrichten von dem Leben des Freyherrn Christian Heinrich von Palm. In: Hannoversches Magazin, Heft 63–66, 1819, Sp. 993–1046.
Krankheitsgeschichte eines jungen Mannes, der zwey Jahre lang an seiner linken Seite krank war. In: Abhandlungen der Erlanger Societ. B. 1.
Literatur
Jürgen Schlumbohm, Lebendige Phantome: Ein Entbindungshospital und seine Patientinnen 1751-1830. Göttingen: Wallstein 2012, ISBN 978-3-8353-1093-3
Georg Christoph Hamberger, Johann Georg Meusel: Das gelehrte Teutschland, oder Lexikon der jetzt lebenden Teutschen Schriftsteller. 1797 Bd. 5, S. 524 (online); 1803, Bd. 10, S. 389 (online); 1805, Bd. 11, S. 593 (online); 1810, Bd. 14, S. 701 (online); Bd. 19, S. 36 (online in der Google-Buchsuche);
Karl Arndt, Gerhard Gottschalk, Rudolf Smend, Ruth Slenczka: Göttinger Gelehrte – die Akademie der Wissenschaften zu Göttingen in Bildnissen und Würdigungen 1751-2001. Wallstein Verlag, Göttingen 2001, ISBN 3-89244-485-4, Bd. 2, S. 80 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
Johann Stephan Pütter: Versuch einer academischen Gelehrten-Geschichte von der Georg-Augustus-Universität zu Göttingen Band 3, 1820, S. 308–314 (online in der Google-Buchsuche).
Barbara I Tshisuaka: Osiander, Friedrich Benjamin. In: Werner E. Gerabek (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. Walter de Gruyter, Berlin 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 1080 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
↑Holger Krahnke: Die Mitglieder der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen 1751–2001 (= Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Philologisch-Historische Klasse. Folge 3, Bd. 246 = Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Mathematisch-Physikalische Klasse. Folge 3, Bd. 50). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001, ISBN 3-525-82516-1, S. 183.
↑Andreas Mettenleiter: Das Juliusspital in Würzburg. Band III: Medizingeschichte. Herausgegeben vom Oberpflegeamt der Stiftung Juliusspital Würzburg anlässlich der 425jährigen Wiederkehr der Grundsteinlegung. Stiftung Juliusspital Würzburg (Druck: Bonitas-Bauer), Würzburg 2001, ISBN 3-933964-04-0, S. 144 und 587.