Deutsche Einwanderung in Brasilien

Blumenau ist eine Stadt mit einem starken Einfluss der deutschen Einwanderung.

Die deutsche Einwanderung in Brasilien fand ihren Höhepunkt im 19. und 20. Jahrhundert. Gründe für die Auswanderung nach Brasilien waren für viele Deutsche die sozialen und wirtschaftlichen Probleme in Deutschland und Europa. In der Auswanderung sahen viele von ihnen die Chance, der Not zu entkommen. Seit 1924 gilt der 25. Juli 1824 als „Tag der deutschen Einwanderung“.[1] Heute haben etwa 10 Prozent der Brasilianer deutsche Vorfahren.

Geschichte

Deutsche Einwanderer 1920 in Rio de Janeiro aus Nendingen (Württemberg)

Als erster Deutscher in Brasilien gilt der Astronom und Arzt Johannes Varnhagen, genannt Mestre João (Meister Johann), Navigator der Flotte von Pedro Álvares Cabral, die am 22. April 1500 Porto Seguro im Süden Bahias erreichte.

Ulrich Schmidel erkundete 1534 unter der Führung des spanischen Conquistador Pedro de Mendoza die Gebiete zwischen Buenos Aires und São Vicente im heutigen brasilianischen Bundesstaat São Paulo.

Hans Staden (1525–1576) aus Homberg war als Soldat für die portugiesische Krone in Brasilien und verfasste das erste Buch in deutscher Sprache über Brasilien.

Gründe für die Einwanderung

Verschiedene Motive trugen dazu bei, dass viele Deutsche ihre Heimat verließen und nach Brasilien auswanderten. Da es sich um regelrechte Einwanderungswellen handelte, kann man davon ausgehen, dass es Gründe gab, die vielen Auswanderern gemeinsam waren. Vorrangig war dies der Wunsch, wirtschaftlichen und politischen Problemen zu entfliehen und in der neuen Heimat bessere Lebensbedingungen zu haben oder sich zu erarbeiten. Auch persönliche Motive spielten eine Rolle.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts fanden wichtige wirtschaftliche Entwicklungen statt. In den Städten schritt die Industrialisierung in verstärktem Maße voran und verlangte spezialisierte Arbeitskräfte. Dies trieb viele Handwerker und Arbeiter aus kleinen Betrieben in den Ruin. Aufgrund der persönlichen Lage mussten sich die freigewordenen Arbeiter mit jeder verfügbaren Stelle zufriedengeben und standen deshalb für die aufkommende Industrie als billige Arbeitskräfte zur Verfügung.

Der Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora im April 1815 verursachte das Jahr ohne Sommer 1816, in dem es vielerorts Missernten, Preissteigerungen, Hungersnöte und Seuchen gab.

In Südwestdeutschland, vor allem im Hunsrück und in der bayerischen Rheinpfalz war im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts die Bevölkerung vergleichsweise stark angewachsen. Die Bevölkerungsexplosion führte im Rahmen der Realteilung in den 1820er Jahren bereits zu einer zunehmenden Zersplitterung des Grundbesitzes der bäuerlichen Bevölkerung. Auch die Überbesetzung verschiedener Handwerksberufe machte sich bemerkbar. Auf der Suche nach Arbeit zog man ebenfalls in die Städte (Landflucht) und erhöhte die Zahl der Proletarier.

Erste Einwanderungswelle (1817–1830)

Als 1817 die österreichische Erzherzogin Leopoldina den brasilianischen Thronfolger Dom Pedro I heiratete, zogen mit ihr deutsche Künstler, Handwerker und Wissenschaftler in das Land. Im folgenden Jahr kamen zahlreiche Landarbeiter in den Agrarkolonien Leopoldina und São Jorge dos Ilhéus im Bundesstaat Bahia an.

Im Jahr 1818 organisierte Georg Anton Schäffer für eine Gruppe von 20 Deutschen, die ihre Heimat verlassen wollten, die Überfahrt nach Brasilien. Dieser Schäffer-Gruppe wurden Ländereien in Bahia gewährt. Sie gründeten die Siedlung Frankenthal, die erste deutsche Siedlung in Brasilien.[2]

1820 wurde im Bundesstaat Rio de Janeiro die Stadt Nova Friburgo gegründet. Dom João VI (von 1816 bis 1822 König von Brasilien) versuchte gezielt, neue deutsche Einwanderer anzuziehen. Im September 1822 entsandte die brasilianische Regierung Schäffer nach Deutschland, um Kolonisten und Söldner anzuwerben. Er kam 1823 als Bevollmächtigter des neuen Kaisers Dom Pedro I von Brasilien und besuchte die Hansestädte sowie Frankfurt am Main und zahlreiche deutsche Höfe.[3] Diese Mission startete die erste große deutsche Auswanderungswelle nach Brasilien. Vor allem Menschen aus dem Hunsrück, den nördlichen und westlichen Teilen des heutigen Saarlandes und der Westpfalz ließen sich von den Agenten Schäffers anwerben.[4] Im Jahr 1830 ging die erste Einwanderungswelle der deutschen Einwanderung in Brasilien zu Ende.

Zweite Einwanderungswelle (1845–1847)

Erst 15 Jahre später folgte die zweite Auswanderungswelle. Von 1831 bis 1840 erschüttern mehrere Unruhen Brasilien, was zum rapiden Rückgang der Einwanderungen beitrug. Kaiser Dom Pedro II wurde am 23. Juli 1840 mit 14 Jahren vorzeitig für volljährig erklärt. Im darauffolgenden Jahr wurde er zum Kaiser von Brasilien gekrönt. Unter seiner Regentschaft kam es zu zahlreichen Gründungen neuer Kolonien sowie 1845 der erweiterte Ausbau der Stadt Petrópolis.

Die 1840er Jahre waren europaweit durch Teuerung, Missernten und eine gewisse soziale Unruhe geprägt. Vor allem in den Notjahren 1846/47 zogen Hunderte von Familien aus der Pfalz und dem Hunsrück in den Süden Brasiliens. Die Stadt Blumenau wurde 1850 von deutschen Einwanderern unter Leitung von Hermann Blumenau in der damaligen Provinz Santa Catarina gegründet.[5] Als brasilianischer Generalkonsul für Preußen in Berlin förderte Johann Jakob Sturz die deutsche Auswanderung nach Brasilien.

Dritte Einwanderungswelle (1855–1865)

Eine dritte Einwanderungswelle folgte zwischen 1855 und 1865.[6][7]

Deutsche Siedlungen

Deutsche Kolonien in Südbrasilien 1905

Die deutschen Einwanderer gründeten Kolonien und ließen sich dort gemeinsam nieder. Die Kolonien waren in Grundstücke unterteilt, die die Einwanderer oftmals von der Regierung geschenkt bekamen, um die Kolonisierung zu fördern. In anderen Fällen wurden die jeweiligen Ländereien von einzelnen Personen oder den Kolonialgesellschaften verkauft.

Zu Beginn der Migrationsbewegungen entstanden neue Auswanderersiedlungen in der Umgebung der ersten deutschen Kolonie São Leopoldo. Nach einiger Zeit wurden neue Siedlungen auch weiter im Landesinneren gegründet. Weil die Gebiete abseits der Küste nur schlecht in die bestehende Infrastruktur eingegliedert waren, suchten die Auswanderer strategisch günstige Orte, um neue Kolonien zu errichten, etwa in der Nähe großer Flüsse. Das Wasser wurde für die Bewirtschaftung der Felder verwendet, und die produzierten Güter konnten anschließend kostengünstig verschifft werden.

Der Brasilien-Forscher Lothar Wieser hat 1990 in seiner Dissertation aufgezeigt, dass der Erste Weltkrieg für die Deutschen in Südbrasilien ein tiefer Einschnitt war. Sprachen sie bis dahin in den deutschen (Turn-)Vereinen und Kirchen Deutsch, so wurde nun Deutschland differenziert betrachtet und in Kirche und Verein immer mehr Portugiesisch gesprochen.[8]

Gemeinde Gründung Herkunft der Kolonisten
Nova Friburgo (RJ) 1823[9] Rheinland, Sachsen, Böhmen, Schweiz
São Leopoldo (RS) 1824[10] Hunsrück, Sachsen, Württemberg, Sachsen-Coburg
São Pedro de Alcântara (SC) 1829[11] Moselregion, Eifel, Hunsrück
Rio Negro (PR) 1829[12] Trier, Bukowina, Bayern, Luxemburg
Petrópolis (RJ) 1843[13] Kastellaun, Mosel, Bingen, Nassau, Ingelheim, Wörrstadt, Darmstadt, Rheinland
Santa Isabel (ES) 1847 Hunsrück, Pommern, Rheinland, Preußen, Sachsen
Santa Cruz (RS) 1849 Rheinland, Hundheim (Bell, Hunsrück),[14] Großherzogtum Baden, Pommern, Schlesien
Blumenau (SC) 1850 Pommern, Holstein, Hannover, Braunschweig, Sachsen
Joinville (SC) 1851 Pommern, Preußen, Oldenburg, Schleswig-Holstein, Hannover, Schweiz
Curitiba (PR) 1851 Deutsche aus Osteuropa, insb. Wolgadeutsche
Santo Ângelo (RS) 1857 Rheinland, Sachsen, Pommern
São Lourenço do Sul (RS) 1857 Pommern, Rheinland
Santa Leopoldina (ES) 1857 Pommern, Rheinland, Preußen, Sachsen
Nova Petrópolis (RS) 1859 Pommern, Sachsen, Böhmen
Brusque (SC) 1860 Baden, Oldenburg, Rheinland, Pommern, Schleswig-Holstein, Braunschweig
Pomerode (SC) 1861 Pommern
Teutônia (RS) 1868 Westfalen
São Bento do Sul (SC) 1873 Böhmen, Bayern, Österreich, Preußen, Sachsen[15]
Lapa (PR) 1877[16] Bukowina, Wolgadeutsche
Palmeira (PR) 1878[16] Wolgadeutsche
Ponta Grossa (PR) 1878[16] Wolgadeutsche
Ivaí (PR) 1907[17] Deutsche, Österreich
São Vendelino (RS) Saarland
Treze Tílias (SC) 1933 Österreich
Guarapuava (PR) 1951[18] Donauschwaben

Siehe auch

Literatur

  • Adair Marli Lando, Eliane Cruxên Barros: A colonização alemã no Rio Grande do Sul. Uma interpretação sociológica. Movimento/IEL, Porto Alegre 1976.
  • Nelson di Francesco: Imigração Alemã no Brasil. Memorial do Imigrante / Museu da Imigração, Série Resumos No. 3, Governo do Estado de São Paulo, São Paulo 1999.
  • Karl Rathgen: Englische Auswanderung und Auswanderungspolitik im neunzehnten Jahrhundert. Mit: Rudolph A. Hehl: Einwanderung und Einwanderungsgesetzgebung in Nordamerika und Brasilien. Reprint: Duncker & Humblot, Leipzig 1896, Topos, Vaduz 1989, ISBN 3-289-00440-6.
  • Lothar Wieser: Deutsches Turnen in Brasilien. Deutsche Auswanderung und die Entwicklung des deutsch-brasilianischen Turnwesens bis zum Jahre 1917. (= Beiträge und Quellen zu Sport und Gesellschaft; Band 4). Arena Publishing, London 1990, ISBN 0-902175-49-1 (Dissertation an der Georg-August-Universität Göttingen 1990).
Commons: Immigration to Brazil#Alemã (Allemande/German/Tedesca) – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Zeittafel zur deutschsprachigen Auswanderung nach Brasilien. Abgerufen am 7. Juli 2022.
  2. „Werbebüro Dr. Georg Anton von Schäffer“ und der Beginn der Brasilienauswanderung. Abgerufen am 26. Juli 2022.
  3. Für Dom Pedro. Export aus Europas Armenhäusern und Gefängnissen auf kriegsreisende.de.
  4. auswanderung-rlp.de (Memento vom 1. Oktober 2012 im Internet Archive).
  5. Paulo Malta Ferraz: Apontamentos para a história da colonização de Blumenau, 1850–1860. Instituto Hans Staden, São Paulo 1949.
  6. Die zweite und dritte Einwanderungswelle. Abgerufen am 7. Juli 2022.
  7. Eine Erfolgsgeschichte - Die deutsche Einwanderung nach Santa Catarina - von Prof. Giralda Seyferth. Abgerufen am 7. Juli 2022.
  8. Lothar Wieser: Deutsches Turnen in Brasilien: Deutsche Auswanderung und die Entwicklung des deutsch-brasilianischen Turnwesens bis zum Jahre 1917. Arena Publishing, London 1990, ISBN 0-902175-49-1 (= Beiträge und Quellen zu Sport und Gesellschaft. Bd. 4, zugleich Dissertation an der Universität Göttingen, 1990).
  9. pmnf.rj.gov.br (Memento vom 3. März 2008 im Internet Archive)
  10. Reise und Ankunft in Brasilien. Abgerufen am 11. Dezember 2023.
  11. Zur deutschen Einwanderung in Brasilien auf kas.de
  12. Uma longa viagem dos alemães até o Paraná Pollianna Milan. Gazeta do Povo.
  13. Björn Effgen: Petrópolis — Ein brasilianisches „Versailles“. In: auswanderung-rlp.de. Abgerufen am 14. März 2024.
  14. Brasilienauswandererfamilie Claas. Abgerufen am 7. Juli 2022.
  15. saobentodosul.sc.gov.br saobentodosul.sc.gov.br (Memento vom 7. Juni 2008 im Internet Archive).
  16. a b c As colônias de imigrantes na Província do Paraná, 1854-1889 Reinaldo Benedito Nishikawa. Universidade de São Paulo.
  17. Aritmética na escola teuto-brasileira: o saber contar como princípio Roberto João Eissler. Pontifícia Universidade Católica do Paraná.
  18. Distrito de Entre Rios comemora 70 anos da imigração suábia G1 Paraná.