Die Gemeinde San Giovanni Valdarno liegt im Arnotal und besteht aus den Ortsteilen Badiola-Renacci, Gruccia, Borro al Quercio, Ponte alle Forche, Porcellino, Pruneto und Montecarlo.
San Giovanni Valdarno wurde ab 1296 unter dem Namen „Castel San Giovanni“ von der Kommune von Florenz als sogenannte Terra nuova (befestigte Neustadt) neu gegründet. Der Ort diente der Grenzsicherung der Republik Florenz zu ihrem aufwärts des Arno gelegenen Nachbarn Arezzo sowie als befestigter, etwa eine Tagesreise von der Mutterstadt entfernter Marktplatz und Zollstation auf der Pilger- und Handelsstraße Via Cassia von und nach Rom.
Städtebauliche Bedeutung
Das Castel San Giovanni war der Prototyp einer Serie von fünf realisierten Neustadtgründungen seitens der Kommune von Florenz, die damit ab der Wende zum 14. Jahrhundert das Ziel verfolgte, den noch jungen Territorialstaat fortifikatorisch an seiner Peripherie zu sichern. In den Folgejahren bis 1348 wurden Castelfranco di Sopra (Valdarno), Scarperia (Mugello), Firenzuola (Apennin) und Terranuova Bracciolini (Valdarno) nach gleichem Typ gegründet.
Der städtebauliche Typus dieser mittelalterlichenPlanstädte zeichnet sich insbesondere durch die streng rechtwinklig organisierten Stadtgrundrisse aus, die symmetrisch um eine longitudinale Mittelachse aufgespannt sind. Die meist längsrechteckigen (San Giovanni, Scarperia, Terranuova), teils annähernd quadratischen (Castelfranco di Sopra, Firenzuola) „Kastelle“ wurden von einer mit Türmen besetzten Stadtmauer eingefasst. Die heute nur in Einzelfällen in der mittelalterlichen Substanz erhaltenen Tortürme befanden sich jeweils in der Mitte der vier Mauerflanken, waren eigens Schutzheiligen geweiht und zitierten als herrschaftliche Landmarken die Architekturformen der Tore der Mutterstadt Florenz.
Das Zentrum der Städte nimmt stets ein Marktplatz ein, an oder auf dem ein Kommunalpalast errichtet wurde, um das Amt der von der Mutterkommune eingesetzten Landvögte (Vicari) zu beherbergen. Zum Bau der Städte wurde die Landbevölkerung der jeweiligen Region – bei Gewährung von befristeten Steuerprivilegien – verpflichtet, die auch die spätere Stadtbevölkerung bildete.
Das orthogonale Straßenraster und die Dimensionierung der darin eingebetteten Streifenparzellen sowie der darauf errichteten Bauvolumina nach einheitlichen Gestaltungsvorgaben, lassen auf einen Planungsprozess schließen, bei dem strenge geometrische Konstruktionsprinzipien zur Anwendung gebracht wurden, um einen hierarchisch geordneten Stadtkörper als Sozialtopographie einer neu-urbanisierten Bevölkerung zu erschaffen. Über die Freie Kunst der Geometrie wurde dem Stadtkörper eine „gottgefällige“, die zeitgenössischen Vorstellungen vom Himmlischen Jerusalem zitierende Form gegeben.[2]
Die Konstruktionsprinzipien lassen sich über scholastische Lehrbücher zur Geometrie (z. B. Liber abbaci des Fibonacci)[3] sowie über theologische und staatstheoretische Quellen (Thomas von Aquin, De civitate Dei des Augustinus, Vitruv) in einen reichen Bezugsrahmen urbanistischer Theorien des Mittelalters und der römischen Antike stellen. Bisher kaum erforscht sind zu vermutende Bezüge zum Corpus agrimensorum Romanorum. Der städtebauliche Entwurf wird seit Giorgio Vasari (Vite) bis heute, wenn auch letztlich nicht gesichert, dem Bildhauer und Architekten Arnolfo di Cambio zugeschrieben, nach dem im Volksmund auch der Kommunalpalast (Palazzo d’Arnolfo) benannt ist.
Der städtebauliche Typus der florentinischen Terra nuova ist eng verwandt mit den französischen Bastiden des 13. Jahrhunderts (z. B. Aigues-Mortes). Diese stilistische Einflusslinie findet ihr politisches Pendant in der zeitgenössischen Allianz des französischen Königshauses der Kapetinger mit dem Papsttum. Eine weitere formale Vorgängerin der Terre nuove ist die 1255 gegründete Stadt Pietrasanta.
Es ist in der Forschung umstritten, inwieweit die Florentinischen Terra nuova, und insbesondere San Giovanni Valdarno als ihr Prototyp, als frühe Idealstädte bzw. als Vorläufer der Idealstädte der Renaissance angesehen werden können.[4]
Mario Salmi (1889–1980), Kunsthistoriker, Kunstkritiker und Akademiker
Literatur
David Friedman: Florentine New Towns : urban design in the late Middle Ages. MIT Press, Cambridge/Mass. 1988, ISBN 0-262-06113-9.
Kerstin Geßner: Die Vermessung des Kosmos. Zur geometrischen Konstruktion von urbanem Raum im europäischen Mittelalter. Böhlau, 2020 (online).
Guidoni, Enrico (Hrsg.): Arnolfo di Cambio urbanistà . Buonsignori, Rom 2003, ISBN 88-7597-330-X.
Maria Teresa Bartoli u. a. (Hrsg.): Città e Architettura: Le Matrici di Arnolfo. Edifir, Florenz 2003, ISBN 88-7970-189-4.
Emanuele Repetti: SAN GIOVANNI, già S. GIOVANNI IN ALTURA e innanzi CASTEL DI PIAN ALBERTI nel Val d’Arno superiore. In: Dizionario Geografico Fisico Storico della Toscana (1833–1846), Onlineausgabe der Universität Siena (pdf, ital.)