Die alte Michaeliskapelle vor dem Ansgari- und dem Doventor, in der die Einwohner der Dörfer Walle und Utbremen bis dahin den Gottesdienst besucht hatten, war 1524 von betrunkenen Bürgern abgerissen worden.[1][2] Daraufhin wurde den Einwohnern von Walle gestattet, in ihrem Dorf ein Gotteshaus zu errichten. Bremen befand sich seit 1522 in der ersten lebhaften Phase seiner Reformation. Nach Fertigstellung der 1524 gebauten „Kerke Sunte Michalis tho Walle“ wurden hier daher von Anfang an protestantische, zunächst lutherische, Gottesdienste gehalten.
Im Jahr 1658 erhielt die Kirche einen Westturm, dessen Baukosten aus dem Legat des in Walle verstorbenen Ritters Christoph Ludwig Raschen (1584–1645) finanziert wurden.[3] 1725/26 wurde die Kirche zu einem querorientierten Predigersaal nach dem Muster der St.-Pauli-Kirche in der Bremer Neustadt umgebaut –, wie es in den damals reformierten bremischen Kirchen üblich war.
Im Zweiten Weltkrieg brannte das Kirchenschiff 1942 durch einen Bombenangriff aus. Nach den Plänen von Julius Schulte-Frohlinde wurde es von 1952 bis 1956 wieder aufgebaut. Die Außenmauern wurden auf den alten Fundamenten und in ähnlicher Gestaltung errichtet, jedoch wurde im Osten ein Altarraum angebaut und damit die reformatorische Altarposition wieder aufgegeben. Die Seitenwände sind durch fünf wie schon vor dem Krieg rechteckige Fenster und durch Strebepfeiler gegliedert. Das Satteldach hat beidseitig drei Fledermausgauben. Mehrere steinerne Wappen zieren das Äußere.
Turm
Bei der Zerstörung der Kirche 1942 blieb der zierliche Renaissanceturm von 1658 fast unversehrt erhalten.[4] Er war wie ein Epitaph zum Gedächtnis über dem Grabmal des Ritters Raschen errichtet worden. Der Ritter war zuletzt im Dienst der schwedischen Krone bei Hofe und im Kriege gewesen als „Geheimmerrath des evangelischen (schwedischen) Reichsgerichts“ und davor „Beysitzer des Niedersächsischen und Westphälischen Reiches Director“.[5] Der mittelelbische Ritter war zuletzt Pächter des Gutes Walle. Das Grab lag aber nach Grabungen von 1952 nicht unter, sondern neben dem Turm.
Auf einem quadratischen Sockel erhebt sich der achteckige Turm. Der Schaft ist durch drei umlaufende Sandsteinsimse gegliedert, seine Ecken mit Sandsteinquadern verziert. Das Dach besteht aus einer welschenHaube, einer Laterne und einem spitzen Helm.
Innerenraum
Das helle Innere überspannte damals eine flache Decke, im Charakter aus der Erbauungszeit als reformierte Kirche. Eine Empore stand an drei Seiten. Altar und Kanzel befanden sich bei der querausgerichteten Kirche ursprünglich an der nördlichen Seitenwand.
Die Kirchbänke orientieren sich nach 1952 auf den Altar an der Ostseite. Auf der Empore an der Westseite befindet sich die Orgel. Die Decke ist heute wie ein flaches Tonnengewölbe aus Holz ausgebildet.
Orgel
2002 baute die Werkstatt Winold van der Putten (Finsterwolde, Niederlande) auf der westlichen Empore eine Orgel im norddeutsch-niederländischen Stil des 17. Jahrhunderts. Das zweimanualige Instrument verfügt über 26 Register in Hauptwerk, Brustwerk, Chorwerk und Pedal.
Die Orgel hat zwei verschiedene Stimmtonhöhen und Temperaturen. Die 23 Register des Hauptwerks, Brustwerks und Pedals sind mitteltönig (1⁄4syntonisches Komma) und haben die Stimmtonhöhe von a1 = 415 Hz, die im 17. und 18. Jahrhundert verbreitet war (z. B. als Kammerton der Bachzeit). Die Töne dis und as sind zusätzlich als Subsemitonien in Form geteilter Obertasten verfügbar. In den Manualwerken gibt es die Subsemitonien von der kleinen Oktave bis einschließlich dis1, im Pedal befinden sie sich ausschließlich in der kleinen Oktave. Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit, nach Bedarf zwischen den Tönen b und ais umzuschalten, und zwar durch einen als Registerzug gestalteten Mechanismus. Die Orgel hat daher in diesen drei Werken bis zu 15 Töne pro Oktave. Damit wird einerseits der begrenzte Rahmen der in der klassischen Mitteltönigkeit verfügbaren Töne bzw. Tonarten erweitert. Andererseits kann das Instrument ein Ensemble auch in der Stimmtonhöhe des im 17. und 18. Jahrhundert verbreiteten gemeinen Chortons (hier a1 = 464 Hz) begleiten – hierzu muss der Organist den Continuo-Part um einen Ganzton aufwärts transponieren. Ein Ton ais der Klaviatur entspricht dann dem gis im Kammerton, so dass der übliche mitteltönige Rahmen für Musik bis um 1700 darstellbar ist.
Während der Bauphase kamen früh zusätzlich Wünsche in der Gemeinde auf, dass auch die Begleitung von Ensembles möglich sein sollte, die den modernen Standardkammerton verwenden. Der Orgelbauer konnte diesen Wünschen dadurch entsprechen, dass drei Register zusätzlich als Chorwerk gebaut wurden, die vom II. Manual aus gespielt werden und in der Stimmtonhöhe a1 = 440 Hz stehen. Diese Register sind wohltemperiert gestimmt und werden daher üblicherweise nicht mit den anderen Registern zusammen gespielt.
Der ehemalige Kirchfriedhof ist heute eine Grünfläche, auf dem im Norden noch fünf alte Grabsteine aus der Zeit vor 1646 bis etwa 1900 stehen. Im Kirchturm ist eine eingelassene Grabplatte aus dem Jahr 1646. Der städtische Waller Friedhof von 1875 befindet sich in der Nähe.
Kirchgemeinde
Die aktuelle Aktivitäten der Kirchengemeinde Walle sind u. a.:
RAZ (Ran an die Zukunft), die Kindertagesstätte „Schnecke“, Spielkreis, die Kinderkrippe „Fienchen“, das Seniorencafé, Frauenkreise, der Gemeindechor und die Christlichen Pfadfinder.
Das Gemeindehaus befindet sich in der nahen Ritter-Raschen-Straße.
Literatur
Georg Dehio: Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler – Bremen/Niedersachsen. Deutscher Kunstverlag, München/ Berlin 1977, ISBN 3-422-00348-7, S. 64