Karlin wurde als Tochter von Harry Samuels und dessen Ehefrau Céline Aronowitz in eine wohlhabende, orthodoxejüdische Londoner Familie hineingeboren. Ihr Vater war ein erfolgreicher Barrister, mit den Schwerpunkten Wirtschaftsrecht, Arbeitsrecht und Gewerkschaftsrecht. Verwandte ihrer Mutter wurden später im KZ Auschwitz ermordet. Karlin bewunderte zeitlebens die Arbeit und das soziale Engagement ihres Vaters, was auch ihre eigenen späteren sozialen und gesellschaftspolitischen Aktivitäten erklärt. Sie selbst hatte seit ihrer Jugend großes Interesse am Theater und an der Politik. Karlin wuchs im Londoner Stadtteil Hampstead auf. Sie besuchte die South Hampstead High School. In dieser Zeit litt Karlin stark an Übergewicht; dieses bekämpfte sie später mit radikalen Abmagerungskuren und Diäten.
1946 gab sie ihr Londoner Theaterdebüt am Lyric Hammersmith Theatre mit der Rolle der Lorene, einer unattraktiven Frau, in dem Bühnenstück The Time of Your Life von William Saroyan. Es folgte 1947, an der Seite von Bonar Colleano, ein Engagement am Londoner The Strand als Miss Sharpe in der Komödie Separate Rooms von Joseph Carole, Alan Dinehart, Alex Gottlieb und Edmund Joseph. In den folgenden zehn Jahren trat Karlin in zahlreichen Bühnenrollen im Londoner West End auf.
Anfang 1956 spielte sie am Lyric Hammersmith Theatre die Rolle der polnischen Pilotin und Kunstfliegerin Lina Szczepanowska in der Komödie Mesallianz oder Falsch verbunden (Misalliance) von George Bernard Shaw; für diese Rolle hatte sie innerhalb von vier Wochen über 12 Kilo abgenommen. Ende 1956 übernahm sie am Phoenix Theatre in London die Rolle der Mrs. van Daan in einer Bühnenfassung von Das Tagebuch der Anne Frank. 1959/1960 spielte sie die Rolle der Lily Smith, ein liebenswürdiges „leichtes Mädchen“, in dem MusicalFings Ain't Wot They Used T' Be von Lionel Bart, zunächst am Theatre Royal Stratford East in London und später am Garrick Theatre im West End.[1] 1966 trat sie am Jeannetta Cochrane Theatre in London in drei Stücken von Saul Bellow, The Bellow Plays, auf. 1967 verkörperte sie am Her Majesty’s Theatre in London, an der Seite des israelischen Schauspielers Topol, die Golde in dem Musical Fiddler on the Roof.
1981 spielte sie bei der Royal Shakespeare Company in Stratford-upon-Avon die Titelrolle in dem Drama The Witch of Edmonton von John Ford, Thomas Dekker und William Rowley. Die Rolle gestaltete sie mit völligem darstellerischen und körperlichen Einsatz. Die Szene, in der sie von den Bewohnern des Dorfes verprügelt wird, spielte sie stets ohne künstliche Polsterung ihres Kostüms. 1990 war sie am Sherman Theatre in Cardiff die erste Frau, die die Titelrolle in Harold Pinters Bühnenerfolg Der Hausmeister darstellte.[2] Zu ihren späten Bühnenrollen gehörten die Großmutter Zofia in dem Theaterstück Tongue of a Bird von Ellen McLaughlin (Almeida Theatre London, 1997) und die Ladeninhaberin Mrs. Steinberg in der Komödie Mrs Steinberg and The Byker Boy (Bush Theatre London, 2000) von Michael Wilcox.[3][4]
2008 spielte Karlin, im Alter von 83 Jahren, am Finborough Theatre in London ihre letzte Bühnenrolle. Sie verkörperte die auf einen Rollstuhl angewiesene jüdische Altenheim-Bewohnerin Stella in dem Theaterstück Many Roads To Paradise von Stewart Permutt.[5]
Film und Fernsehen
Ihr Filmdebüt gab Karlin 1952 in einer winzigen Rolle als Ladenkundin in der britischen Filmkomödie Down Among the Z Men. Es folgten bis Ende der 1950er Jahre zahlreiche kleine Rollen und Kleinstrollen, in denen Karlin oftmals nur in einer einzigen Szene kurz zu sehen war und nicht einmal im Abspann des Films erwähnt wurde.
1960 hatte sie eine kleine Rolle als Soubrette in dem Film Der Komödiant von Tony Richardson, einer Verfilmung des Theaterstücks The Entertainer von John Osborne. In der romantischen Komödie Die Millionärin (1960) übernahm sie die Rolle der Mrs. Maria Joe. Einen kurzen, aber eindrucksvollen Auftritt hatte sie als Katzenlady in Stanley Kubricks Film Uhrwerk Orange (1971). Sie spielte eine alleinstehende Frau, die von Alex, dem Anführer der Jugendbande, der in ihr Haus eindringt, mit einer phallischenStatue angegriffen und erschlagen wird.[6] Unter der Regie von Ken Russell spielte sie Gustav Mahlers Tante Rosa in der Filmbiografie Mahler (1974).
1990 war sie als geldgierige Bordell-Inhaberin Mrs. Hackett in dem KriminalfilmJekyll und Hyde zu sehen. In dem französisch-britischen Filmdrama In stürmischen Zeiten (2000) verkörperte sie die Rolle der jüdischen Nachbarin Madame Goldstein, die bei der Besetzung von Paris von den Nationalsozialisten verschleppt wird. In dem Thriller Children of Men (2006) hatte sie eine kleine Rolle als gefangene Großmutter. Ihre letzte Filmrolle hatte sie, an der Seite von Daniel Craig, als griesgrämige Witwe und Nachbarin Mrs. Rogers in dem Filmdrama Flashbacks of a Fool (2008).
Häufig arbeitete Karlin auch für das Fernsehen. Besondere Bekanntheit erreichte Karlin hier insbesondere durch ihre Rolle in der britischen SitcomThe Rag Trade (1961–1963). In der in einer kleinen Textilfabrik spielenden Fernsehserie verkörperte Karlin die stets zu einem Streik bereite, militante Betriebsratsvorsitzende Paddy, die mit einem Pfiff und ihrem Kommando „Alle raus hier!“ (Everybody Out!) jeweils einen neuen Streik anfängt. Die Parole „Everybody Out!“ wurde in Großbritannien zum geflügelten Wort. 1962 spielte sie diese Rolle auch in einer Bühnenfassung von The Rag Trade am Piccadilly Theatre in London. 1977/1978 gab es ein Revival der Serie, in dem Karlin erneut erfolgreich die Rolle der Paddy übernahm.
Eine weitere durchgehende Serienrolle hatte sie von 1992 bis 1994 als Yetta Feldman in der Sitcom So Haunt Me, in der sie den Geist der jüdischen Vorbesitzerin des Hauses spielte. Sie übernahm auch Episodenrollen in verschiedenen weiteren Fernsehserien, unter anderem in Rooms (1974–1976), Crown Court (1975), Casualty (1996), Doctors (2001; 2004) und Dalziel und Pascoe (2005).
Politisches Engagement
Karlin war lange Jahre Mitglied des Verwaltungsrates (Council) der britischen Schauspielergewerkschaft Equity.
Sie war Schirmherrin der britischen Sterbehilfe-Organisation Dignity in Dying.
Privates
Karlin war unverheiratet und lebte in South London. Sie bezeichnete sich selbst als „fundamentalistische Atheistin“.[9]
2007 veröffentlichte sie ihre MemoirenSome Sort of a Life. Karlin litt, wie sie in ihrer Autobiografie enthüllte, seit den 1950er Jahren unter Essstörungen. Ab den 1970er Jahren kamen weitere massive gesundheitliche Probleme hinzu. Sie hatte Rückenprobleme und litt an peripherer Neuropathie, die sie zum Teil auf ihre radikalen Abmagerungskuren in den 1950er Jahren zurückführte. Karlin schloss sich dem Neuropathy Trust an; sie stand auch mit der Sterbehilfeorganisation Exit (jetzt: Dignity in Dying) in Kontakt und zog die Möglichkeit einer begleiteten Sterbehilfe in Betracht.
Karlin war seit 2006 an Krebs erkrankt. Sie starb am Morgen des 3. Juni 2011 im Alter von 85 Jahren im St. John’s Hospital im Londoner Stadtteil St. John’s Wood.[10]