Ihr Vater Bert Leysen war Gründungsdirektor der damaligen öffentlichen flämischen Rundfunkanstalt VRT, ihr Zwillingsbruder Johan Leysen wurde Bühnen- und Filmschauspieler. Über ihre Ausbildung bemerkte Leysen im Jahr 2010: „Ich habe Kunstgeschichte mit Schwerpunkt Mittelalter studiert. Das qualifiziert nicht gerade für eine Karriere in der zeitgenössischen Performancekunst.“[4]
Kulturzentrum deSingel
Von 1980 bis 1991 leitete sie das Kunst- und Kulturzentrum deSingel in Antwerpen und etablierte es als Vier-Sparten-Haus für Architektur, Tanz, Musik und Schauspiel mit drei Bühnen und dem Schwerpunkt auf zeitgenössischen Produktionen. Das Projekt wurde von Leysen maßgeblich aufgebaut und fand schnell über die belgischen Landesgrenzen hinaus Anerkennung.[5]
Kunsten Festival des Arts
Der Begriff KunstenFESTIVALdesArts vereint die flämische und die französische Bezeichnung eines Kunstfestivals und beinhaltet bereits den Anspruch der Festivalgründerin Leysen, ein Festival für beide Sprachgruppen ihres Landes zu konzipieren. Leysen über die Ausgangslage im Jahr 1994, dem ersten Festival: „Wir waren besser informiert darüber, was in Paris vor sich ging, als über das, was hier ums Eck in der anderen Sprachgruppe geschah.“[6] Zugleich bedauerte Leysen den ungenügenden Kulturaustausch mit internationalen Theatermachern in Belgien, insbesondere mit nichteuropäischen Kulturen. Beunruhigt durch die nationalistisch bedingten Kriege in Ex-Jugoslawien und die separatistischen Tendenzen in ihrem eigenen Heimatland, kam sie zum Schluss, dass das neue Festival sowohl auf der lokalen Ebene den Kulturschaffenden neue Produktionsmöglichkeiten für beide Sprachgruppen eröffnen, als auch auf der internationalen Ebene die Begegnung mit außereuropäischen Kulturen fördern sollte. „Als ich begann, war ich wirklich schockiert, wie wenig ich wußte. Ich halte mich für offen, interessiert und professionell – aber als ich mich selbst fragte, was ich zum Beispiel über China weiß, musste ich mir eingestehen, dass das nicht über die gängigen Klischees hinausreichte: Peking-Oper, Akrobaten usw. […] Also entschied ich, in die Welt hinauszugehen und mir Multidisziplinäres und radikal Zeitgenössisches anzusehen.“[6]
„Ich plädiere für Toleranz und Vielfalt. Wenn wir im Theater so dogmatisch werden, dass es nur eine Form geben darf, die das wahre Theater ist, dann haben wir echt ein Problem.“
Bereits im März 2014 – zwei Monate vor Beginn ihrer ersten Wiener Festwochen – wurde bekannt, dass die ursprünglich für drei Jahre anberaumte Schauspieldirektion Leysens in Wien bereits nach der ersten Spielzeit enden werde. Man habe sich „im besten beiderseitigen Einvernehmen darauf geeinigt“, Gründe für die Trennung wurden nicht genannt. Ihr Programm erfreute sich dann hohen Zuspruchs des Publikums und der Kritik, insbesondere die südafrikanischeMacbeth-Version von Brett Bailey mit dem No Borders Orchestra, die Kraftwerk-3D-Konzertreihe im Burgtheater und die Tschechow-Revue Tararabumbia des russischen Regisseurs Dmitry Krymov im MuseumsQuartier. Sie habe eine andere Vorstellung von einem Festival, und Kunst ist keine Diplomatie, da sollte man keine Kompromisse machen, erklärte sie nach Abschluss der Festwochen 2014, sie sei sich mit Intendant Markus Hinterhäuserkünstlerisch, politisch und gesellschaftlich, lokal, national und weltweit nicht einig geworden.[10]
„Ein Festival muss darüber nachdenken, wie es sich zum kulturellen Angebot einer Stadt, zu den gesellschaftspolitischen Problemen eines Landes verhält. Es kann das Vorhandene ergänzen oder sich komplementär dazu verhalten, auf Lücken hinweisen und versuchen, diese punktuell zu schließen.“
Bekannt wurde Leysen auch für ihre Hausbesuche, inspiriert von den Tupperware-Partys: „Sie laden Ihre Freunde ein, bieten ein Glas Wein an, dann komme ich vorbei und erzähle über das Festival und die Hintergründe.“ Diese bot sie sowohl in Belgien als auch in Berlin und Wien dem potentiellen Publikum an.[9]
Anerkennung und Kritik
Dramaturg Matthias Lilienthal 2010 über Leysen: „Sie fängt dort an zu arbeiten, wo andere aufhören. Sie guckt nicht nur Theater, sie trifft die Regisseure. Das Gespräch, der persönliche Eindruck zählt.“[4] Theatermacher Tim Etchells: „Sie hat einen sehr persönlichen Geschmack und eine Vision, was Theater und Performance sein können. Und sie vertraut dieser Vision, das ist heute sehr rar.“[4]
Der lettische Theatermacher Alvis Hermanis kritisierte Leysen unmittelbar nach ihrer Berufung an die Wiener Festwochen: „Diese Obsession für Multikulti-Theater aus exotischen Ländern mit postimmigrantischem Pathos erinnert mich an die Sowjet-Ära in kommunistischen Ländern, wo Politiker nur proletarische Ideologie unterstützten, der Kunst und Professionalität geopfert wurden.“[12]Die Welt schrieb im August 2012 im Vorfeld des Berliner Festivals Foreign Affairs von einer „Folterkammer der Theaterinquisition “ und der „Aufwallung postkolonialistischen Hochmuts“.[13]
Presenter Interview, Interview mit Frie Leysen (en), abgerufen am 31. Mai 2014
Nachweise
↑Wiener Zeitung: Festwochen: Frie Leysen verstorben. 23. September 2020, abgerufen am 24. September 2020: „Am Dienstag, 22. September, ist Frie Leysen im Alter von 70 Jahren gestorben.“