Nach der deutschen Besetzung Nordfrankreichs wurde der Sitz im Jahr 1940 nach Vichy-Frankreich verlegt, 1943 dann nach Genf in die Schweiz. Seit 1950 befindet sich der Hauptsitz wieder in Paris.
Die Organisation wurde ursprünglich mit dem Namen (russ.:) "Obshchestvo okhraneniia zdorov’ia evreiskogo naseleniia"[5] gegründet und bald umbenannt in "Obščestvo Zdravoochranenija Evreev" („OZE“ – Organisation für den Schutz der Gesundheit der Juden).
Die heutige Abkürzung des Namens leitet sich aus der Beschreibung der Tätigkeit der Organisation Œuvre de secours aux enfants (etwa: „Kinderhilfswerk“ oder „Kinderhilfe-Gesellschaft“) ab. Gleichzeitig bildet „OSE“ ein Akronym, da die Organisation die Aussprache der Abkürzung „OSE“ wie bei „osé“ (franz.: „oser“ – wagen, sich zutrauen) vornimmt.[6]
Aufgaben vor dem und während des Zweiten Weltkriegs
Der französische Zweig der OSE gliederte sich nach der deutschen Besetzung Frankreichs in die "Union générale des israélites de France" ein. Er wurde zur dritten Gesundheitsorganisation der UGIF. Sie wurde damit die wichtigste Organisation zur Rettung jüdischer Kinder in Frankreich.[7][8]
Bis zum Jahr 1933 führte der deutsche Zweig der OZE ein relativ normales Vereinsleben, z. B. gab es am 12. Februar 1927 im Logenhaus Berlin einen Wohltätigkeitsball zugunsten seiner Aktivitäten; angeboten wurden Vorträge in russischer Sprache (z. B. Der Kampf gegen die Tuberkulose oder Das OZE und die Aufgaben der jüdischen Gesundheitsvorsorge, beide 1927).[9]
Am 11. November 1922 feierte die OZE im Logenhaus Berlin den 10. Jahrestag ihres Bestehens. Es gab Vorträge von dem OZE-Mitgründer in Russland, Moisei M. Gran: „10 Jahre OZE“ und von Philipp Maksovič Bljumental': »Evrejstvo pered licom boleznej i smerti« (=Das Judentum im Angesicht von Krankheit und Tod),[10] und ein Konzert. Am 27. August 1923 führte OZE in Berlin eine „Erste Weltkonferenz zum jüdischen Gesundheitswesen“ durch.
In der Zeit der politischen Repressionen gegen Juden in Deutschland und Österreich betreute OSE in Frankreich viele jüdische Kinder, die aus Deutschland und Österreich fliehen mussten. Im Frühjahr 1942 befanden sich 1349 Kinder in OSE-Häusern. Unter maßgeblicher Verantwortung des russisch-französischen Psychiaters und PhilosophenEugène Minkowski wurden von diesen 311 Kinder über Lissabon in die USA geschickt.
Vom April 1943 bis 1944 wurde ein „Schmuggel“ von Kindern in der Schweiz organisiert, um besonders gefährdete Kinder zu schützen. Kinder wurden in Heimen befreundeter Hilfsorganisationen oder bei Privatpersonen untergebracht. OSE war auch im August 1942 maßgeblich an der „Nacht von Vénissieux“ beteiligt, bei der 108 Kinder aus dem Anhaltelager gerettet wurden.
Es wird geschätzt, dass OSE insgesamt etwa 5000 Kinder vor den Nazis gerettet hat.
Dem Reichssicherheitshauptamt galt OSE im Zusammenhang der Maßnahmen gegen Juden im „Altreich“ als feindliche Organisation, zumal sie eine Ortsgruppe in Berlin und bis zum Einmarsch der Deutschen eine solche in Danzig hatte.[11]
Aufgaben nach dem Zweiten Weltkrieg
Nach dem Krieg wurden auch Kinder und Jugendliche als Überlebende aus den Konzentrationslagern, als minderjährige Displaced Persons oder als Waisen jüdischer Eltern, weiter betreut. Zum Beispiel hat OSE ihre Emigration nach Israel organisiert, oft zusammen mit anderen karitativen Trägern.[12] In den 1960er Jahren wurden Kinder aus Ägypten und Nordafrika versorgt. Heute kümmert sich OSE um kranke und behinderte Kinder.
Mitarbeiter
Präsident von OSE ist seit 2003 Jean-François Guthmann, Geschäftsführerin ist Patricia Sitruk. Das OSE hat etwa 650 Mitarbeiter und 100 ehrenamtliche Unterstützer.[13]
Historisch spielte der ImmunologeAlexandre Besredka, ein Arzt russischer Herkunft in Paris, eine wichtige Rolle in der OSE der Zwischenkriegszeit.[14]
Liste von OSE-Kinderheimen während des Zweiten Weltkriegs (Auswahl)
Während des Zweiten Weltkriegs befanden sich viele der OSE-Kinderheime in aufgelassenen Schlössern und Villen (Beispiele):[15]
Michèle Becquemin: Une institution juive dans la République, l’Oeuvre de Secours aux Enfants : pour une histoire du service social et de la protection de l’enfance. Éd. Pétra, Paris 2013, ISBN 978-2-84743-058-5
Laura Hobson Faure: L’œuvre de secours aux enfants et les populations juives au XXe siècle : prévenir et guérir dans un siècle de violences. Colin, Paris 2014, ISBN 978-2-200-28546-3
Katy Hazan: Le sauvetage des enfants juifs pendant l'Occupation, dans les maisons de l'OSE, 1938 - 1945 - Rescuing Jewish children during the Nazi occupation: OSE children’s homes, 1938–1945. Somogy Ed. d’Art, Paris 2008, ISBN 978-2-7572-0219-7
Fanny Ben-Ami: Le journal de Fanny. Aus dem Ivrit von Benjamin Ben-Ami. Livre de Poche Jeunesse. Hachette, Paris 2015 ISBN 2-01-249013-1[20]
Marion Feldman, Katy Hazan: Histoires secrètes. Les enfants juifs et l’Assistance publique. In Press, 2017
Charles Waserscztajn: Sauvé d’Auschwitz par l’assistance publique. (Zeitzeuge, selbst ein enfant caché) éd. du Cercil, 2016
Bjuleten fun ṣenṭral-bjuro fun der Gezelšafṭ ṣu farhiṭn di gezundhajt fun der idišer bafelqerung, Oze (in Yiddisch) (= Bulletin des Zentralbüros der Gesellschaft zur Bewahrung der Gesundheit für die jüdische Bevölkerung, OZE). Verlagsort Berlin
Society for the Protection of the Health of the Jews: Les enfants de Buchenwald. Union OSE, Genf 1947
Periodikum: Ose-Rundschau: Zeitschrift der Gesellschaft für Gesundheitsschutz der Juden "Ose" e. V. (The Ose Review). Hg. Gesellschaft für Gesundheitsschutz der Juden. Verlag Ose-Rundschau, Berlin. Belegte Ausgaben 1926 – 1933
Kerstin Muth: Versteckte Kinder. Trauma und Überleben der "Hidden children" im Nationalsozialismus. Psychosozial, Göttingen 2004, ISBN 3-89806-937-0, S. 12
Weblinks
OSE France (Webseite in Französisch, teilweise Englisch)
Eine weitere Auflistung von OSE-Kinderheimen in Frankreich, 1934 – 2000 (vorläuf. Fass. 2000; französisch)
Foto, Kindergruppe in einem OZE-Sommerlager, ca. Mitte 1930er Jahre, Wyschnyzja, Bukowina. Bildlegende in Englisch. Bekannte Personen darauf sind Anny Hubner oder Andermann; ihr Sohn Frederick Andermann; die OSE-Kinderärztin Dr. Salter. Auch im Bestand des USHMM
Foto: OSE-Kindergruppe bzw. Teenager-Gruppe in Paris, Januar 1947. Mit einigen Erwachsenen (Pädagogen)
↑Ein weiteres Beispiel: Am 14. Dezember 1922 in Berlin, OZE-Vortrag von F. Z. Šneerson: „Ärztliche Pädagogik und das Schicksal der jüdischen heranwachsenden Generation“, in jiddischer Sprache. Fischl Schneersohn war Arzt, Psychologe und Schriftsteller, unter diesem Namen erschien im Jahr 2012 der Roman „Grenadierstraße“ in deutscher Übersetzung.
↑Dazu ausführlich Simone Gigliotti, Monica Tempian Hgg.:The young victims of the Nazi regime. Migration, the Holocaust and postwar displacement. Bloomsbury Academic, London 2016, passim (siehe Register)
↑Gérard Foussier: Versteckte Kinder in Dokumente/Documents, Zeitschrift für den deutsch-französischen Dialog, 1/2016, S. 37
↑Alexandre Besredka. In: www.ose-france.org. OSE-Paris; ehemals im Original (nicht mehr online verfügbar); abgerufen am 26. Juni 2024, Archiv. Seine Lebensjahre waren 1870 bis
1940
↑Bekannt als letzter legaler Aufenthalt von Adele Kurzweil aus Graz, bekannt durch einen Roman von Manfred Theisen, 2009. Die Theodor Kramer Gesellschaft Wien verfügt über ein Foto von Adele mit einem anderen Mädchen, Dorli Löbl, beim Völkerballspiel in Les Tourelles 1939. Das Bild diente als Hintergrund bei einem Vortrag von Vera Freud am 15. November 2014 in Wien.