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Sexuelle Aufklärung oder Sexualaufklärung ist die Weitergabe von Informationen über Sexualität an Kinder, Jugendliche oder Erwachsene, die in eine zum jeweiligen Zeitpunkt als hinreichend empfundene Sicht auf die menschliche Sexualität mündet. Geschieht sexuelle Aufklärung aktiv und zielgerichtet, dann meist mit der Absicht, ihren Empfänger zu einer Form der Ausübung des angeborenen Sexualtriebs zu führen, die in dem jeweiligen Kulturkreis und in dessen vorherrschenden Sexualmoral als richtig empfunden wird.
Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sieht als Ziel der Sexualaufklärung in Deutschland, „Menschen zu einem eigen- und partnerverantwortlichen, gesundheitsgerechten Umgang mit Sexualität zu befähigen“.[1]
Die Sexualaufklärung bezieht sich im Wesentlichen auf folgende Themen:
der menschliche Körper und seine Funktion, Anatomie von Mann und Frau, anatomische Veränderung während des Wachstums und in der Pubertät
Jugendliche brauchen Raum für ihre sexuelle Entwicklung. Viele durchleben in diesem Lebensabschnitt einen konfliktreichen Ablösungsprozess in der Familie. Sie streiten mit den Eltern um die sexuellen Freiheiten und Entwicklungen, die sie gegenseitig akzeptieren können. Die Kindheit im Elternhaus geht zu Ende und sie suchen ihre neue Frauen- oder Männerrolle. Im Verlauf der Pubertät empfinden viele Jugendliche auch eine körperliche Anziehung zum eigenen Geschlecht, ohne deshalb homosexuell zu sein. Es kommt zu neuen manchmal verunsichernden Erfahrungen und Empfindungen wie sexuelle Erregung, Ängsten, spezifischen Wünschen und Sehnsüchten, erste Verliebtheit mit vorsichtigen Annäherungen, Zärtlichkeiten sowie ersten sexuellen Berührungen. Mädchen und Jungen erleben viele Veränderungen ihres Körpers in der Pubertät, Mädchen die erste Menstruation. Alterstypisch sind vorsichtige Schwärmereien für potenzielle Partner oder Partnerinnen und die Entdeckung der Lust am eigenen Körper, sexuelle Phantasien und Masturbation. Nicht selten erleben sie ein Auf und Ab der Gefühle zwischen Euphorie und Depression. Ohne eine altersgemäße Aufklärung stellt all das eine große Verunsicherung dar.
Sexualaufklärung findet in Grundschulen in der Regel im Rahmen des Sachkundeunterrichts statt, in höheren Schulen in der Regel im Rahmen des Biologie-Unterrichts.
Geschichtliche Entwicklung
Noch in den 1950er Jahren war die menschliche Sexualität ein öffentliches Tabuthema.
So zeigten Abbildungen in Schulbüchern den Menschen meist als ein geschlechtsloses Wesen. Sexualität von Frauen wurde unmittelbar mit Ehe, Schwangerschaft und Mutterschaft verknüpft. Frauen, die schwanger wurden, ohne verheiratet zu sein, wurden gesellschaftlich geächtet.
In den 1960er und 70er Jahren kam es unter anderem durch die Antibabypille und die Aufhebung des Verbotes der Abtreibung zu einer Gegenbewegung, der so genannten Sexwelle. Die Studentenbewegung propagierte die freie Liebe nach dem Motto: „Make love not war!“
Es folgten Aufklärungsfilme des selbsternannten Aufklärers der NationOswalt Kolle, das „Lexikon der Erotik“ der Springer-Zeitschrift Jasmin sowie die Sexfilm-Reihe Schulmädchen-Report.
Nach und nach zog auch die Sexualkunde als Fach in die Schulen der Bundesrepublik ein.
In der Jugendzeitschrift Bravo mit ihrer Dr.-Sommer-Redaktion verfasste Martin Goldstein unter den Pseudonymen Dr. Jochen Sommer und Dr. Alexander Korff von 1969 bis 1984 in der Rubrik „Was Dich bewegt“ Antworten auf von Schülern und Schülerinnen gestellte Fragen zur Sexualität.
In der DDR verfasste Siegfried Schnabl zahlreiche Aufklärungsbücher.
Heute ist die sexuelle Aufklärung kaum noch ein Tabuthema. Der Aufklärungsunterricht im Rahmen der Menschenkunde ist sozialpädagogisch ein obligatorischer und wesentlicher Bestandteil des Schulfaches Biologie.
2014 begann in Deutschland ein öffentlicher Diskurs darüber, in welchem (nach Meinung von Kritikern: zu frühen) Alter Kinder und Jugendliche über welche Details und Sexualpraktiken aufgeklärt werden können oder sollen.[3][4][5] Dabei wird die Sexualaufklärung im Vorschulalter und Grundschulalter[6] mithilfe des politischen Kampfbegriffs „Frühsexualisierung“ diffamiert[7].
Christel Roßbach, Elisabeth Raffauf und Gisela Dürr: Mama wie bin ich in deinen Bauch gekommen?. Weltbild, Augsburg 1998, ISBN 978-3-89604-736-6. (Aufklärungsbuch für Kinder)
↑ abJutta Hartmann: Doing Heteronormativity? Funktionsweisen von Heteronormativität im Feld der Pädagogik. In: Karim Fereidooni, Antonietta P. Zeoli (Hrsg.): Managing Diversity. Die diversitätsbewusste Ausrichtung des Bildungs- und Kulturwesens, der Wirtschaft und Verwaltung. Wiesbaden 2016, S.124, doi:10.1007/978-3-658-14047-2_7.
↑Jürgen Kocka: Das europäische Muster und der deutsche Fall. In: Jürgen Kocka (Hrsg.): Bürgertum im 19. Jahrhundert. Deutschland im europäischen Vergleich. Einheit und Vielfalt Europas. Göttingen 1995, S.9–75, hier 29f.
↑Jasmin Siri: Paradoxien konservativen Protests. Das Beispiel der Bewegungen gegen Gleichstellung in der BRD. In: Sabine Hark, Paula-Irene Villa (Hrsg.): Anti-Genderismus. Sexualität und Geschlecht als Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen. Bielefeld 2016, ISBN 978-3-8376-3144-9, S.251.
↑Heinz-Jürgen Voß: Wenn rechtpopulistische Kreise gewinnen: Zu den Debatten um Sexualpädagogik und Antidiskriminierung. 17. Dezember 2014 (dasendedessex.de [PDF]).
↑Ina-Maria Philipps, Ulrike Schmauch, Uwe Sielert, Karlheinz Valtl, Joachim Walter: Kampagnen gegen emanzipatorische sexuelle Bildung. Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats des Instituts für Sexualpädagogik Dortmund (isp). In: Zeitschrift für Sexualforschung. Band29, Nr.01, 2016, S.73–89.
↑Imke Schmincke: Das Kind als Chiffre politischer Auseinandersetzung am Beispiel neuer konservativer Protestbewegungen in Frankreich und Deutschland. In: Sabine Hark, Paula-Irene Villa (Hrsg.): Anti-Genderismus. Sexualität und Geschlecht als Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen. Bielefeld 2016, S.96ff.