Le Cour Grandmaison geht der Frage nach, welche Besonderheiten die französischen Kolonialkonflikte in Nordafrika und anderswo hatten. Dabei interessieren ihn die von den Franzosen in Algerien angewandten Methoden des Ausräucherns von Menschen, die in weiträumigen Höhlen Zuflucht gesucht hatten, der Massaker an Gefangenen und Zivilpersonen, der Razzien, der Zerstörung der Anbauflächen und der Dörfer, die die Form des Krieges seit 1830 in den Auseinandersetzungen mit Abd el-Kader (1808 bis 1883) bestimmten. Im Zusammenhang dieser Konflikte kam es zunehmend zu rassistischen und diskriminierenden Maßnahmen gegenüber den „Eingeborenen“, deren Rechtfertigungsmuster Le Cour Grandmaison in zeitgenössischen Dokumenten der sich ausbildenden Kolonialwissenschaften, in den Debatten der Nationalversammlung und in der Belletristik aufspürt und nachzeichnet. Diese Rechtfertigungsmuster seien schließlich in der Dritten Französischen Republik kodifiziert worden und auf die neuen überseeischen Territorien Indochina, Neu-Kaledonien und Französisch-Westafrika übertragen worden, mit deren Erwerb sich Frankreich um 1900 in kürzester Zeit zur zweiten Kolonialmacht nach dem Britischen Empire entwickelte.
Den Algerienkrieg 1954–1962 sieht Le Cour Grandmaison dann von den Auseinandersetzungsformen bestimmt, wie sie sich in den extremen Gewalttätigkeiten der totalen Kriege auf dem Alten Kontinent niedergeschlagen hätten.[5]
Den bereits 2005 für die französische Kolonialdiskussion herausgearbeiteten „Lebensraum“-Begriff verfolgt Le Cour Grandmaison weiter und macht einen Unterschied zwischen „imperialem“ und „nationalsozialistischem Lebensraum“. Bei allen Besonderheiten der von den Nationalsozialisten auf dem europäischen Kontinent selbst durchgeführten Verbrechen sei es unmöglich, Auftauchen, Formierung und manchmal sogar das genaue Funktionieren des „nationalsozialistischen“ vom „imperialen Lebensraum“ zu trennen. Dieser sei jenem vorausgegangen und in seiner Vorläuferrolle zu oft unterschätzt und sogar ignoriert worden. Das sei in Untersuchungen geschehen, in denen Adolf Hitlers Vorstellungen aus dem Epochenzusammenhang, in dem sie entstanden seien, herausgerissen wurden, was eine „singuläre Dekontextualisierung“ darstelle.[7]
↑Le 17 octobre 1961: un crime d’État à Paris, sous la dir. de O. Le Cour Grandmaison, Les Editions La Dispute: Paris 2001.
↑Le retour des camps: Sangatte, Lampedusa, Guantanamo, sous la dir. de O. Le Cour Grandmaison, G. Lhuilier, J. Valluy, Editions Autrement: Paris 2007.
↑Haine(s): Philosophie et politique, avant-propos d’Étienne Balibar, PUF: Paris 2002.
↑Olivier Le Cour Grandmaison, Coloniser. Exterminer. Sur la guerre et l’État colonial, Fayard.Paris 2005.
↑Das Attribut „größer“ beim entsprechenden Land bezieht sich auf die koloniale Ausdehnung über die Nationalstaatsgrenzen hinaus und ist Gemeingut der europäischen Begriffsbildung bis in die Gegenwart: Charles Dilkes schrieb 1869 in England sein Buch „Greater Britain“ (vgl. Hannah Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, 2001, S. 397); Paul Rohrbach veröffentlichte im August 1915 seine Schrift „Das größere Deutschland“ (Vgl. Tomáš Garrigue Masaryk, Das neue Europa, 1922/1991, S. 181). In der Forderung nach Greater Israel oder Großisrael findet sich eine analoge Spiegelung.