Die Bahnstrecke Hanoi–Ho-Chi-Minh-Stadt (Nord-Süd-Bahn) (Vietnamesisch: Đường sắt Bắc Nam oder Đường sắt thống nhất) quert Vietnam von Norden nach Süden über eine Entfernung von 1726 km und ist die längste und wichtigste Eisenbahnstrecke Vietnams. Sie wird von der Vietnamesischen Staatsbahn betrieben.
Die Strecke wurde in Teilstücken während der französischen Kolonialherrschaft zwischen 1899 und 1936 errichtet.[2]Paul Doumer (1857–1932), Generalgouverneur von Französisch-Indochina seit 1897 und später französischer Staatspräsident, legte ein Gesamtkonzept für ein Eisenbahnnetz für die Kolonie vor.[3] Es umfasste sowohl die Yunnan-Bahn als auch die Nord-Süd-Bahn. Dies spiegelte historisch gewachsene Wirtschaftsbeziehungen wider, die die südliche chinesische Provinz Yunnan und Indochina verbanden. Während die französische Regierung dem Bau der Yunnan-Bahn zustimmte, genehmigte sie zunächst nur Teilabschnitte der vorgeschlagenen indochinesischen Nord-Süd-Bahn, da deren Finanzierung aus staatlichen Mitteln erfolgen musste. Dazu wurde die Compagnie des chemins de fer de l'Indochine (CFI) gegründet.
Bau
Die Arbeiten für die Nord-Süd-Bahn begannen 1899 mit dem Abschnitt Hanoi–Vinh, der 1905 fertig gestellt wurde. Nha Trang–Saigon folgte 1905–1913 in zwei Abschnitten. Zwei von Huế ausgehende Teilstrecken wurden ebenfalls angegangen: Der Abschnitt nach Da Nang (damals: Tourane) wurde 1906, der nach Đông Hà 1908 eröffnet. Der Baufortschritt war langsam, da aufgrund der Topografie zahlreiche Ingenieurbauwerke erforderlich waren und durch den Ersten Weltkrieg und die Weltwirtschaftskrise immer wieder Verzögerungen auftraten. Das nördliche Netz und die Strecken um Huế wurden 1927 vereinigt, der Lückenschluss nach Süden erfolgte erst zum 2. Oktober 1936.[2] Die Strecke bestand nun unter der Bezeichnung Transindochinois. Anfangs benötigten durchgehende Züge 60 Stunden für die Gesamtstrecke, was aber bald auf 40 Stunden reduziert werden konnte.[4] Die Züge führten Speise- und Liegewagen.[5]
In drei Kriegen
Im Zweiten Weltkrieg war die vietnamesische Eisenbahn eine wichtige und intensiv genutzte Infrastruktur für die japanische Besatzung. Sie war deshalb auch ein wichtiges Ziel für Angriffe der Viet Minh und der US-amerikanischen Luftwaffe. Dabei wurde gerade die Nord-Süd-Bahn, als der zentrale Teil des vietnamesischen Eisenbahnnetzes an vielen Stellen beschädigt oder zerstört. Nach dem Zweiten Weltkrieg bemühte sich die französische Kolonialmacht, die Schäden zu beheben. Was aber angesichts des bald ausbrechenden Indochina-Krieges nicht wirklich gelang. Die Viet Minh verübten weiter Anschläge auf die Bahnlinie – nun gegen die französische Armee gerichtet.[4] Dem versuchte die Eisenbahn ab 1951 mit gepanzerten Zügen, Rafale, entgegenzuwirken,[6][7][8][9] was selbstverständlich bei Anschlägen auf die Infrastruktur wenig half. Auch wurden in großem Umfang Schienen gestohlen, die zum Aufbau der Strecken im Viet Minh-kontrolliertem Gebiet zwischen Ninh Hoa und Da Nang verwendet wurden.[4] Die Angriffe gipfelten 1953 in Anschlägen auf die Rafale-Züge selbst, indem Brücken unter dem darüber fahrenden Zug gesprengt wurden.[10]
Mit dem Übereinkommen von Genf 1954 wurde Vietnam geteilt und damit auch die Nord-Süd-Bahn. Die Grenze zwischen Nordvietnam und Südvietnam verlief hier auf der Hiền-Lương-Brücke über den Bến Hải in der Provinz Quảng Trị.[2] Südvietnam reparierte in den späten 1950er Jahren die Strecke zwischen Saigon and Huế (1041 km) mit Unterstützung der USA. Aber auch in dem nun folgenden Vietnam-Krieg wurde die Eisenbahninfrastruktur immer wieder durch Luftangriffe und Sabotage beschädigt oder zerstört.[4] Zwischen 1961 und 1964 griff die nordvietnamesische Armee und der Viet Cong allein die Nord-Süd-Bahn 795 Mal an. Für Südvietnam und die US-Armee war die Strecke für den Nachschub wichtig.[11] Die Angriffe aber verhinderten, dass die Bahn in nennenswertem Umfang Güter transportieren konnte und immer wieder konnten über längere Zeiträume ganze Streckenabschnitte nicht betrieben werden.[4]
Die US-Luftwaffe bombardierte von 1965 bis 1968 und dann wieder ab 1972 Eisenbahnanlagen in Nordvietnam, darunter auch den dort gelegenen Abschnitt der Nord-Süd-Bahn, vor allem Eisenbahnbrücken, etwa die Thanh Hóa-Eisenbahn- und Straßenbrücke in der gleichnamigen Provinz. Auch die US-Marine griff die Brücke mehrfach an und beschädigte sie, was den Verkehr wiederholt unterbrach. Die Brücke wurde aber immer wieder repariert. Erst 1972 wurde sie durch laser-gesteuerte Bomben zerstört.[12]
Wiedervereinigung
Nach dem Fall von Saigon am 30. April 1975 war Vietnam wieder vereinigt und der Krieg beendet. Die Bahnstrecke, die nun insgesamt der nordvietnamesischen Eisenbahnverwaltung unterstand, war aber wieder einmal schwer beschädigt. Die Reparaturen begannen sofort. Viele der 1334 Brücken, 27 Tunnel, 158 Bahnhöfe und 1370 Weichen waren zu reparieren.[4] Das war nur möglich, indem andere Bahnstrecken vorübergehend stillgelegt und dort Material ausgebaut wurde.[13] Am 31. Dezember 1976 konnte der durchgehende Betrieb von Hanoi nach Ho-Chi-Minh-Stadt, wie Saigon nun hieß, als Symbol der Wiedervereinigung in Betrieb genommen werden. Es dauerte aber bis in die 1990er Jahre, bis die Leistungsfähigkeit der 1930er Jahre wieder erreicht war.
Auf der Strecke befinden sich 1334 Brücken mit einer Gesamtlänge von 36 km, 63 % aller Eisenbahnbrücken des Landes. 278 davon haben ganz erheblichen Reparaturbedarf.[16] Auch die 27 Tunnel der Strecke mit einer Gesamtlänge von 8335 m haben zum Teil einen erheblichen Sanierungsstau[2] aufgrund des Alters, der Beschädigungen im Zweiten Weltkrieg, während des Indochina-Krieges und im Vietnam-Krieg und des langjährigen Mangels an Kapital. Die Strecke weist 3.650 schienengleiche Bahnübergänge auf, von denen etwa 3.000 (82 %) keine Schranken, keine Warnleuchten oder eine Sicherung durch Bahnwärter aufweisen. Die Zahl der Unfälle ist hier erheblich.[17][18] Hinzu kommt, dass die landesüblich schweren Monsun-Regenfälle die Strecke immer wieder beschädigen.[19] Erst in den 1990er Jahren erkannte die Politik in Vietnam das Potential der Eisenbahninfrastruktur wieder und versuchte nun vermehrt, Ressourcen auf dessen Wiederherstellung und Verbesserung zu verwenden.[20][21] Zahlreiche Langsamfahrstellen mit Geschwindigkeitsbeschränkungen auf bis zu 15 km/h[2] und Unfälle waren die Folge, insbesondere Entgleisungen.
Von 1994 bis 2005 wurden die Brücken der Strecke mit japanischer Unterstützung für mehr als 11 Mrd. Yen (circa 80 Mio. Euro) saniert. Brücken mit Geschwindigkeitsbeschränkungen von 15 bis 30 km/h wurden auf 60 bis 80 km/h ertüchtigt. Durch diese Maßnahme und weitere Sanierungen der Strecke konnte die Fahrzeit durchgehender Züge über die Gesamtstrecke von 36 auf 29 Stunden reduziert werden.[22] 2007 wurde ein weiteres Projekt gestartet, um die Infrastruktur der Strecke zu verbessern, 44 Brücken sollten saniert und einige Abschnitte in einer Länge von 37,6 km neu trassiert werden.[23] Bis heute dauern die Bemühungen an, die Defizite in der Infrastruktur zu beheben.[24]
Verkehr
Personenverkehr
Die Nord-Süd-Bahn erbringt 85 % des Reisenden-Aufkommens der Vietnamesischen Eisenbahn.[25] Die Züge werden manchmal auch als „Wiedervereinigungs-Express“ bezeichnet, obwohl keiner der Züge diese Bezeichnung offiziell führt. Dies erinnert daran, dass die Bahn die beiden, zwei Jahrzehnte lang getrennten Landesteile, Nord- und Südvietnam miteinander verbindet.[26] Es gibt tägliche mehrere Schnellzugpaare, die die beiden Endpunkte der Strecke verbinden und nur an größeren Bahnhöfen halten, sowie Personenzüge, die auch auf Teilstrecken verkehren, etwa Hanoi–Vinh, Vinh–Đồng Hới, Vinh–Quy Nhon, und alle Unterwegsbahnhöfe bedienen.[27] Die Reisezeit für die Gesamtstrecke beträgt für Schnellzüge 30–35 Stunden, für Personenzüge mehr als 40 Stunden.[28] Aufgrund des geringen Laufkomforts werden die Züge auch spöttisch als „TGV“ bezeichnet: Train à Grande Vibration.[Anm. 3] Die Fahrzeiten der Züge konnten seit der Wiederaufnahme des Betriebs Ende 1976 drastisch verkürzt werden:
Darüber hinaus gibt es touristische Angebote, die auf der Kategorie „Soft Sleeper“ basieren, im Komfort – und im Preis – aber noch darüberhinausgehen.
Güterverkehr
60 % des Eisenbahn-Güterverkehrs in Vietnam finden auf der Nord-Süd-Bahn statt.[33]Güterzüge benötigen über die Gesamtstrecke etwa vier Tage. Es gibt aber auch Güterverkehr, der nur über Teilstrecken durchgeführt wird.[34]
Unfälle
Am 17. März 1982 entgleiste ein Zug von Nha Trang nach Ho-Chi-Minh-Stadt in der Provinz Dong Nai in einem acht Kilometer langen Gefälle von 15 ‰ in einer engen Kurve bei einer überhöhten Geschwindigkeit von 100 km/h. Die Lokomotive und elf oder zwölf Wagen entgleisten, stürzten um und kamen etwa 20 Meter vom Gleis entfernt zu liegen. Mehr als 200 Menschen starben,[Anm. 4] darunter beide Lokomotivführer.[35]
Zehn Jahre später, 1992, wurde die Strecke an dieser Stelle umgebaut und der Bogenradius vergrößert.[36]
Projekte
Es gab Gespräche zwischen der vietnamesischen und der japanischen Regierung und Eisenbahnindustrie, parallel zur bestehenden Nord-Süd-Bahn eine Hochgeschwindigkeitsstrecke mit japanischer Shinkansen-Technologie zu errichten. Nach Schätzungen von 2010 waren dafür 56 Mrd. US-Dollar erforderlich. Die sehr hohen Kosten eines solchen Projekts und Zweifel, ob Vietnam in ausreichendem Umfang qualifiziertes Personal für den Betrieb einer solchen Strecke bereitstellen könnte, haben es ins Stocken geraten lassen. 2010 sprach sich das vietnamesische Parlament gegen die damals aufgestellte Planung aus und verlangte weitere Untersuchungen.[37][38]
Literatur
aha: Strecke Hanoi – Ho Chi Minh City. In: IBSE-Telegramm. 318 (5/2017), S. 6.[Anm. 5]
Frédéric Hulot: Les chemins de fer de la France d’outre-mer. Band 1: l’Indochine, le Yunnan. La Régordane 1990.