Eidgenössische Volksinitiative «Löhne entlasten, Kapital gerecht besteuern»
Volksabstimmung
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Stimmen in %
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Ja
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35,1
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Nein
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64,9
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Die eidgenössische Volksinitiative «Löhne entlasten, Kapital gerecht besteuern», kurz 99%-Initiative genannt, ist eine im Jahre 2019 eingereichte Initiative der Jungsozialist*innen Schweiz (JUSO Schweiz). Die Initiative verlangt, Kapitaleinkommen von über einem durch das Gesetz festzulegenden Betrag 1,5-mal so stark zu besteuern wie das Arbeitseinkommen. Der dadurch erzielte Mehrertrag soll verwendet werden, um die Einkommenssteuern für Personen mit tiefen und mittleren Arbeitseinkommen zu senken und Sozialleistungen auszubauen. Die Volksabstimmung findet am 26. September 2021 statt. Bereits am frühen Nachmittag war klar, dass die Initiative definitiv am Ständemehr gescheitert ist.[1]
Die Initiative
Initiativtext
Die Bundesverfassung wird wie folgt geändert:
Art. 127a Besteuerung von Kapitaleinkommen und Arbeitseinkommen
1 Kapitaleinkommensteile über einem durch das Gesetz festgelegten Betrag sind im Umfang von 150 Prozent steuerbar.
2 Der Mehrertrag, der sich aus der Besteuerung der Kapitaleinkommensteile nach Absatz 1 im Umfang von 150 Prozent statt 100 Prozent ergibt, ist für die Ermässigung der Besteuerung von Personen mit tiefen oder mittleren Arbeitseinkommen oder für Transferzahlungen zugunsten der sozialen Wohlfahrt einzusetzen.
3 Das Gesetz regelt die Einzelheiten.[2]
Initianten
Das Initiativkomitee besteht aus 27 Mitgliedern, neben zwei Mitgliedern der Grünen Partei der Schweiz grösstenteils Mitglieder der Jungsozialist*innen Schweiz und der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz (SP), darunter das seit 2020 amtierende Kopräsidium der SP (Mattea Meyer und Cédric Wermuth) sowie ihr Vorgänger Christian Levrat.[3] Folgende Personen gehören ihm an:[4]
Die SP hat an ihrer Delegiertenversammlung in Olten am 7. Oktober 2017 der 99%-Initiative mit 138 zu 17 Stimmen ihre Unterstützung zugesagt.[5]
Argumente des Initiativkomitees
Das Initiativkomitee kritisiert, dass Grossaktionäre, die nicht selbst für ihr Einkommen arbeiten, sondern ihr Geld für sich arbeiten lassen, heute nur auf 60 % ihres Kapitaleinkommens Steuern zahlen würden, während das Arbeitseinkommen der grossen Mehrheit der Lohnabhängigen zu 100 % versteuert wird. Diese Privilegierung der Superreichen soll aufgehoben und Gerechtigkeit geschaffen werden. In der Schweiz besitze das reichste Prozent der Steuerpflichtigen über 40 % des gesamten Vermögens. Während die Reichen immer reicher würden – das Gesamtvermögen der obersten Vermögensklasse sei von 2003 bis 2013 von 217 auf 485 Milliarden Franken gestiegen –, hätten immer mehr Lohnabhängige, insbesondere die Frauen, angesichts explodierender Krankenkassenprämien und steigender Mieten nicht genug Geld zum Leben. Die Initiative wolle das Geld wieder denen zurückgeben, die dafür gearbeitet haben. Die Schweiz habe im internationalen Vergleich Dumping-Steuern, die nur den Reichsten nützen. Nötig sei daher eine solidarischere Steuerpolitik.[6]
Behandlung der Initiative
Zeitlicher Ablauf
Die formale Vorprüfung des Initiativtexts durch die Bundeskanzlei (Art. 69 BPR) vom 19. September 2017 wurde am 3. Oktober 2017 im Bundesblatt veröffentlicht.[7] Damit begann der Fristenlauf von 18 Monaten für die Sammlung von mindestens 100’000 Unterschriften (Art. 139Abs. 1 BV). Diese wurden am 2. April 2019 eingereicht. Mit Verfügung vom 14. Mai 2019 stellte die Bundeskanzlei fest, dass die Initiative mit 109’332 gültigen Unterschriften zustande gekommen ist.[8] Nach Art. 97Abs. 1 Bst. a ParlG hatte der Bundesrat spätestens bis zum 2. April 2020 der Bundesversammlung den Entwurf für einen Bundesbeschluss über eine Abstimmungsempfehlung mit einer erläuternden Botschaft zu unterbreiten. Der Bundesrat erfüllte diese Pflicht mit Botschaft vom 6. März 2020.[9] Die Frist für die Beschlussfassung der Bundesversammlung läuft nach Art. 100 ParlG bis zum 2. Oktober 2021, mit der Möglichkeit einer Fristverlängerung bis zum 2. Oktober 2022, falls einer der Räte einen direkten oder indirekten Gegenentwurf beschliesst (Art. 105 ParlG). Aufgrund der COVID-19-Pandemie ergab sich eine weitere ausserordentliche Fristverlängerung bis am 13. Dezember 2021 (Verordnung über den Fristenstillstand bei eidgenössischen Volksbegehren vom 20. März 2020). Die Volksabstimmung muss nach Art. 75a BPR spätestens 10 Monate nach dem Abschluss der Beratungen der Bundesversammlung bzw. dem Ablauf der gesetzlichen Behandlungsfrist der Bundesversammlung stattfinden.
Stellungnahme des Bundesrates
Der Bundesrat beantragte der Bundesversammlung mit seiner Botschaft vom 29. August 2018, die Volksinitiative Volk und Ständen zur Ablehnung zu empfehlen. Er sah keinen Handlungsbedarf. Die Einkommen seien in der Schweiz im internationalen Vergleich gleichmässig verteilt, und das Umverteilungsvolumen sei heute bereits bedeutend. Darüber hinaus würde sich die Initiative negativ auf die Standortattraktivität der Schweiz auswirken und die Anreize zur Kapitalbildung schwächen. Davon betroffen wären nicht nur kapitaleinkommensstarke Personen, sondern insbesondere auch Lohnabhängige.[9]
Beratungen des Parlaments
Die Volksinitiative wurde zuerst vom Nationalrat behandelt. Dieser folgte am 24. September 2020 mit 123 zu 62 Stimmen dem Antrag des Bundesrates auf eine ablehnende Abstimmungsempfehlung. Der Antrag einer Minderheit der vorberatenden Kommission für einen direkten Gegenentwurf wurde mit dem identischen Stimmenverhältnis von 123 zu 62 Stimmen abgelehnt. Der direkte Gegenentwurf hatte vorgeschlagen, dass das Kapitaleinkommen nicht 1,5-mal so stark (wie die Initiative verlangt), sondern gleich stark besteuert werden solle wie das Arbeitseinkommen. Die Fraktionen der Grünen Partei und der Sozialdemokratischen Partei stimmten geschlossen für den direkten Gegenentwurf und anschliessend für eine zustimmende Abstimmungsempfehlung zur Volksinitiative; die übrigen Fraktionen stimmten geschlossen dagegen. Der Ständerat hat sich am 2. März 2021 mit 32 zu 13 Stimmen ebenfalls für die ablehnende Abstimmungsempfehlung ausgesprochen.[10]
Haltungen
Von den acht grössten Parteien haben EVP, Grüne und SP die Ja-Parole beschlossen; EDU, FDP, GLP, Mitte und SVP die Nein-Parole.[11]
Meinungsumfragen
Bemerkungen: Angaben in Prozent. Das Datum bezeichnet den mittleren Zeitpunkt der Umfrage, nicht den Zeitpunkt der Publikation der Umfrage.
Abstimmung
Die Volksabstimmung fand am 26. September 2021 statt.[12] Bereits am frühen Nachmittag wurde klar, dass die Initiative definitiv am Ständemehr gescheitert ist. Das Stimmvolk lehnte die Initiative mit 64,9 Prozent ab.[1] Zudem wurde die Initiative in allen Kantonen vom Volke abgelehnt; der höchste Ja-Anteil war im Kanton Basel-Stadt mit 48,1 %.[13]
«99%–Initiative» – amtliche Endergebnisse[14]
Kanton |
Ja (%) |
Nein (%) |
Beteiligung (%)
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Kanton Zürich Zürich
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36,0 %
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64,0 %
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54,01 %
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Kanton Bern Bern
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40,7 %
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59,3 %
|
51,63 %
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Kanton Luzern Luzern
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32,0 %
|
68,0 %
|
54,02 %
|
Kanton Uri Uri
|
31,5 %
|
68,5 %
|
47,91 %
|
Kanton Schwyz Schwyz
|
23,4 %
|
76,6 %
|
53,94 %
|
Kanton Obwalden Obwalden
|
25,1 %
|
74,9 %
|
55,57 %
|
Kanton Nidwalden Nidwalden
|
22,6 %
|
77,4 %
|
56,59 %
|
Kanton Glarus Glarus
|
32,6 %
|
67,4 %
|
41,99 %
|
Kanton Zug Zug
|
23,2 %
|
76,8 %
|
60,56 %
|
Kanton Freiburg Freiburg
|
39,2 %
|
60,8 %
|
50,91 %
|
Kanton Solothurn Solothurn
|
34,5 %
|
65,5 %
|
51,86 %
|
Kanton Basel-Stadt Basel-Stadt
|
48,1 %
|
51,9 %
|
58,67 %
|
Kanton Basel-Landschaft Basel-Landschaft
|
32,7 %
|
67,3 %
|
52,29 %
|
Kanton Schaffhausen Schaffhausen
|
34,8 %
|
65,2 %
|
70,41 %
|
Kanton Appenzell Ausserrhoden Appenzell Ausserrhoden
|
31,0 %
|
69,0 %
|
53,28 %
|
Kanton Appenzell Innerrhoden Appenzell Innerrhoden
|
23,6 %
|
76,4 %
|
47,67 %
|
Kanton St. Gallen St. Gallen
|
30,9 %
|
69,1 %
|
50,65 %
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Kanton Graubünden Graubünden
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29,2 %
|
70,8 %
|
47,03 %
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Kanton Aargau Aargau
|
29,9 %
|
70,1 %
|
52,63 %
|
Kanton Thurgau Thurgau
|
28,1 %
|
71,9 %
|
51,64 %
|
Kanton Tessin Tessin
|
34,5 %
|
65,5 %
|
47,58 %
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Kanton Waadt Waadt
|
38,4 %
|
61,6 %
|
52,47 %
|
Kanton Wallis Wallis
|
29,1 %
|
70,9 %
|
51,51 %
|
Kanton Neuenburg Neuenburg
|
44,9 %
|
55,1 %
|
45,39 %
|
Kanton Genf Genf
|
41,8 %
|
58,2 %
|
51,29 %
|
Kanton Jura Jura
|
46,9 %
|
53,1 %
|
43,99 %
|
ÜÜÜSchweizerische Eidgenossenschaft
|
35,1 %
|
64,9 %
|
52,23 %
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Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ a b «99-Prozent-Initiative» — Höhere Kapitalbesteuerung scheitert am Ständemehr. In: SRF. 26. September 2021, abgerufen am 26. September 2021.
- ↑ https://www.admin.ch/opc/de/federal-gazette/2017/6159.pdf
- ↑ Bundeskanzlei: Verfügung zur Vorprüfung. In: Bundesblatt. 19. September 2017, abgerufen am 12. Februar 2021.
- ↑ Komitee. In: Initiativtext. 99prozent.ch, abgerufen am 27. September 2021 (Schweizer Hochdeutsch).
- ↑ «Mittelfinger an die Superreichen». In: Zürichsee-Zeitung. 16. Oktober 2017, S. 14.
- ↑ 99%-Initiative: Argumente. Abgerufen am 12. Februar 2021.
- ↑ Bundeskanzlei: Verfügung über die Vorprüfung. In: Bundesblatt. 19. September 2017, abgerufen am 12. Februar 2021.
- ↑ Bundeskanzlei: Verfügung über das Zustandekommen. In: Bundeskanzlei. 14. Mai 2019, abgerufen am 12. Februar 2021.
- ↑ a b Bundesrat: Botschaft zur Volksinitiative «Löhne entlasten, Kapital gerecht besteuern». In: Bundesblatt. 29. August 2018, abgerufen am 12. Februar 2021.
- ↑ 20.032 Löhne entlasten, Kapital gerecht besteuern. Volksinitiative. In: Geschäftsdatenbank Curiavista (mit Links zur Botschaft des Bundesrates, zu den Verhandlungen der Räte und weiteren Parlamentsunterlagen). Abgerufen am 12. Februar 2021.
- ↑ Abstimmungen vom 26. September — Parolenspiegel. In: srf.ch. 11. September 2021, abgerufen am 15. September 2021.
- ↑ Abstimmungsvorlagen für den 26. September 2021. In: admin.ch. Der Bundesrat, Bundeskanzlei, 19. Mai 2021, abgerufen am 19. Mai 2021.
- ↑ Frank Sieber, Erich Aschwanden: Die Ehe für alle kommt, die 99-Prozent-Initiative hingegen scheitert klar – das Protokoll des Abstimmungssonntags. In: Schweiz. nzz.ch, 26. September 2021, abgerufen am 26. September 2021 (Schweizer Hochdeutsch).
- ↑ Vorlage Nr. 646 – Resultate in den Kantonen. Bundeskanzlei, abgerufen am 17. März 2022 (Schweizer Hochdeutsch).
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