Georg Schaltenbrand bestand die Reifeprüfung 1916 an der Oberrealschule in Kattowitz (Oberschlesien) und studierte Medizin in Breslau, Göttingen, München sowie Hamburg, wo er 1923 promoviert wurde. In den 1920er Jahren erforschte er die Möglichkeit der Therapie von Symptomen der Parkinson-Krankheit durch das aus der Pflanze Lerchensporn gewonnene Alkaloid Bulbocapnin.[2] 1926/27 lernte er in Boston die Technik der Neurochirurgie (Liquorzirkulation) und war 1928 zur Fortbildung an der Rockefeller UniversityPeking. 1930 wurde er Oberarzt bei Max Nonne sowie ao. Prof. in Hamburg an der Universitätsnervenklinik sowie am Luftforschungsinstitut in Hamburg. Ab 1934 war er an der Inneren und Nervenklinik der Universität Würzburg tätig. Hier baute er die neurologische Abteilung auf, deren Leiter er 1935 wurde, und widmete sich vor allem der Entwicklung der Stereotaxie. 1937 erhielt er den Lehrstuhl für Neurologie. 1941 wurde er Mitglied der Leopoldina.[3]
„Trotzdem kann man natürlich nicht einem gesunden Menschen oder auch einem kranken einen derartigen Versuch zumuten. Ich glaube aber doch, die Verantwortung tragen zu können, derartige Versuche an Menschen zu machen, die an einer unheilbaren vollkommenen Verblödung leiden.“
– Georg Schaltenbrand: Die Multiple Sklerose des Menschen, 1943[5]
Diese von der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG geförderten Versuche endeten erst, als im Oktober 1940 die Wernecker Patienten zur Vernichtung abtransportiert wurden.[6]
Nach 1945
Schaltenbrand verlor bei Kriegsende wegen dieser medizinischen Versuche an Menschen seine Position als Klinik-Chef in Würzburg.[1] Bald wurde er jedoch von seinem Kollegen Josef Schorn, 1948 Leiter der Neurologischen Abteilung der Psychiatrie in Regensburg, und dem Obergutachten von Viktor von Weizsäckerrehabilitiert und konnte 1950 seine Forschungen fortsetzen.
„Wenn Schaltenbrand Versuche an lebenden Menschen durchführte, dann tat er das zu Heilzwecken unter Berücksichtigung modernster wissenschaftlicher Methoden.“
– Josef Schorn: Aussage zur Rehabilitation Schaltenbrands[4]
Spätere Berufsjahre
Schaltenbrand war von 1953 bis 1954 Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, 1967 sogar deren Ehrenvorsitzender.[7][4][1] 1953 übernahm er den Vorsitz des Ärztlichen Beirats der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft. Er war auch an der Neurologischen Abteilung der Peking Union Medical School in der Volksrepublik China tätig.
1969 wurde Schaltenbrand emeritiert. Am 24. Oktober 1979 ist er in Würzburg verstorben.
In der ARD-Dokumentation „Ärzte ohne Gewissen“ 1996 wurden auch Schaltenbrands Tätigkeiten beleuchtet. Die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin entzog ihm 2021 nachträglich den Status als Ehrenmitglied.[8]
Ehrungen
Röntgenpreis der Universität Würzburg (1943)
Wilhelm-Erb-Gedenkmünze der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (1954)
Ehrenmitglied der Vereinigung Deutscher Neuropathologen
Schriften
Untersuchungen über Parkinsonismus und Hyoscinwirkung. In: Psychologische Arbeiten. Bd. 8 (1925), S. 564–567 (Dissertation, Universität Hamburg, 1923).
Geleitwort zum Buch von Percival Bailey: Die Hirngeschwülste. Ins Deutsche übertragen von Dr. Arnold Weiss. Enke, Stuttgart 1936 (Nachdruck 1951).
Die Multiple Sklerose des Menschen. Thieme, Leipzig 1943.
Neurologie. 3 Teile. Dieterich, Wiesbaden 1948.
Grenzen der Maschinentheorie des Nervensystems. In: Studium Generale. Bd. 8 (1955), H. 8, S. 515–526.
Deutschland zwischen gestern und morgen. Richter, Würzburg [1957].
hrsg. mit Percival Bailey: Einfuehrung in die stereotaktischen Operationen mit einem Atlas des menschlichen Gehirns. Introduction to stereotaxis with an atlas of the human brain. 3 Bände. Thieme, Stuttgart 1959.
Band 1: 2., revised and enlarged edition: hrsg. mit A. Earl Walker: Stereotaxy of the Human Brain. Anatomical, Physiological and Clinical applications. Thieme, Stuttgart 1982, ISBN 3-13-583202-3.
Band 2: 2., revised and enlarged edition: mit Waldemar Wahren: Atlas for Stereotaxy of the Human Brain. With an Accompanying Guide. Thieme, Stuttgart 1977, ISBN 3-13-393702-2.
Zeit in nervenärztlicher Sicht. Enke, Stuttgart 1963.
Hans Bammer: Prof. Dr. med. Georges Schaltenbrand zum 70. Geburtstag. In: Bayerisches Ärzteblatt. Band 22, 1967, S. 982 und 987.
Hartmut Collmann: Georges Schaltenbrand (26.11.1897–25.10.1979), in: Würzburger Medizinhistorische Mitteilungen 27, S. 63–92.
Hartmut Collmann: Georges Schaltenbrand (26.11.1897–24.10.199): Repräsentant der deutschen Neurologie – gefangen im Zeitgeist, in: Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Nervenheilkunde, 2008, S. 383–404.
Ernst Klee: Auschwitz, die NS-Medizin und ihre Opfer. Fischer Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 2001, ISBN 3-596-14906-1.
Ernst Klee: Georg Schaltenbrand. In: Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Aktualisierte Ausgabe. Fischer Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-596-16048-0.
Michael Martin/Axel Karenberg/Heiner Fangerau: Georg Schaltenbrand (1897–1979) und seine „entgrenzte“ Forschung zur Multiplen Sklerose, in: Der Nervenarzt Bd. 91, Supplement 1, Februar 2020, S. 543–542.
Axel Karenberg/Heiner Fangerau/Michael Martin: Neurologen und Neurowissenschaftler in der NS-Zeit: Versuch einer Wertung, in: Der Nervenarzt Bd. 91, Supplement 1, Februar 2020, S. 128–145.
Jürgen Peiffer: Zur Neurologie im „Dritten Reich“ und ihren Nachwirkungen, in: 100 Jahre Deutsche Gesellschaft für Neurologie, S. 41–47.
Jürgen Peiffer: Hirnforschung in Deutschland 1849–1974. Briefe zur Entwicklung von Psychiatrie und Neurowissenschaften sowie zum Einfluss des politischen Umfeldes auf Wissenschaftler, 2004.
Thomas Schmelter, Christine Meesmann, Gisela Walter, Herwig Praxl: Heil- und Pflegeanstalt Werneck. In: Michael von Cranach, Hans-Ludwig Siemen (Hrsg.): Psychiatrie im Nationalsozialismus. Die Bayerischen Heil- und Pflegeanstalten zwischen 1933 und 1945. Oldenbourg, München 1999, ISBN 3-486-56371-8, S. 35–54.
Alf Mintzel: Die Akte Georges Schaltenbrand ist noch nicht geschlossen. Medizinische Berufsethik in der NS-Zeit. Königshausen & Neumann, Würzburg 2023, ISBN 978-3-8260-7856-9.
↑Paul Foley: Beans, roots and leaves: A brief history of the pharmacological therapy of parkinsonism. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen. Band 22, 2003, S. 215–234, hier: S. 221 f.
↑Ernst Klee: Auschwitz, die NS-Medizin und ihre Opfer. 2001, S. 70, A. 48.
↑Michael von Cranach: Menschenversuche in den bayerischen Heil- und Pflegeanstalten - Psychiatrie im Nationalsozialismus. Die Bayerischen Heil- und Pflegeanstalten zwischen 1933 und 1945. 2. Aufl. München 2012, S. 410
↑Ernst Klee: Auschwitz, die NS-Medizin und ihre Opfer. 2001, S. 70–77, und Ernst Klee: Personenlexikon. 2001 (siehe Literatur).
↑DGN-Chronik. In: dgn.org. Abgerufen am 9. November 2016.