Nach dem Studium in Berlin und Göttingen, wo er 1936 über das italienische Säulenmonument promoviert wurde, war er Assistent am Kunsthistorischen Institut in Florenz und hatte dort neben seiner Beschäftigung mit der italienischen Kunst der Renaissance auch die Gelegenheit, in Kontakt mit der Kunst der Klassischen Moderne zu bleiben. Haftmann war laut Angabe auf seiner Studienkarte der Friedrich-Wilhelms-Universität seit 3. November 1933 als SA-Mann[2] tätig. Er beantragte am 28. Juni 1937 die Aufnahme in die NSDAP und wurde zum 1. Oktober desselben Jahres aufgenommen (Mitgliedsnummer 4.457.013),[3] wie erst im Oktober 2019 auf einer Tagung des Deutschen Historischen Museums bekannt wurde.[4][5][6][7][8] Anlässlich seiner Überlegung, eine Assistentenstelle in Wien bei Hans Sedlmayr zu bekommen, wurde er 1939 von Friedrich Kriegbaum, dem Direktor des Florentiner Instituts, als linientreuer Nationalsozialist, SA-Mann und Parteianwärter angepriesen.[9] Haftmann trat die Stelle dann nicht an, um freischaffend tätig zu sein.
Im Zweiten Weltkrieg war er Soldat. Er fungierte von Juli 1940 bis Januar 1941 als Sekretär und Dolmetscher bei der deutschen Verbindungsdelegation zur italienischen Waffenstillstandskommission mit Frankreich in Turin, anschließend bis 1944 als Verbindungsoffizier. Im Januar 1944 wurde Haftmann zum XIV. Panzerkorps der Wehrmacht versetzt und war dort wegen seiner guten Italienischkenntnisse als Ic für Feindaufklärung und Spionageabwehr zuständig. Damit gehörte die Bekämpfung von Partisanen zu seinen Aufgaben. Ein von Haftmann unterschriebenes Vernehmungsprotokoll legt nah, dass er an der Folterung von Partisanen beteiligt war.[10][11][12] Im Mai 1945 in Kriegsgefangenschaft geraten, wurde er 1946 entlassen und zog nach Bremen.[13]
Nach 1945
Seit 1950 war er Dozent an der Hochschule für bildende Künste Hamburg und veröffentlichte 1954 ein Standardwerk zur Malerei im 20. Jahrhundert. 1955, 1959 und 1964 war er unter der organisatorischen Leitung im Club 53Arnold Bodes für die kunsthistorische Oberleitung und Thesenfindung der documenta I, documenta II und documenta III verantwortlich. Hier wurde zum ersten Mal ein Überblick über die Klassische Moderne und die aufkommende Pop Art (1964) gegeben. Heftige Kontroversen während der Vorbereitungen zur 4. documenta führten zum Rücktritt Haftmanns.
Die Recherchen anlässlich der Ausstellung zur Geschichte der documenta im Deutschen Historischen Museum in Berlin 2021 ergaben, dass Haftmann zwar Künstler auswählte, die von den Nationalsozialisten diffamiert und verfolgt worden waren, dass er aber zugleich jüdische Künstler anscheinend bewusst unberücksichtigt ließ.[14]
1967 wurde er erster Direktor der Neuen Nationalgalerie in Berlin, die ein Jahr später in den Neubau von Mies van der Rohe einzog. Haftmann ging daran, aus den beiden Rumpfsammlungen der Nationalgalerie und der Galerie des 20. Jahrhunderts eine geschlossene Sammlung zu machen. Diese sollte an die berühmte Neue Abteilung im Kronprinzenpalais anknüpfen, die ab 1919 von Ludwig Justi aufgebaut und 1937 durch die Aktion Entartete Kunst zerstört worden war. In den Bau zogen zunächst alle Werke der Nationalgalerie (West) und die der städtischen Galerie des 20. Jahrhunderts. Der Ankaufetat der Neuen Nationalgalerie war von Anfang an eher gering. Ende der 1960er betrug er etwa 200.000 DM. Viele Bilder konnten aber mit Hilfe der Stiftung Deutsche Klassenlotterie und ab 1977 durch die Unterstützung der Freunde der Nationalgalerie erworben werden.
Die Museumskonzeption und die Ankaufspolitik waren auch jetzt oft von heftiger öffentlicher Anteilnahme geprägt. Haftmann gelang es, der immer noch rudimentären Sammlung eine profilierte Kontur zu geben und sie in einen internationalen Kontext zu stellen. Nach 1968 gab es trotzdem schwere Auseinandersetzungen, als sich Haftmann gegen grenzüberschreitende Happenings und Installationen wandte. In der aufgeheizten Lage wurden die Glasscheiben des Mies-Baus teilweise eingeschlagen und sogar zerschossen. Im Oktober 1974 legte Haftmann aus gesundheitlichen Gründen seine Ämter nieder, publizierte aber weiterhin maßgebliche Bücher und Essays zur Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts.
1965 wurde Haftmann mit der Goethe-Plakette des Landes Hessen ausgezeichnet. Seit 1970 war er auch Mitglied der Akademie der Künste in Berlin.
Von 1967 bis 1970 war Werner Haftmann mit der Galeristin Roswitha Viollet verheiratet. 1987 heiratete er die Kunsthistorikerin Evelyn Gutbrod (* 1952).[15]
Er wurde auf dem Friedhof von Waakirchen am Tegernsee beigesetzt[16].
Hanno Rauterberg: Werner Haftmann: Hüter des falschen Friedens. Ausgerechnet die fortschrittliche Kunstwelt tut sich schwer mit der Erinnerung, sobald es um ihre eigene Verstrickung in der NS-Zeit geht. Der Fall des Documenta-Übervaters Werner Haftmann zeigt, woran das liegen mag. In: Die Zeit. Nr. 7/2020, 6. Februar 2020 (zeit.de [abgerufen am 5. Februar 2020; eingeschränkte Vorschau]).
↑Werner Haftmann (Hrsg.): Die Neue Nationalgalerie. Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1969, S. 26.
↑Vincenza Benedettino: Werner Haftmann as the Director of the Neue Nationalgalerie in Berlin (1967–1974): Survey of the Curatorial Concept in the West German National Modern Art Gallery during the Cold War. In: Actual Problems of Theory and History of Art. Band10, 2020, S.692–702; hier 693, doi:10.18688/aa200-5-66 (spbu.ru [abgerufen am 7. September 2021]).
↑Ingo Arend: Die Trümmer eines Mythos. Tagung zum umstrittenen Documenta-Kurator Haftmann. Bericht. Süddeutsche Zeitung, 14. Juni 2021, S. 12
↑ Hans H. Aurenhammer: Hans Sedlmayr und die Kunstgeschichte an der Universität Wien 1938–1945. In: Kunst und Politik. Jahrbuch der Guernica-Gesellschaft. Band 5: Kunstgeschichte an den Universitäten im Nationalsozialismus. Hrsg. von Jutta Held und Martin Papenbrock. Göttingen 2003, S. 167.
↑Carlo Gentile: Der Krieg des Dr. Haftmann. Der Kunsthistoriker Werner Haftmann folterte für das NS-Regime. In: Süddeutsche Zeitung, 7. Juni 2021, S. 9, PDF