Richard Schröder (Theologe)

Richard Schröder, 1990
Richard Schröder (2. von links), 1990
Richard Schröder verleiht die Quadriga 2010 in der Kategorie „Architektur der Einheit“ an Lothar de Maizière (l.) und Wolfgang Schäuble, dessen Ehefrau Ingeborg Schäuble (r.) den Preis stellvertretend in Empfang nimmt

Richard Schröder (* 26. Dezember 1943 in Frohburg) ist ein deutscher Philosoph und evangelischer Theologe. Von 1991 bis zur Emeritierung nach Vollendung des 65. Lebensjahres gehörte er zum Lehrkörper der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin. Am 18. März 1990 wurde er in die Volkskammer gewählt, war dort vom 3. April bis zum 21. August Fraktionsvorsitzender der Sozialdemokratischen Partei in der DDR und vom 3. Oktober 1990 bis zur Konstituierung des zwölften Bundestages nach der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl am 2. Dezember 1990 Mitglied des elften Deutschen Bundestages in der SPD. Er ist Vorsitzender des Fördervereins Berliner Schloss und war von 2003 bis 2018 Vorstandsvorsitzender der Deutschen Nationalstiftung.

Lebenslauf

Richard Schröder studierte Theologie und Philosophie an den Kirchlichen Hochschulen Naumburg (Saale) und Berlin. Von 1973 bis 1977 war er Pfarrer in Wiederstedt im Harz. 1977 erfolgte die Promotion, die 1990 durch die neue Regierung staatlich anerkannt wurde. Von 1977 bis 1990 war er Dozent für Philosophie am Katechetischen Oberseminar Naumburg und am Sprachenkonvikt Berlin. 1991 habilitierte er sich an der Kirchlichen Hochschule Leipzig. 1988/89 arbeitete Richard Schröder bei der „Ökumenischen Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ in der Deutschen Demokratischen Republik als Berater der Arbeitsgruppe „Mehr Gerechtigkeit in der DDR“, 1989 trat er in die Sozialdemokratische Partei in der DDR (SDP, später SPD) ein.

Am 18. März wurde er in die Volkskammer gewählt, war dort vom 3. April bis zum 21. August 1990 Fraktionsvorsitzender der SPD und gehörte zu den 144 Abgeordneten des elften Deutschen Bundestages, die die Volkskammer gemäß Art. 42 des Einigungsvertrags für die Zeit von der Wiedervereinigung Deutschlands am 3. Oktober bis zur Konstituierung des zwölften Bundestages nach der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl am 2. Dezember 1990 entsandte. Ab 1990 war er Mitglied der SPD-Grundwertekommission, aus der er 2001 austrat. Er begründete dies damit, dass seine Partei mit der PDS kooperiere.[1] Seine Lehrtätigkeit setzte Richard Schröder 1991 an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin fort. Von 1991 bis 1997 war er Mitglied des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und seit 1992 Mitglied des Beirates beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU). 1993 erfolgte die Berufung zum Professor auf den Lehrstuhl für Philosophie in Verbindung mit Systematischer Theologie an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität Berlin, wo er 1993 und 1994 auch Dekan war. Nach Vollendung des 65. Lebensjahres wurde er emeritiert.[2]

Von 1993 bis Januar 2009 war Richard Schröder Richter am Verfassungsgericht des Landes Brandenburg. Ab 2003 war er Vorstandsvorsitzender der Deutschen Nationalstiftung und wurde wegen der satzungsgemäßen Altersgrenze von 75 Jahren zum 1. Dezember 2018 von Thomas Mirow abgelöst.[3] Dem Senat der Stiftung gehört er weiterhin an. Von 1995 bis 2000 war er außerdem Vorsitzender des Kuratoriums der Weltausstellung Expo 2000 in Hannover. Seit 1999 ist Schröder Vorsitzender des Beirates der Evangelischen Akademie zu Berlin. Darüber hinaus ist er stellvertretender Beiratsvorsitzender der Vereinigung Gegen Vergessen – Für Demokratie. Von 2001 bis 2007 war er Mitglied des Nationalen Ethikrats.[4] 1994 war Schröder als Kandidat für die Wahl des Bundespräsidenten im Gespräch, ebenso fünf Jahre später. Im Jahre 2004 wurde Schröder zum Vorsitzenden des Fördervereins Berliner Schloss gewählt. Des Weiteren engagiert er sich seit 2009 im Vorstand der Deutschen Gesellschaft e. V. und ist derzeit dessen stellvertretender Vorsitzender. Er ist Mitglied der Neuen Mittwochsgesellschaft in Berlin.[5]

Schröder lebt in Blankenfelde (Brandenburg).[6]

Beiträge zu öffentlichen Debatten

Richard Schröder mischt sich immer wieder in öffentliche Debatten ein.

1999 beteiligte er sich mit einem eigenen Vorschlag an der Diskussion über das Berliner Holocaust-Mahnmal.[7] Auch in der Debatte über die Fortschritte in der Hirnforschung und Biomedizin meldete sich Schröder zu Wort.[8] Im Karikaturenstreit rügte er die dänische Zeitung Jyllands-Posten wegen der Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen.[9] Dem Neuen Atheismus eines Richard Dawkins wirft er Verabsolutierung der naturwissenschaftlichen Perspektive und eine unzureichende Kulturtheorie vor sowie Sprache und Impetus, die dem alten Atheismus der ehemaligen DDR nahe stünden.[10][11][12] Gegenüber dem neuen Atheismus Dawkins’ und dem Kreationismus macht Schröder gleichermaßen eine geisteswissenschaftliche und theologische Tradition geltend, die zwischen verschiedenen Textgattungen unterscheidet, Erzählungen in ihren ideengeschichtlichen Kontext einordnet und Entwicklungen im auszulegenden Text berücksichtigt.[11][13]

Schröder geriet 2007 nach einem Interview mit dem Deutschlandfunk in die Kritik. Darin warf er der 68er-Bewegung eine „atheistische Propaganda“ vor. Eine atheistische Propaganda habe es auch in der DDR gegeben. Das Christentum sei von der 68er-Bewegung „auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen“ worden. Schröder kritisierte in dem Interview auch die Aufklärung.[14]

Abtreibung

Wolfgang Böhmer äußerte sich 2008 zu einer Serie von Kindstötungen in Ostdeutschland und machte dafür die DDR-Mentalität verantwortlich: Da in der DDR seit 1972 eine Abtreibung in den ersten drei Monaten ohne weitere Angabe von Gründen möglich war, hätte sich dort eine „leichtfertigere Einstellung zum werdenden Leben“ entwickelt, die bis heute nachwirke.[15] Schröder war einer der wenigen, die Böhmer unterstützen. Schröder argumentierte, die DDR habe in Abtreibungen ein willkommenes Mittel für die höhere Verfügbarkeit von Arbeitskräften gesehen.[16]

Migrationskrise

2017 und 2018 bewertete Schröder die deutsche Migrations- und Flüchtlingspolitik kritisch. Im September 2015 und danach hätte die Bundesregierung zahlreiche Fehler gemacht. Die Prinzipien, die in seinen Augen zu gelten hätten, fasste Schröder so zusammen: Es gebe kein Menschenrecht auf Einwanderung, schon gar nicht in das Land der eigenen Wahl. Jeder Migrant habe sich an der deutschen Staatsgrenze bzw. an der europäischen Außengrenze ordnungsgemäß mit Personalpapieren auszuweisen. Wer dies nicht tue, begehe illegalen Grenzübertritt. Kein Mensch sei illegal, aber jeder Mensch könnte illegal wo sein, als Einbrecher beispielsweise. Man müsse zwischen Flüchtlingen bzw. Asylberechtigten und Einwanderern unterscheiden: „Flüchtlingen schützenden Aufenthalt zu gewähren ist eine Forderung der Humanität, und das darf auch etwas kosten oder: Es muss sich für uns nicht lohnen […] Bei Einwanderern dagegen dürfen wir unsere Interessen geltend machen. Einwanderung muss sich für uns lohnen.“[17] Unsortierte Zuwanderung sei die unrentabelste Art, fehlende Arbeitskräfte zu gewinnen. Der Irrtum, zu uns kämen die Ärmsten, habe fatale Folgen. Denn wir würden dann die wirklich Ärmsten, die gar nicht reisen könnten, übersehen. Weil unsere Einwanderungsbedingungen zu restriktiv seien, würden diejenigen, die einwandern wollen, Asyl beantragen. Armut und wirtschaftliche Not, Krieg und Bürgerkrieg seien aber nach internationalem Recht kein Grund für den Status eines Asylberechtigten. Wer zu uns komme, solle sich nach unseren Regeln richten oder er müsse wieder gehen. Zudem hält es Schröder für besser, wenn Migranten bei Einreise in ein „Aufnahmelager“ gekommen wären bzw. künftig kommen würden.[18] So habe man es doch auch mit DDR-Flüchtlingen und Spätaussiedlern aus Osteuropa gemacht. Während jeder deutsche Staatsbürger sich mit Dokumenten ausweisen müsse, habe man es seit 2015 hingenommen, dass Migranten die Feststellung ihrer Identität behindern und die Behörden durch Falschangaben bewusst in die Irre führen würden. Von daher hätte es Terroristen, die als Flüchtlinge getarnt gekommen wären, gelingen können, schlimme Terrorakte in Deutschland auszuführen. Für die Zukunft rät Schröder: „Am besten wäre es, wenn die Ankommenden bis zur endgültigen Entscheidung über ihren Status im Aufnahmelager verbleiben.“[19]

Währungsunion 1990

In einem längeren Zeitungsartikel betonte er, dass die Währungsunion von 1990 ein „Signal zum Bleiben“ gewesen sei. Um die Währungsunion würden sich viele Mythen ranken, die „übelster Art“ seien und die das Zusammenleben in Ost und West bis heute „vergiften“.[20]

Ehrungen

Ausgewählte Publikationen

  • Johann Gerhards lutherische Christologie und die aristotelische Metaphysik (= Beiträge zur historischen Theologie. Band 67). Tübingen 1983.
  • Denken im Zwielicht. Vorträge und Aufsätze aus der Alten DDR. Tübingen 1990.
  • Deutschland schwierig Vaterland. Freiburg 1993.
  • Vom Gebrauch der Freiheit. Stuttgart 1996.
  • Einsprüche und Zusprüche. Kommentare zum Zeitgeschehen. Stuttgart 2001.
  • Die wichtigsten Irrtümer über die deutsche Einheit. Freiburg im Breisgau 2007.
  • Abschaffung der Religion? Wissenschaftlicher Fanatismus und die Folgen. Freiburg im Breisgau 2008.
  • Gunter Weißgerber, Richard Schröder, Eva Quistorp: Weltoffenes Deutschland? Zehn Thesen, die unser Land verändern. Herder, Freiburg im Breisgau 2018.
  • mit Karl-Heinz Paqué: Gespaltene Nation? - Einspruch! : 30 Jahre Deutsche Einheit, Basel : NZZ Libro 2020, ISBN 978-3-907291-00-9.

Artikel und Aufsätze (Auswahl)

Reden (Auswahl)

Literatur

Commons: Richard Schröder – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Quellen

  1. Austritt aus Grundwertekommission: „Ich bitte um Verständnis“. In: Der Tagesspiegel. 30. Juli 2001.
  2. Abschiedsgruß des Präsidenten der Homboldt-Universität am 4. Februar 2009.
  3. https://www.nationalstiftung.de/pdf/PM_30_11_18.pdf
  4. eaberlin.de (Memento vom 10. März 2014 im Internet Archive).
  5. Helmut Schmidt, Richard Freiherr von Weizsäcker (Hrsg.): Innenansichten aus Europa. C. H. Beck, München 2007, ISBN 3-406-55864-X, S. 334 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  6. Richard Schröder. In: bbaw.de. Abgerufen am 16. Juli 2024.
  7. R. Schröder: So nicht! Ein fauler Kompromiss über das Mahnmal bahnt sich an. In: Die Zeit. 21. Januar 1999; ders.: Du sollst nicht morden. Das Mahnmal als Mahnung formuliert. In: FAZ. 22. März 1999; ders.: Verbietet das Morden! Antwort auf sechs Einwände zu meinem Mahnmalvorschlag. In: Die Zeit. 29. April 1999. Kritisch zu Schröders Vorschlag äußerten sich Karl Heinz Bohrer: Theologischer Eskapismus. Adresse an Richard Schröder. In: SZ. 27./28. März 1999; Eberhard Jäckel/W. Boeckh: Du sollst ein Mahnmal bauen. Die unendliche Geschichte des Berliner Holocaust-Mahnmals: Ist Richard Schröders Vorschlag besser als der Entwurf von Peter Eisenman? In: FAZ. 23. Juni 1999.
  8. Vgl. z. B. R. Schröder: Aliens lachen nicht. Das Bewußtsein wird sich nie im Labor nachweisen lassen. In: Die Zeit. 2. Juli 1998; ders.: Was dürfen, was sollen wir tun? Fragen eines Philosophen zu den Fortschritten in der Biomedizin. In: FAZ. 21. Juli 2001, S. 8.
  9. R. Schröder: Provokation ohne Not. „Jyllands-Posten“ hätte die Mohammed-Karikaturen nicht drucken sollen. In: Der Tagesspiegel. 7. Februar 2006.
  10. R. Schröder: Abschaffung der Religion? Wissenschaftlicher Fanatismus und die Folgen. Freiburg im Breisgau 2008.
  11. a b Josef Bordat: Christliche Aufklärung – Richard Schröder gelingt mit "Abschaffung der Religion" eine kenntnisreiche und wohltuend differenzierte Analyse der Problematik des Wissenschaftsfundamentalimus'. In: Literaturkritik.de Nr. 4, April 2009, aufgerufen am 22. August 2016.
  12. Peter Monnerjahn: Intellektueller Selbstmord. Der Theologe Richard Schröder will den Glauben gegen die Wissenschaft, vor allem gegen Richard Dawkins, verteidigen, was aber gründlich daneben geht. In: Telepolis. 8. März 2011, abgerufen am 19. Mai 2012.
  13. Stefan Höltgen: Wenn zwei sich streiten. Am Ende des Darwin-Jahres bleibt eine Frage zum Glück unbeantwortet. In: Telepolis 23. Dezember 2009, abgerufen am 22. August 2016.
  14. Evangelischer Theologe: Wir müssen die Ausstrahlungskraft verstärken. In: Deutschlandfunk vom 6. November 2007.
  15. Periskop: „Leichtfertigere Einstellung“. In: Focus Nr. 9/2008. 25. Februar 2008, abgerufen am 12. April 2014.
  16. Philipp Oehmke, Dietmar Pieper: Die DDR-Prägung hält an. In: Der Spiegel. Nr. 10, 2008 (online3. März 2008).
  17. Gunter Weißgerber, Richard Schröder, Eva Quistorp: Weltoffenes Deutschland? – Zehn Thesen, die unser Land verändern. Herder, Freiburg im Breisgau 2018. S. 26.
  18. Gunter Weißgerber, Richard Schröder, Eva Quistorp: Weltoffenes Deutschland? – Zehn Thesen, die unser Land verändern. Herder, Freiburg im Breisgau 2018. S. 46 ff.
  19. Gunter Weißgerber, Richard Schröder, Eva Quistorp: Weltoffenes Deutschland? – Zehn Thesen, die unser Land verändern. Herder, Freiburg im Breisgau 2018. S. 50.
  20. Richard Schröder: Ein Signal zum Bleiben, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. Dezember 2021, Seite 6
  21. Ordensverleihung zum Tag der Deutschen Einheit, abgerufen am 4. Oktober 2015.
  22. die Kirche. Nr. 19, 8. Mai 2016, Rubrik Personen und Zitate, ISSN 0949-8664, S. 9: „Als Vorsitzender der SPD-Fraktion [der einzig frei gewählten Volkskammer der DDR 1990] habe er sich in den entscheidenden Monaten der Vorbereitung der deutschen Einheit über Parteigrenzen hinweg hohe Anerkennung und außerordentliche Wertschätzung erworben, hieß es zur Begründung der Preisverleihung. Auch beim Wiederaufbau der neuen Länder und der Gestaltung der inneren Einheit Deutschlands ‚war er ein engagierter und vielgefragter Begleiter und Ratgeber von Politik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft‘, so das Kuratorium Deutsche Einheit.“
  23. Verdienste für die Deutsche Einheit Richard Schröder mit Point-Alpha-Preis ausgezeichnet (Memento vom 21. Juni 2016 im Internet Archive), mdr.de, Meldung vom 19. Juni 2016.