Im Konklave von 1903 nach dem Tod Leos XIII. fungierte er als Konklavesekretär. Dies war der Anlass für seine erste Begegnung mit Erzbischof Sarto, dem in diesem Konklave gewählten Papst Pius X., der noch am Abend seiner Wahl den erst 38-Jährigen zur allgemeinen Überraschung wegen seiner Vielsprachigkeit und diplomatischen Erfahrung zum Pro-Staatssekretär ernannte.
Rafael Merry del Val gehörte zusammen mit dem KirchenhistorikerUmberto Benigni zu den entschiedensten Verfechtern des römischen Antimodernismus, der das Pontifikat des später heiliggesprochenen Papstes Pius X. prägte, auf den er großen Einfluss besaß. 1904 wurde er Präsident der Päpstlichen Kommission für die Koordination von Wohlfahrtsfragen der Kirche, die Vermögensverwaltung des Heiligen Stuhls. Anders als früher angenommen, beschränkte sich seine Mitarbeit an der Antimodernismusenzyklika Pascendi (1907) inhaltlich fast nur auf kleinere redaktionelle Verbesserungsvorschläge, die im Ton oft sogar eher mäßigend wirken sollten. Maßgeblich für deren einschlagende Wirkung war hingegen die von ihm konzipierten Pressekampagne zur Verbreitung des Rundschreibens, das in mehreren Sprachen zugleich verschickt wurde, um den größtmöglichen Effekt zu erzielen.[2] 1911 bis 1912 war er Camerlengo des Kardinalskollegiums, ab 1912 leitete er auch die Verwaltung der Dombauhütte des Petersdoms. Am 12. Januar 1914 wurde er dafür mit dem Titel des Erzpriesters der Petersbasilika des Vatikans ausgezeichnet. Am 24. Juni 1914, wenige Tage vor Ausbruch der Julikrise, unterzeichnete Merry del Val das maßgeblich von Eugenio Pacelli, der damals Sekretär der Merry del Val unterstellten Kongregation für außerordentliche Aufgaben der Kirche war, vorbereitete Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und Serbien. Mit dem Ableben Pius’ X. im August 1914 endete entsprechend den Bestimmungen des Kirchenrechts das Amt des Päpstlichen Staatssekretärs.
Sekretär des Heiligen Offiziums
Merry del Val nahm am Konklave 1914 teil, das im Schatten des gerade ausgebrochenen Krieges stattfand und aus dem der neue Papst Benedikt XV. hervorging. Dessen Agenda lief den Zielen der bisher im Vatikan herrschenden Kurienfraktion unter Führung Merry del Vals politisch wie kirchenpolitisch entgegen. Der neue Papst berief Merry del Val auf die kaum einflussreichen Ämter eines Sekretärs des Heiligen Offiziums und Präsidenten der Akademie für katholische Religion in Rom. Darüber hinaus leitete er als päpstlicher Legat mehrere Gesandtschaften in Italien und im Ausland.
Beim Konklave im Februar 1922, an dem er als Camerlengo des Kardinalskollegiums teilnahm, gehörte Merry del Val zu den Führern der „frommen Eiferer“ (zelanti), die der diplomatischeren Partei der „Politiker“ (politicanti) unter Pietro Gasparri gegenüberstanden, einem engen Vertrauten des überraschend verstorbenen Benedikt XV. Als neuer Papst ging der Kompromisskandidat Achille Ratti aus der Wahl hervor, der den Namen Pius XI. annahm.
Unter dessen Pontifikat behielt Rafael Merry del Val seine Stellung als Sekretär des Heiligen Offiziums bei und wirkte an einigen Entscheidungen des Papstes mit, die insbesondere die Beziehungen zu Nichtgläubigen, den Ökumenismus, den Umgang mit abweichenden Meinungen in doktrinären Fragen und die religiöse Kunst betrafen. So verbot er in einer nachträglich vom Papst bestätigten Entscheidung die personifizierende Darstellung des Heiligen Geistes in der bildenden Kunst, sowohl allein als auch in Gruppen von drei Männern, die die Trinität verkörpern sollen. Kurz vor seinem Tod gehörte er zu den Triebfedern der schroffen Abweisung einer Bitte um Reform der Karfreitagsfürbitte für die Juden durch Mitglieder der Vereinigung Amici Israel, deren Verbot er durchsetzte.
Tod
Aufgrund eines Narkosefehlers erstickte Rafael Merry del Val am 26. Februar 1930 während einer Blinddarmoperation. Die Feierlichkeiten zu seinem Begräbnis im Petersdom leitete der damals frisch ernannte Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII.
Rezeption
In dessen Pontifikat wurde am 26. Februar 1953 ein Seligsprechungsprozess für Rafael Merry del Val zwar eröffnet, später jedoch ausgesetzt, wobei ihm der Ehrentitel Ehrwürdiger Diener Gottes[3] zuerkannt wurde. Berühmtheit erlangten seine Fremdsprachenkenntnisse: Er beherrschte insgesamt 63 Fremdsprachen (inklusive Dialekte), die meisten davon fließend.
Otto Hierl-Deronco porträtierte ihn im Vatikan mehrfach, in Lebensgröße, am Schreibtisch und als Brustbild mit dem Kardinalshut, der damals jedem Kardinal vom Papst bei der Ernennung aufgesetzt wurde. Bekannt wurde das Doppelporträt Papst Pius X. mit seinem Staatssekretär, denn seit Mitte des 16. Jahrhunderts war es keinem Künstler mehr erlaubt worden, den Papst mit Kardinälen zusammen zu porträtieren.
Rafael Merry del Val wurde schon zu Lebzeiten sehr kontrovers beurteilt und mit diversen Spitznamen bedacht.[4]Hans Barth schrieb 1911: „Merry del Val, oder, wie ihn seine Kollegen heißen, ‚Very del Mal‘, hat so viele Fehler begangen, so viel Unheil über die Kirche gebracht, dass nur ein wirklich bedeutender und erfahrener Mann den Schaden wieder wenigstens einigermaßen gutmachen kann.“[5] Die Karikaturisten seiner Zeit verliehen ihm stets finster-dämonische Züge.[6] Eine fundierte wissenschaftliche Biografie, die alle Aspekte seines Lebens und Wirkens abdeckt, fehlt bislang und bleibt ein Forschungsdesiderat.[7]
Werke
Pius X. Erinnerungen und Eindrücke seines Staatssekretärs. 4. Auflage. Basel 1954.
Literatur
Giuseppe dalla Torre: The Cardinal of charity. Memorial discourse on the work and virtues of the late Cardinal Raphael Merry del Val. New York 1932.
Pio Cenci: Il Cardinale Raffaele Merry del Val. Rom 1933.
Vigilio Dalpiaz: Attraverso una porpora. Il cardinale Merry del Val. Turin 1935.
Rafael Figueroa Ortega: Una gloria de la iglesia. El Cardenal Rafael Merry del Val. Mexiko 1937.
Girolamo dal Gal: Il cardinale Merry del Val. Segretario di Stato del Beato Pio X. Rom 1953.
Mary Bernetta Quinn: Give me souls. A life of Raphael Cardinal Merry del Val. Westminster 1958.
Girolamo dal Gal: The spiritual life of Cardinal Merry del Val. New York 1959.
Marie-Cecilia Buehrle: Rafael Cardinal Merry del Val. London 1957.
Jean LeBlanc: Dictionnaire biographique des évêques catholiques du Canada. Les diocèses catholiques canadiens des Églises latine et orientales et leurs évêques; repères chronologiques et biographiques, 1658–2002. Ottawa 2002, S. 242–245.
Martin Bräuer: Handbuch der Kardinäle. 1846–2012. Walter de Gruyter, Berlin/Boston 2014, ISBN 978-3-11037077-5, S. 200 f.
Philippe Roy-Lysencourt: Le cardinal Rafaël Merry del Val (1865–1930). Aperçu biographique. Institut d’Étude du christianisme, Straßburg 2016, ISBN 979-10-94867-02-0 (Rezension von François Bœspflug).
↑Bernardo Rodríguez Caparrini: Alumnos españoles en el internado jesuita de Beaumont (Old Windsor, Inglaterra), 1874–1880. In: Miscelánea Comillas 70 (2012), Nr. 136, S. 241–264 (hier: S. 244).
↑Claus Arnold: Absage an die Moderne? Pius X. und die Entstehung der Enzyklika Pascendi (1907). In: Theologie und Philosophie, 80. Jg. (2005), Heft 2, S. 201–224; hier: S. 217 f.
↑Claus Arnold: Absage an die Moderne? Pius X. und die Entstehung der Enzyklika Pascendi (1907). In: Theologie und Philosophie, 80. Jg. (2005), Heft 2, S. 201–224; hier: S. 218.
↑Claus Arnold: Absage an die Moderne? Pius X. und die Entstehung der Enzyklika Pascendi (1907). In: Theologie und Philosophie, 80. Jg. (2005), Heft 2, S. 201–224; hier: S. 201.
↑François Bœspflug: Rezension zu: Philippe Roy-Lysencourt, Le cardinal Rafael Merry del Val (1865–1930). Aperçu biographique. Strasbourg, Institut d’Étude du Christianisme, coll. « Études », 2016, 94 p. In: Archives de sciences sociales des religions, Nr. 184 (4/2018), S. 358–359 (französisch, online).