Das Gefängnis Plötzensee wurde von 1868 bis 1879 auf einem Gelände des Gutsbezirks Plötzensee errichtet, das sich im Eigentum des königlichen Forstfiskus’ befand. Mit der Bildung der Gemeinde Groß-Berlin 1920 wurde das Areal dem damaligen Berliner Bezirk Charlottenburg zugeordnet.[2]
Plötzensee wurde außerdem als Untersuchungshaftanstalt des „Volksgerichtshofs“ und anderer politischer Sondergerichte genutzt. Während des Zweiten Weltkriegs wurden in Plötzensee zudem zahlreiche ausländische Zwangsarbeiter inhaftiert; fast die Hälfte der in Plötzensee Hingerichteten stammte nicht aus Deutschland.[3]
In der Zeit des Nationalsozialismus wurden im Gefängnis Plötzensee weit über 2800 Todesurteile vollstreckt,[4] unter anderem an Mitgliedern der „Roten Kapelle“, Teilnehmern des gescheiterten Umsturzversuchs vom 20. Juli 1944 und an Mitgliedern des „Kreisauer Kreises“. Darunter waren auch über 300 Frauen, die zur Hinrichtung aus dem Frauengefängnis Barnimstraße nach Plötzensee überführt wurden, und etwa 100 Kriegsdienstverweigerer aus den Reihen der Zeugen Jehovas.
Hinrichtungen in Plötzensee erfolgten zunächst mit dem Handbeil auf dem Gefängnishof. Am 14. Oktober 1936 ordnete Adolf Hitler an, dass die Todesstrafe im Deutschen Reich ausschließlich mit der Guillotine vollstreckt werden sollte. Aus der Strafanstalt Bruchsal wurde daraufhin 1937 eine Guillotine nach Plötzensee geschafft und in einer gemauerten früheren Arbeitsbaracke am Rande des Gefängnisareals aufgestellt.[5]
Durch das Gesetz über Verhängung und Vollzug der Todesstrafe vom 29. März 1933 wurde neben der Enthauptung auch die Methode des Hängens wieder zugelassen, welche aus Sicht der Nationalsozialisten besonders unehrenhaft war, doch wurde sie bis Ende 1942 im Kerngebiet des Deutschen Reiches nicht angewandt. Im Dezember 1942 wurden die führenden Mitglieder des „Schulze-Boysen/Harnack-Kreises“ auf Befehl Hitlers jedoch erhängt, worauf in Deutschland wieder regelmäßig Exekutionen auf diese Art durchgeführt wurden[6] (z. B. nach dem 20. Juli 1944). Im Zusammenhang mit den zu erwartenden Todesurteilen wurde am 15. Dezember 1942 in der Hinrichtungsstätte des Gefängnisses Plötzensee eine Eisenschiene mit Fleischerhaken angebracht,[6] an der acht Opfer gleichzeitig erhängt werden konnten. Bis Mitte 1943 wurden Vorkehrungen zum Vollzug der Todesstrafe durch Hängen auch in nahezu allen anderen zentralen Hinrichtungsstätten getroffen. Der Galgen wurde dabei zumeist im selben Raum wie das Fallbeilgerät installiert. Am 22. Dezember 1942 wurden Harro Schulze-Boysen um 19:05 Uhr[7][8] und Arvid Harnack um 19:10 Uhr[9] als Erste im Gefängnis Plötzensee gehängt.[10]
Während des Krieges gab es 310 Luftangriffe der Alliierten auf Berlin. Die Guillotine im Gefängnis Plötzensee wurde vermutlich in der Nacht auf den 4. September 1943 bei einem alliierten Luftangriff beschädigt und daher für einige Zeit nicht mehr benutzt.
Plötzenseer Blutnächte
Bei dem Bombenangriff wurde ein Teil der Strafanstalt schwer beschädigt; vier zum Tode Verurteilte konnten fliehen. Aus diesem Anlass ordnete der Staatssekretär im ReichsjustizministeriumCurt Rothenberger die sofortige Vollstreckung aller Todesurteile an, um „Platz zu schaffen“.[11] In den Nächten vom 7. bis zum 12. September 1943 wurden in den sogenannten Plötzenseer Blutnächten über 250 Häftlinge aus verschiedenen Ländern gehängt. Durch fehlerhafte Telefonübermittlung befanden sich darunter auch sechs Insassen, deren Urteilsvollstreckung überhaupt nicht angeordnet war. Der evangelische GefängnisseelsorgerHarald Poelchau berichtete darüber:
„Mit Einbruch der Dunkelheit am 7. September begann der Massenmord. Die Nacht war kalt. Ab und zu wurde die Dunkelheit durch Bombeneinschläge erhellt. Die Strahlen der Scheinwerfer tanzten über den Himmel. Die Männer waren in mehreren Gliedern hintereinander angetreten. Sie standen da, zunächst ungewiß, was mit ihnen geschehen sollte. Dann begriffen sie. Immer je acht Mann wurden namentlich aufgerufen und abgeführt. Die Zurückbleibenden verharrten fast bewegungslos. Nur hin und wieder ein Flüstern mit mir und mit meinem katholischen Amtsbruder Peter Buchholz […] Einmal unterbrachen die Henker ihre Arbeit, weil Bomben in der Nähe krachend niedersausten. Die schon angetretenen fünf mal acht Mann mußten für eine Weile wieder in ihre Zellen eingeschlossen werden. Dann ging das Morden weiter. Alle diese Männer wurden gehängt. […] Die Hinrichtungen mußten bei Kerzenlicht durchgeführt werden, da das elektrische Licht ausgesetzt hatte. Erst in der Morgenfrühe, um acht Uhr, stellten die erschöpften Henker ihre Tätigkeit ein, um sie am Abend mit frischen Kräften aufnehmen zu können.“
Rothenberger wurde im Nürnberger Juristenprozess am 4. Dezember 1947 zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt, kam aber im August 1950 wieder frei.
Gedenkstätte nach 1945
Der Hinrichtungsschuppen wurde 1951 zum Teil abgerissen; an der Stelle des abgetragenen Gebäudeteils steht heute eine Mauer aus Bruchsteinen. Der Hinrichtungsbalken mit heute fünf statt der damaligen acht Fleischerhaken ist noch vorhanden, der Estrich unter dem Träger verläuft mit einem leichten Gefälle in Richtung der Mitte des Raumes. Dort befindet sich ein Bodenablauf, in den die Körperausscheidungen der Opfer gespült wurden, die sie im Todeskampf verloren hatten.
Die zur Gedenkstätte führende Straße, der Hüttigpfad, wurde nach Richard Hüttig (1908–1934) benannt, einem am 14. Juni 1934 in Plötzensee hingerichteten Opfer des Charlottenburger Widerstands. In den Wohngebieten, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Charlottenburg-Nord neu errichtet wurden, tragen zahlreiche Straßen die Namen von hingerichteten Mitgliedern des Widerstands gegen den Nationalsozialismus.
2011 thematisierte der Tagesspiegel die Frage, ob das Konzept der Gedenkstätte gerechtfertigt sei, allen in der Hinrichtungsstätte Plötzensee ermordeten Personen auf gleiche Weise zu gedenken. Das führe nämlich dazu, dass neben Widerstandskämpfern auch Schwerkrimineller ehrend gedacht werde, darunter sogar eines Mörders, der am 29. März 1944 wegen eines „Raubmordes an Juden“ hingerichtet wurde.[12]
In der Ausstellung der Gedenkstätte wird allerdings unterschieden zwischen „deutschem“ Widerstand und „undeutschem“ Widerstand.
Johannes Tuchel, der Leiter der Gedenkstätte, machte hingegen deutlich, dass es der Auftrag der Gedenkstätte sei, „die Namen aller Opfer der NS-Justiz zusammenzutragen, die in Plötzensee hingerichtet wurden, ungeachtet der Tat, die sie begangen haben.“[12]
Karlrobert Kreiten, Pianist, durch Freundin der Mutter denunziert, wegen Feindbegünstigung und Wehrkraftzersetzung verurteilt
Trägerschaft
Die Gedenkstätte Plötzensee wird getragen von der Stiftung Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Diese unterhält an ihrem Sitz im Bendlerblock in der Stauffenbergstraße (Berlin-Tiergarten) eine Gedenkstätte zur Geschichte des Attentats vom 20. Juli 1944 und seit 1989 eine Gedenkstätte, die die ganzen Breite und Vielfalt des deutschen Widerstandes darstellt[14] sowie eine Spezialbibliothek zur NS-Geschichte.[15]
Kirchliche Gedenkorte
In Erinnerung an die in Plötzensee inhaftierten und ermordeten Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, darunter auch viele Angehörige kirchlicher Widerstandsbewegungen, errichteten die beiden Amtskirchen zwei Gedenkkirchen nördlich der Paul-Hertz-Siedlung:
Auch die evangelische Sühne-Christi-Kirche in der Toeplerstraße 1 (eingeweiht im Oktober 1964) hat durch ihre Gedenkmauer den Charakter eines Erinnerungsortes.
Zusammen mit der Gedenkstätte Plötzensee sind die Kirchen Stationen auf dem 2018 realisierten Pfad der Erinnerung.
Gedenkstätte Plötzensee. Hinrichtungen im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee. Katalog zur Dauerausstellung. Stiftung Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin 2019, ISBN 978-3-945812-36-5.
Victor von Gostomski, Walter Loch: Der Tod von Plötzensee. Erinnerungen, Ereignisse, Dokumente 1942–1944. Bloch, Frankfurt am Main 1993, ISBN 3-929686-00-7.
Historische Kommission zu Berlin, Helmut Engel u. a. (Hrsg.): Charlottenburg. Band 1: Die historische Stadt. Nicolaische Verlagsbuchhandlung, Berlin 1986, ISBN 3-87584-167-0.
Johannes Tuchel: Hinrichtungen im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee 1933 bis 1945 und der Anatom Hermann Stieve. Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin 2019, ISBN 978-3-945812-35-8.
Rüdiger von Voss, Gerhard Ringshausen (Hrsg.): Die Predigten von Plötzensee. Zur Herausforderung des modernen Märtyrers. Mit Geleitwort von Wolfgang Huber und Robert Zollitsch. Lukas Verlag, Berlin 2009, ISBN 978-3-86732-064-1.
Thomas Waltenbacher: Zentrale Hinrichtungsstätten. Der Vollzug der Todesstrafe in Deutschland von 1937–1945. Scharfrichter im Dritten Reich. Zwilling-Berlin, Berlin 2008, ISBN 978-3-00-024265-6.
↑Johannes Tuchel: Hinrichtungen in Berlin-Plötzensee und in Brandenburg-Görden in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges. In: Beiträge zum Widerstand. Neue Folge Nr. 2, Juli 2020 (PDF; 805 kB).
↑Peter Steinbach und Johannes Tuchel: Lexikon des Widerstandes 1933–1945. C.H. Beck; 2. überarbeitete und erweiterte Auflage 1998, ISBN 3-406-43861-X, S. 178f.