Rainer Werner Fassbinder, der sie von der Schauspielschule her kannte, holte sie im September 1967 an das Action-Theater. Sie spielte dort und vor allem im nachfolgenden Antiteater in zahlreichen Inszenierungen. Nach einigen kleineren Filmrollen wurde sie im April 1969 von Fassbinder in dessen Filmwerk Liebe ist kälter als der Tod eingesetzt. Von da an spielte Schygulla bis 1972 mit einer Ausnahme in allen Fassbinder-Filmen und vielen seiner Theaterstücke und prägte mit ihm den sogenannten Autorenfilm.
1974 endete nach einem Konflikt zunächst die enge Zusammenarbeit mit Fassbinder. Allerdings arbeiteten die beiden bis zu Fassbinders Tod im Jahr 1982 weiterhin äußerst erfolgreich zusammen. 1981 erhielt Schygullas Darstellung der Lale Andersen in Fassbinders Film Lili Marleen, dem Höhepunkt ihrer künstlerischen Zusammenarbeit, internationale Anerkennung.
Schygulla wirkte im Jahr 2000 in Rosa von Praunheims Film Für mich gab's nur noch Fassbinder mit.
Internationale Karriere
Nach 1974 spielte sie in zahlreichen Filmen anderer Regisseure (u. a. bei Wim Wenders und beim Schweizer Gaudenz Meili). Daneben ging sie auf Theatertourneen und übernahm Rollen in klassischen Theaterstücken wie Rose Bernd.
In Hollywood übernahm Schygulla die Rolle von Katharina der Großen in der Fernseh-MiniseriePeter der Große von Marvin J. Chomsky und spielte die Hauptrolle in der Komödie Für immer Lulu von Amos Kollek.[1] Große Erfolge in Übersee blieben jedoch aus. Schygulla selbst wollte sich nie als „Charakterdarstellerin“ oder „Traumfrau“ verstanden wissen. Auch legte sie keinen Wert darauf, dem amerikanischen Publikum als deutsche Antwort auf Marilyn Monroe zu gefallen oder als erotische Kopie von Marlene Dietrich klassifiziert zu werden.[2]
Seit den 1990er Jahren ist sie auch als Chansonsängerin bekannt. Unter anderem tourte sie mit einem Brecht-Abend, in dem sie auf Spanisch sang und rezitierte, durch Europa. Ihre Konzertreisen führten sie ebenfalls nach Polen, die ehemalige Sowjetunion, Italien und Spanien sowie Südamerika.
Im Herbst 2013 veröffentlichte Hanna Schygulla im Schirmer/Mosel Verlag ihre Autobiographie Wach auf und träume. Im Februar 2014 stellte sie ihre RauminstallationTraumprotokolle in der Berliner Akademie der Künste vor, die von ihr selbst seit 1978 inszenierte und produzierte Videokurzfilme präsentiert und zuvor bereits in Paris und New York zu sehen war.[4][5]
Privates und Politisches
Aus dem zunehmend als hektisch empfundenen München wich Schygulla in den späten 70er Jahren ins ländliche Peterskirchen bei Trostberg/Bayern aus und lebte dort in der „Künstlerkolonie“ im Alten Pfarrhof und von 1981 bis 2014 an ihrem Hauptwohnsitz in Paris. Sie hatte bis 1995 eine langjährige Beziehung mit dem französischen Drehbuchautor Jean-Claude Carrière, mit dem sie zusammenlebte. Sie bezeichnet sich selbst als „Brückenmensch“.[6] Ab Anfang der 1990er Jahre reiste sie zwei Jahrzehnte lang nach Bayern, um die Pflege ihrer kranken Eltern sicherzustellen; dies sei auch der Grund, warum sie weitgehend „aus dem Scheinwerferlicht“ getreten sei.[7] 1991 lernte Schygulla auf einer Kuba-Reise die Schauspielerin Alicia Bustamante kennen, mit der sie später zusammenarbeitete und -lebte. 2011 fand sie in Berlin-Charlottenburg in einer Wohngemeinschaft mit zwei rund 30 Jahre jüngeren Mitbewohnern ein „zweites Zuhause“. 2014 verlegte Schygulla ihren festen Wohnsitz nach Berlin.
Zusammen mit anderen Filmschaffenden übergab Schygulla am 20. Oktober 2015 EU-Spitzen Unterschriften der Initiative For a Thousand Lives: Be Human, ein Appell gegen Populismus und Schweigen. Sie erinnerte an ihr Dasein als Flüchtlingskind und rief dazu auf, Flüchtlingen menschlich zu begegnen, ihnen eine Chance zu geben.[8]
Hanna Schygulla chante/singt. Hanna Schygulla mit Orchester Peer Raben Lili Marleen/Peer Raben Thema Willie Part 1 7" Single, Philips 6005, 1981
DVD-Set Rainer Werner Fassbinder Vol. 1 1969–1972 [9 DVDs][16]
DVD-Set Rainer Werner Fassbinder Vol. 2: 1973–1982 (8 DVDs)[17]
Werke
Hanna Schygulla: Wach auf und träume. Die Autobiographie. Schirmer/Mosel, München 2013, ISBN 3-8296-0658-3
Literatur
Gero von Boehm: Hanna Schygulla. 10. Oktober 2003. Interview in: Begegnungen. Menschenbilder aus drei Jahrzehnten. Collection Rolf Heyne, München 2012, ISBN 978-3-89910-443-1, S. 435–441.
C. Bernd Sucher (Hrsg.): Theaterlexikon. Autoren, Regisseure, Schauspieler, Dramaturgen, Bühnenbildner, Kritiker. Von Christine Dössel und Marietta Piekenbrock unter Mitwirkung von Jean-Claude Kuner und C. Bernd Sucher. 2. Auflage. Deutscher Taschenbuch-Verlag, München 1999, ISBN 3-423-03322-3, S. 643.
Kay Weniger: Das große Personenlexikon des Films. Die Schauspieler, Regisseure, Kameraleute, Produzenten, Komponisten, Drehbuchautoren, Filmarchitekten, Ausstatter, Kostümbildner, Cutter, Tontechniker, Maskenbildner und Special Effects Designer des 20. Jahrhunderts. Band 7: R – T. Robert Ryan – Lily Tomlin. Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2001, ISBN 3-89602-340-3, S. 218 f.
↑Zitat aus der Dokumentation „Halb wach, halb im Traum“ von Bert Rebhandl, arte, Erstausstrahlung: 17. November 2021
↑Als es ihn nicht mehr gab, ist alles auseinandergebrochen. Interview von Gabriela Herpell und Carla Voter, in: Süddeutsche Zeitung Magazin, 25. November 2016, S. 16.
↑Liebe ist kälter als der Tod / Katzelmacher / Götter der Pest / Der Amerikanische Soldat / Die Niklashauser Fart / Rio das Mortes / Warnung vor einer heiligen Nutte / Händler der vier Jahreszeiten / Die Bitteren Tränen der Petra von Kant.
↑Angst essen Seele auf / Fontane – Effi Briest oder: Viele, die eine Ahnung haben von ihren Möglichkeiten und Bedürfnissen und dennoch das herrschende System in ihrem Kopf akzeptieren durch ihre Taten und es somit festigen und durchaus bestätigen.