1740 unternahm Lieberkühn eine weitere Studienreise nach London, wo er Mitglied der Royal Society wurde, anschließend hielt er sich mehrere Monate in Paris auf. Danach kehrte er als Mitglied des Medizinischen Obercollegiums nach Berlin zurück, konstruierte mathematische und optische Instrumente und war als niedergelassener Arzt sowie als Anatom tätig, war jedoch nie Hochschullehrer.
Neben seinen umfassenden medizinischen und naturwissenschaftlichen Kenntnissen war Lieberkühn auch technisch sehr versiert. Die von ihm benötigten Instrumente, einschließlich der Mikroskope, entwarf er selbst und fertigte sie auch selbst an. Er entwickelte das 1710 von Theodor Balthasar erfundene Sonnenmikroskop (ein im 18. Jahrhundert sehr populäres Projektionsmikroskop) weiter. Daneben schuf er beispielsweise zum Studium der Blutgefäße spezielle Mikroskope, die seine Zeitgenossen als „Wundergläser“ bezeichneten. Der Lieberkühn-Spiegel wurde zwar nicht von ihm erfunden aber von ihm verwendet und später nach ihm benannt.
Neben seinen physiologischen Arbeiten wurde Lieberkühn vor allem auch durch seine anatomischen Injektions- und Korrosionspräparate, bei denen er erstmals Mineralsäuren zur Korrosion benutzte,[2] bekannt. Er stellte im Lauf seines Lebens weit über 400 Gefäßinjektionspräparate her; für die er auch sein katadioptrisches Mikroskop entwickelt hatte. Die Präparate basierten vor allem auf Injektionen von wachshaltigen Flüssigkeiten in Körperhohlräume und der danach folgenden Ausformung, Wachsverbrennung und Ausgießung mit geschmolzenem Silber. Nach ihm benannt wurden die Lieberkühnschen Krypten (auch Lieberkühnsche Drüsen oder Glandulae intestinales genannt), die er 1745 erstmals in „De fabrica et actione vollorum intestinorum tenuium hominis“ detailliert beschrieb.
Nach Lieberkühns Tod kam diese Präparate-Sammlung durch Vermittlung von Lorenz Heister in den Besitz von Gottfried Christoph Beireis und war in Teilen noch bis ins 19. Jahrhundert regelmäßig in medizinischen Kabinetten, besonders in Moskau, als Meisterstücke zu sehen.
Eine Sammlung von Präparaten Lieberkühns befindet sich auch im anatomischen Institut der Humboldt-Universität Berlin.[3]
Schriften (Auswahl)
Dissertatio anatomico-physiologica de fabrica et actione villorum intestinorum tenuium hominis. Wishof, Leiden 1745 (llustriert von Pieter Lyonnet). (Digitalisat)
Diss. inaug. de valvula coli et usu processus vermicularis. Göttingen 1746. (Digitalisat)
Literatur
Reinhard Hildebrand: Lieberkühn, Johann Nathanael. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin / New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 852 f.
Johann Christoph Strodtmann: „Des Neuen Gelehrten Europa: Als eine Fortsetzung der dreyen Werke, die bisher unter den Aufschriften, Gelehrtes Europa, Geschichte der Gelehrten und Beyträge zur Historie der Gelahrtheit ans Licht gestellet“, Teil 17, Verlag Johann Christoph Meißner, Wolfenbüttel 1763, Seite 39 ff digitalisiert
↑Gemeint ist Samuel Lieberkühn (1710–1777), der Theologe und Judenmissionar der Herrnhuter Brüdergemeine. Näheres zu ihm, in Werner Raupp: Art. Lieberkühn, Samuel in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 5. Verlag Traugott Bautz, Herzberg 1993, ISBN 3-88309-043-3, Sp. 34–37 (mit ausführlichem Werk- u. Literaturverzeichnis).
↑J. Stahnke: Ludwik Teichmann (1823–1895). Anatom in Krakau. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen 2, 1984, S. 205–267; hier: S. 225.