Otto Weidt, Sohn des Tapezierers Max Weidt und der Auguste Grell, siedelte als Kind mit seiner Familie von Rostock nach Berlin über. Er erlernte wie sein Vater den Beruf des Tapezierers. Er war überzeugter Pazifist; dem Einsatz im Ersten Weltkrieg konnte er sich dank eines Ohrenleidens entziehen.
Im Jahr 1913 heiratete Weidt die Schneiderin Martha Karoline Gustava Konieczny.[1] Die Ehe wurde 1918 geschieden. In zweiter Ehe heiratete er 1919 die Pförtnerin Johanna Stoll.[2] Im Jahr 1928 wurde auch diese Ehe geschieden.
Anfang der 1940er Jahre war Weidt in dritter Ehe kinderlos verheiratet. Selbst erblindet, eröffnete er in der Rosenthaler Straße 39 eine Blindenwerkstatt als Besen- und Bürstenbinderei. Sie war ein „wehrwichtiger Betrieb“, da er seine Produkte hauptsächlich an die Wehrmacht verkaufte. Es gelang Weidt durch gute Beziehungen, Bestechung, Passfälschung und mit Unterstützung von Hedwig Porschütz, seine größtenteils jüdischen Mitarbeiter zu versorgen und zunächst vor den einsetzenden Deportationen zu schützen. Zu ihnen zählten Inge Deutschkron, Hans Israelowicz und Alice Licht.
Die 1922 geborenen Zwillinge Anneliese und Marianne Bernstein konnte er bei Hedwig Porschütz unterbringen. Sie nahm beide in ihre kleine Wohnung auf, versorgte sie und sicherte ihr Überleben.
Unter großem Aufwand organisierte Otto Weidt die Versorgung von wenigstens 25 Menschen, die im Ghetto Theresienstadt inhaftiert waren, mit Lebensmittelpaketen, die unter Verwendung zahlreicher fingierter Absender geschickt wurden. Von den bedachten Personen überlebten drei; die anderen wurden im Herbst 1944 ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert und dort ermordet.
Die Familie Horn versteckte er in einem Hinterraum seiner Werkstatt, bis sie nach neun Monaten von einem Gestapo-Spitzel verraten wurde. Kurz vor Kriegsende fuhr er nach Auschwitz, um zu seiner Freundin Alice Licht Kontakt aufzunehmen und sie bei einer Flucht zu unterstützen. Als sie in Christianstadt bei der Munitionsproduktion eingesetzt wurde, mietete er dort ein Zimmer für sie an. Beim Todesmarsch aus dem Außenlager des KZ Groß-Rosen konnte sie fliehen und fand in dem Zimmer Unterschlupf. Danach tauchte sie bei den Weidts in Berlin unter und wanderte später in die USA aus.
Nach dem Krieg setzte sich Weidt für den Bau eines jüdischen Waisenhauses und eines Altenheimes für KZ-Überlebende ein.
Otto Weidt starb 1947 im Alter von 64 Jahren in Berlin. Beigesetzt wurde er auf dem Friedhof Zehlendorf.[3] Auf Beschluss des Berliner Senats ist die letzte Ruhestätte von Otto Weidt (Feld 22 U 319) seit 1994 als Ehrengrab des Landes Berlin gewidmet. Die Widmung wurde im Jahr 2018 um die übliche Frist von zwanzig Jahren verlängert.[4]
Gedenken
1993 wurde auf Initiative von Inge Deutschkron am Haus Rosenthaler Straße 39 ihm zu Ehren eine Gedenktafel angebracht. Weidts ehemalige Werkstatt ist heute ein Museum, das von der Gedenkstätte Deutscher Widerstand betreut wird.
Ebenfalls auf Initiative von Inge Deutschkron wurde 2018 in Berlin-Mitte mit dem Bau eines Platzes in der Europacity begonnen, der Otto-Weidt-Platz benannt wurde.[5] Die Randbebauung des Otto-Weidt-Platzes sowohl auf der Nordseite (Hausnummern 1–13) wie auf der Südseite (Hausnummern 2–16) ist mittlerweile (Stand Frühjahr 2023) fertiggestellt, die Gestaltung des Platzes selbst ist noch überwiegend unvollendet; erst etwa ein Fünftel der Fläche an der Heidestraße ist als Parkanlage für die Öffentlichkeit zugänglich, der größere Teil des Platzes liegt unvollendet hinter einem Bauzaun (Stand Juni 2023), nur ein Pfad verbindet ihn mit dem Golda-Meir-Steig, der über den Berlin-Spandauer Schifffahrtskanal führt.[6]
Die Straßenschilder an den beiden Ecken des Otto-Weidt-Platzes mit der Heidestraße enthalten Tafeln mit der biographischen Angabe „Otto Weidt, Inhaber einer Blindenwerkstatt, Gegner des Nationalsozialismus, Retter von Jüdinnen und Juden, geb. 1883, gest. 1947“.[7] Das elfgeschossige Hochhaus an der Südecke des Platzes nimmt dessen Namen auf und heißt Weidt Park Corner[8], die Bushaltestelle der Linie 147 an der Nordecke zur Heidestraße trägt den Namen Otto-Weidt-Platz und verbindet diesen in drei Minuten mit dem Berliner Hauptbahnhof.[9] Von der Bushaltestelle sind es nur wenige Schritte nordwärts zur Hedwig-Porschütz-Straße, benannt nach der Mitstreiterin Otto Weidts.
Rosenthaler Straße 39, Weidts ehemalige Bürstenfabrik
Gedenktafel am Haus Rosenthaler Straße 39, in Berlin-Mitte
Abraham Ingber: „Stille Helden“? Moralische Grauzonen von Judenhelfer*innen am Beispiel des Hilfsnetzwerk um den Bürstenfabrikanten Otto Weidt. In: informationen. Wissenschaftliche Zeitschrift des Studienkreises Deutscher Widerstand 1933–1945 46 (2021), 94.
Robert Kain: Otto Weidt. Anarchist und „Gerechter unter den Völkern“ (Schriften der Gedenkstätte Deutscher Widerstand / Reihe A / Analysen und Darstellungen; Band 10). Lukas Verlag, Berlin 2017, ISBN 978-3-86732-271-3 (Volltext in Leseprobe Online).
Robert Kain: Pierre Ramus’ Begegnung mit dem späteren „Stillen Helden“ Otto Weidt. In: Erkenntnis, Jg. 19, Nr. 19 (2011), S. 82–89; ramus.at (PDF; 836 kB).
Robert Kain: Otto Weidt: Vom Anarchisten zum „Gerechten unter den Völkern“. In: Hans Coppi, Stefan Heinz (Hrsg.): Der vergessene Widerstand der Arbeiter – Gewerkschafter, Kommunisten, Sozialdemokraten, Trotzkisten, Anarchisten und Zwangsarbeiter. Dietz, Berlin 2012, ISBN 978-3-320-02264-8, S. 185–198.
David Koser et al.: Blindenwerkstatt Otto Weidt. In: Hauptstadt des Holocaust. Orte nationalsozialistischer Rassenpolitik in Berlin. Stadtagentur, Berlin 2009, ISBN 978-3-9813154-0-0. Ort 35, S. 154; Volltext in Leseprobe (PDF; 1,3 MB) stadtagentur.de
↑Inaugenscheinnahme bei einer Ortsbegehung am 4. Juni 2023. Auf der Website SR2 KulturRadio gibt es als Illustration zur Sendung ZeitZeichen vom 3. Mai 2023 aus Anlass des 140. Geburtstags von Otto Weidt am 3. Mai 1883 eine Aufnahme des Fotografen Jürgen Ritter vom 22. April 2022 (Quelle: Bildagentur Imago), die eines der Straßenschilder mit biographischer Tafel zeigt.