Sassolin kristallisiert im triklinen Kristallsystem und entwickelt überwiegend farblose und durchsichtige Kristalle mit plättchen- bis tafelförmigem, pseudohexagonalem Habitus. Durch Verunreinigung mit Schwefel kann er auch eine gelbe und mit Eisenoxiden eine braune Farbe annehmen. Seine Strichfarbe ist jedoch immer weiß.
Freie Borsäure (auch Boraxsäure oder Natürliches Sedativsalz) wurde erstmals durch Hubert Franz Hoefer (1728–1795) erwähnt, der sie in „siedend heißen Bergquellen der Lagone di Monte rotondo (auch Cherchiajo) und dem Lagone di Castel nuovo“ fand. Die später als Sassolin bezeichnete freie Borsäure wurde durch Paolo Mascagni an den Rändern der heißen Quelle bei Sasso, genauer Sasso Pisano in der Gemeinde Castelnuovo di Val di Cecina in der Toskana entdeckt. Den Namen Sassolin nach der Typlokalität des Minerals prägte 1800 Dietrich Ludwig Gustav Karsten.[2] Die chemische Untersuchung führte 1802 Martin Heinrich Klaproth durch.[11]
Da der Sassolin (englischSassolite) bereits lange vor der Gründung der International Mineralogical Association (IMA) bekannt und als eigenständige Mineralart anerkannt war, wurde dies von ihrer Commission on New Minerals, Nomenclature and Classification (CNMNC) übernommen und bezeichnet den Sassolin als sogenanntes „grandfathered“ (G) Mineral.[3] Die seit 2021 ebenfalls von der IMA/CNMNC anerkannte Kurzbezeichnung (auch Mineral-Symbol) von Sassolin lautet „Sso“.[1]
Klassifikation
Bereits in der zuletzt 1977 überarbeiteten 8. Auflage der Mineralsystematik nach Strunz gehörte der Sassolin zur Mineralklasse der „Oxide und Hydroxide“ und dort zur Abteilung „Hydroxide“, wo er als alleiniges Mitglied eine unbenannte Gruppe mit der Systemnummer IV/F.01 bildete.
In der zuletzt 2018 überarbeiteten Lapis-Systematik nach Stefan Weiß, die formal auf der alten Systematik von Karl Hugo Strunz in der 8. Auflage basiert, erhielt das Mineral die System- und Mineral-Nr. IV/F.01-010. Dies entspricht ebenfalls der Klasse der „Oxide und Hydroxide“, dort allerdings der neu definierten Abteilung „Hydroxide und oxidische Hydrate (wasserhaltige Oxide mit Schichtstruktur)“, wo Sassolin zusammen mit Behoit und Klinobehoit eine unbenannte Gruppe mit der Systemnummer IV/F.01 bildet.[5]
In der vorwiegend im englischen Sprachraum gebräuchlichen Systematik der Minerale nach Dana hat Sassolin die System- und Mineralnummer 24.03.01.01. Das entspricht der Klasse der „Carbonate, Nitrate und Borate“ und dort der Abteilung „Wasserfreie Borate“. Hier findet er sich innerhalb der Unterabteilung „Wasserfreie Borate mit (A)m(B)n[XO3]p“ als einziges Mitglied in einer unbenannten Gruppe mit der Systemnummer 24.03.01.
Die Kristallstruktur weist einen ausgeprägten schichtartigen Charakter auf. Die einzelnen, trigonal-planar (siehe auch VSEPR-Modell) aufgebauten Borsäure-Moleküle sind senkrecht zur kristallographischen c-Achse ([001]) ausgerichtet und bilden über Wasserstoffbrückenbindungen Schichten parallel der (001)-Ebene (ab-Ebene). Zwischen diesen Schichten bestehen nur sehr schwache intermolekulare Wechselwirkungen, wodurch sich auch die vollkommene Spaltbarkeit parallel der (001)-Ebene und die sehr geringe Mohshärte von 1 erklärt.
Elementarzelle von Sassolin
Blick entlang der c-Achse auf die Schichten aus Borsäuremolekülen
Eigenschaften
Chemische und physikalische Eigenschaften
Sassolin ist leicht löslich in Wasser und hat einen salzigen bis bitteren Geschmack. Unter kurzwelligem UV-Licht zeigen manche Sassoline eine blaue Fluoreszenz.[8]
Morphologie
Sassolin kristallisiert gewöhnlich in Form von schuppenartigen Plättchen mit einer pseudohexagonalen Symmetrie. Dieser sechseckige Querschnitt der Plättchen wird einerseits durch den nahe bei 120° liegenden γ-Winkel, andererseits auch durch die starke Tendenz zur Zwillingsbildung der Kristalle verursacht, wobei mehrere Individuen makroskopisch als ein Kristall erscheinen. Die Kristalle erreichen eine Größe von bis zu 5 mm. Seltener sind nadelförmige Kristalle, die stalaktitartig, an Gesteinsoberflächen hängend, wachsen.
Sassolin gehört zu den seltenen Mineralbildungen und konnte daher nur an wenigen Orten nachgewiesen werden. Weltweit sind bisher rund 40 Vorkommen dokumentiert.[13]
Da Borsäure als reproduktionstoxisch, d. h. „fruchtschädigend“ und „Fruchtbarkeit beeinträchtigend“[15], gilt, sollten Mineralproben in staubdichten Behältern aufbewahrt und eine Aufnahme in den Körper (Inkorporation, Ingestion) auf jeden Fall verhindert und zur Sicherheit direkter Körperkontakt vermieden werden. Der Grenzwert für Stäube liegt bei 0,5 mg/m3 Bor, entsprechend 3 mg/m3 Sassolin; zum Vergleich einige allgemeine Staub-Grenzwerte.
Dietrich Ludwig Gustav Karsten: Mineralogische Tabellen. Heinrich August Rottmann, Berlin 1800, S.75, Anmerkungen: (62) Der Sassolin... (rruff.info [PDF; 1,4MB; abgerufen am 22. Juli 2024]).
Martin Heinrich Klaproth: LXXX. Chemische Untersuchung des Sassolins. In: Beiträge zur chemischen Kenntnis der Mineralkörper. Band3. Decker und Co., Posen 1802, S.95–101 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche [abgerufen am 22. Juli 2024]).
Martin Okrusch, Siegfried Matthes: Mineralogie. Eine Einführung in die spezielle Mineralogie, Petrologie und Lagerstättenkunde. 7., vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage. Springer, Berlin [u. a.] 2005, ISBN 3-540-23812-3, S.171.
Sassolite search results. In: rruff.info. Database of Raman spectroscopy, X-ray diffraction and chemistry of minerals (RRUFF); abgerufen am 20. Juli 2024 (englisch).
↑ abDietrich Ludwig Gustav Karsten: Mineralogische Tabellen. Heinrich August Rottmann, Berlin 1800, S.75, Anmerkungen: (62) Der Sassolin... (rruff.info [PDF; 1,4MB; abgerufen am 22. Juli 2024]).
↑Hugo Strunz, Ernest H. Nickel: Strunz Mineralogical Tables. Chemical-structural Mineral Classification System. 9. Auflage. E. Schweizerbart’sche Verlagsbuchhandlung (Nägele u. Obermiller), Stuttgart 2001, ISBN 3-510-65188-X, S.328 (englisch).
↑ ab
Stefan Weiß: Das große Lapis Mineralienverzeichnis. Alle Mineralien von A – Z und ihre Eigenschaften. Stand 03/2018. 7., vollkommen neu bearbeitete und ergänzte Auflage. Weise, München 2018, ISBN 978-3-921656-83-9.
↑ abcd
M. Gajhede, S. Larsen, S. Rettrup: Electron density of orthoboric acid determined by X-ray diffraction at 105 K and ab initio calculations. In: Acta Crystallographica. B42, 1986, S.545–552 (englisch).
↑ ab
Sassolite. In: John W. Anthony, Richard A. Bideaux, Kenneth W. Bladh, Monte C. Nichols (Hrsg.): Handbook of Mineralogy, Mineralogical Society of America. 2001 (englisch, handbookofmineralogy.org [PDF; abgerufen am 20. Juli 2024]).
↑ abcSassolite. In: mindat.org. Hudson Institute of Mineralogy, abgerufen am 20. Juli 2024 (englisch).
↑Martin Heinrich Klaproth: LXXX. Chemische Untersuchung des Sassolins. In: Beiträge zur chemischen Kenntnis der Mineralkörper. Band3. Decker und Co., Posen 1802, S.95–101 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche [abgerufen am 22. Juli 2024]).