Artikel 10 des Grundgesetzes wurde durch das 17. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 24. Juni 1968 (BGBl. I S. 709) geändert. Dies geschah im Zuge der Notstandsgesetze, die die von 1966 bis 1969 regierende erste Große Koalition erließ. Artikel 10 wurde um einen Absatz 2 ergänzt: Beschränkungen (des Briefgeheimnisses sowie des Post- und Fernmeldegeheimnisses) dürfen nur auf Grund eines Gesetzes angeordnet werden. (Stand bis zur Änderung im jetzigen Absatz 1) Dient die Beschränkung dem Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherung des Bundes oder eines Landes, so kann das Gesetz bestimmen, daß sie dem Betroffenen nicht mitgeteilt wird und daß an die Stelle des Rechtsweges die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane tritt. Die Rechtsweggarantie nach Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes erfährt eine Ausnahme. Die Kontrolle erfolgt durch die G 10-Kommission. Diese wird durch das vom Deutschen Bundestag eingesetzte und aus Bundestagsmitgliedern bestehende Parlamentarische Kontrollgremium berufen. Das Artikel 10-Gesetz trat am 1. November 1968 in Kraft, die Grundgesetzänderung am 25. Juni 1968.
Das ursprünglich 1968 erlassene Gesetz wurde 2001 neu gefasst, nachdem das Bundesverfassungsgericht Teile des Artikel 10-Gesetzes für verfassungswidrig erklärt hatte.[4]
Pflichten der Anbieter von Post- und Telekommunikationsdiensten
Anbieter von Post- und Telekommunikationsdiensten sind verpflichtet, die Überwachung der Telekommunikation zu ermöglichen, Auskunft über die Umstände des Postverkehrs zu erteilen und Sendungen auszuhändigen. Die mit der Durchführung beauftragten Mitarbeiter sind zur Verschwiegenheit verpflichtet und müssen sich einer einfachen Sicherheitsüberprüfung unterziehen.
Im Gegensatz zu den Maßnahmen in Einzelfällen sind auch sogenannte „strategische Beschränkungen“ möglich. Soweit eine gebündelte Übertragung erfolgt, dürfen G 10-Maßnahmen für internationale Telekommunikationsbeziehungen auf Antrag des BND angeordnet werden. Diese dürfen jedoch nur angeordnet werden, um die in § 5 Abs. 1 Satz 3 genannten Gefahren rechtzeitig zu erkennen und diesen zu begegnen. Zudem ist die Zustimmung des Parlamentarischen Kontrollgremiums vorgeschrieben. Das Bundesverwaltungsgericht hat die strategische Überwachung des Fernmeldeverkehrs durch den Bundesnachrichtendienst nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in einer Entscheidung von Januar 2008 für zulässig erklärt.[5]
Übermittlung an ausländische öffentliche Stellen
Die Regelung des § 7a lässt es zu, dass der BND – hierfür braucht er die Zustimmung des Bundeskanzleramtes – an ausländische Geheimdienste Daten übermittelt, die er im Rahmen von G 10-Maßnahmen erlangte, soweit „1. die Übermittlung zur Wahrung außen- oder sicherheitspolitischer Belange der Bundesrepublik Deutschland oder erheblicher Sicherheitsinteressen des ausländischen Staates erforderlich ist, 2. überwiegende schutzwürdige Interessen des Betroffenen nicht entgegenstehen, insbesondere in dem ausländischen Staat ein angemessenes Datenschutzniveau gewährleistet ist sowie davon auszugehen ist, dass die Verwendung der Daten durch den Empfänger in Einklang mit grundlegenden rechtsstaatlichen Prinzipien erfolgt, und 3. das Prinzip der Gegenseitigkeit gewahrt ist.“ (§ 7a Absatz 1) In den Jahren 2010 und 2011 erfolgten keine Übermittlungen dieser Art.[6]
Zusätzlich gab es seit 1968 eine Verwaltungsvereinbarung mit den USA und Großbritannien, die 2013 durch den Austausch einer Verbalnote außer Kraft gesetzt wurde.[7][8]
Verfahren
Eine Tätigkeit der Nachrichtendienste von Amts wegen ohne Antrag und Anordnung ist untersagt.[9] Die zur Anordnung berechtigten Stellen dürfen die antragsberechtigten Stellen (BND, BfV, MAD, LfV), auch nicht im Rahmen ihrer Fachaufsicht, zum Stellen eines Antrags anweisen.[10] Der Antrag muss schriftlich und begründet sein. Antragsberechtigt sind die Behördenleiter der Nachrichtendienste oder ihrer Stellvertreter. Im Falle der Verhinderung kann auch der in der Vertretungsreihenfolge nachfolgende Behördenmitarbeiter (z. B. Abteilungsleiter) antragsberechtigt sein.[10]
Die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme erfolgt durch die antrags- und die anordnungsberechtigte Stelle. Der Richtervorbehalt wird durch die Kontrolle durch die G 10-Kommission auf Bundesebene bzw. entsprechende Stellen der Länder ersetzt. Die G 10-Kommission ist vor dem Vollzug der G 10-Maßnahme zu unterrichten. Bei Gefahr im Verzug darf die Maßnahme vorher begonnen werden, wie auch analog bei Überwachungsmaßnahmen zur Strafverfolgung nach der Strafprozessordnung ohne richterliche Genehmigung mit der Telekommunikationsüberwachung begonnen werden kann. Anordnungen, die die Kommission für unzulässig oder nicht notwendig erklärt, hat das Bundesinnenministerium unverzüglich aufzuheben.
Zudem ist das Parlamentarische Kontrollgremium in Abständen von höchstens sechs Monaten über die Durchführung des Gesetzes zu unterrichten.
G 10-Kommission
Die G 10-Kommission entscheidet von Amts wegen als unabhängiges und an keine Weisungen gebundenes Organ über die Notwendigkeit und Zulässigkeit sämtlicher durch die Nachrichtendienste des Bundes (BfV, BND, MAD) beantragten und vom BMI angeordneten G 10-Maßnahmen grundsätzlich vor deren Vollzug.
Wie dem Artikel 10-Gesetz zu entnehmen ist, sind gemäß § 12 Beschränkungsmaßnahmen dem Betroffenen nach ihrer Einstellung mitzuteilen. Durch die Mitteilung werden Betroffene in die Lage versetzt, die Maßnahme auf ihre Rechtmäßigkeit gerichtlich überprüfen zu lassen. Eine Mitteilung darf endgültig nur unterbleiben, wenn die G 10-Kommission einstimmig zustimmt. Im Jahr 2016 erfolgte die Zustimmung zur endgültigen Nichtmitteilung bei 33 Betroffenen.[11] Kritik besteht, dass in diesen Fällen kein effektiver Rechtsschutz möglich ist.
Josef Foschepoth: Überwachtes Deutschland. Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik. Vandenhoeck & Ruprecht, 1. Auflage, Göttingen 2012, ISBN 978-3-525-30041-1; 2. Auflage 2013, gleiche ISBN.
Dirk Lageveen: Telekommunikationsüberwachung im Internet: IP-Adressen in der strategischen Erfassung gemäß Artikel 10 Gesetz [sic]. 1. Auflage, Diplomica (April 2011).
Volker Neumann: Die parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste in Deutschland. In: Nikolas Dörr/Till Zimmermann: Die Nachrichtendienste der Bundesrepublik Deutschland. Berlin 2007, S. 13–34.
Reinhard Riegel: Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz) (G 10) mit Ausführungsvorschriften der Länder. Kommentar. C.H. Beck, München 1997.
Reinhard Riegel: Der Quantensprung des Gesetzes zu Artikel 10 GG (G 10). In: Zeitschrift für Rechtspolitik (ZRP) 1995, S. 176 ff.