Joseph Kessels Eltern waren russische Juden. Sein jüngerer Bruder Lazare Kessel (1899–1920) war der leibliche Vater des Schriftstellers Maurice Druon (1918–2009). Kessels Vater, ein Arzt, war aus Russland ausgewandert und versuchte sich nach Studien in Frankreich eine neue Existenz in Argentinien aufzubauen. Er ging aber später wieder nach Russland zurück und lebte schließlich ab 1908 in Nizza. 1913[1] zog die Familie nach Paris. So erlebte Kessel eine wechselvolle Jugend in der Pampa, besuchte Schulen in Montlhéry, Orenburg (Ural), Nizza und schließlich das Pariser Lycée Louis-le-Grand.
Seine Karriere begann 1920 als Auslandskorrespondent im Irischen Unabhängigkeitskrieg.[1] Eine weitere Destination war die Sowjetunion. Kessel verdiente sich schnell den Ruf eines Abenteurers, der fast die gesamte Welt bereiste. In seinen Reportagen, aber auch in Romanen, behandelte er neben Kriegsthemen oft die Fliegerei. 1925 traf er Chaim Weizmann.[1] Ein Zionist war Kessel jedoch nicht. Seinen 1926 erschienen Kurzroman Machno und seine Jüdin, in dem er von „Gold und Juwelen“ an den Geliebten Nestor Machnos schrieb, bezeichneten Anarchisten als „Verquickung von Dummheit und schändlichen Verleumdungen“.[3] Im gleichen Jahr reiste er für die französische Tageszeitung Paris-Soir nach Palästina und ging im Mai 1926 nach Haifa.[1] Die Zweite Spanische Republik bereiste er in den Jahren des Spanischen Bürgerkriegs. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er 1945 Berichterstatter der Zeitung France-Soir[1] bei den Prozessen gegen die Kollaborateure der Vichy-Regierung. Im selben Jahr war er Korrespondent bei den Nürnberger Prozessen. Im L’Intransigeant geißelte er im September 1947 den Film Le Corbeau[1] von Henri-Georges Clouzot, der 1943 unter der Besatzung Frankreichs mit deutscher Finanzierung entstanden war. 1948 berichtete er auch über die Gründung Israels. Eine aufsehenerregende Arbeit basierte auf einer Reihe von Interviews, die er mit dem vermutlichen Judenretter Felix Kersten[1] 1958 über einen Zeitraum von fast drei Monaten geführt hatte. 1961 berichtete er über den Eichmann-Prozess in Jerusalem.[4]
Antirassismus
Nach dem Freispruch im Prozess gegen den Petljura-Attentäter Scholom Schwartzbard 1927 in Paris, über den Kessel berichtete, beteiligte er sich an der Gründung der Lige contre les pogroms, aus der 1929 die Ligue Internationale Contre l’Antisémitisme wurde (heute Ligue Internationale Contre le Racisme et l’Antisémitisme).[1] Trotz seines Atheismus unterhielt er eine Bindung zum Judentum.
Späte Jahre und Tod
1962 wurde er in die Académie française aufgenommen. Gegen den Widerstand rechtsgerichteter Mitglieder dieser Institution, nahm er den vakanten Platz von Auguste de La Force ein.[1] Seine antifaschistische Haltung behielt er bei, gegen die Wahl des Antisemiten Paul Morand in die Akademie stemmte er sich mit aller Kraft. Kessel starb am 23. Juli 1979 in Avernes (Val-d’Oise) und wurde auf dem Friedhof Montparnasse in Paris beerdigt.
Nouveaux contes. Éditions des Cahiers Libres, Paris 1928 (Inhalt: Le toscin de pâques. Le typhique. Un tour du diable. Le commissaire de la mort. La loi des montagnes).
Secrets parisiens. Éditions des Cahiers Libres, Paris 1928.
Brunnen der Parzen. Roman („Le Tour du malheur“, früherer Titel La Fontaine Médicis). Universitas-Verlag, München 1981, ISBN 3-8004-1001-X (früherer Titel Der Brunnen der Medici).
La Nagaïka. Trois récits. Julliard, Paris 1988, ISBN 2-264-01147-5 (Inhalt: La nagaïka. La femme du désert. La coupe fêlée).
Au Grand Socco. Roman. Gallimard, Paris 1952.
Die Liebenden vom Tajo. Roman („Les Amants du Tage“). Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 1981, ISBN 3-404-00128-1.
Joseph Kessel – Reporter, Reisender, Romancier. (OT: Kessel, un lion.) Dokumentarfilm, Frankreich, 2019, 52:30 Min., Buch und Regie: Marie Brunet-Debaines, Produktion: Camera Lucida Productions, INA, arte France, TV5 Monde, Erstsendung: 29. September 2019 bei arte, Inhaltsangabe von ARD, online-Video aufrufbar bis zum 27. November 2019.
Literatur
Yves Courrière: Joseph Kessel ou sur la piste du lion. Plon, Paris 1986, ISBN 2-266-01685-7, (Biographie).
Alain Tassel: La création romanesque dans l'oeuvre de Joseph Kessel. L’Harmattan, Paris 1997, ISBN 2-7384-5534-4.
Alain Tassel (Hrsg.): Présence de Kessel. Universität Nizza 1998, ISBN 2-910897-63-X, (Kolloquium an der Universität Nizza, 2. bis 3. April 1998).
↑ abcdefghijkMaxime Decout: Joseph Kessel. In: Sylvie Anne Goldberg (Hrsg.): Histoire juive de la France. Éditions Albin Michel/Centre national du livre/Fondation du Judaïsme Français, Paris 2023, ISBN 978-2-226-44803-3, S.638f.