Gaia-X ist ein Projekt zum Aufbau einer leistungs- und wettbewerbsfähigen, sicheren und vertrauenswürdigen Dateninfrastruktur für Europa, das von Vertretern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung aus Deutschland und Frankreich gemeinsam mit weiteren, vorwiegend europäischen Partnern getragen wird.[1][2][3] Der Name des Projektes leitet sich von einer der ersten aus dem Chaos entstandenen griechischen Gottheit Gaia ab, die in der Mythologie als personifizierte Erde für die Gebärerin, quasi „Mutter Natur“, steht.[4] Der breiten Öffentlichkeit wurde das Projekt beim Digital-Gipfel 2019 in Dortmund vorgestellt und wird seitdem kontinuierlich weiterentwickelt.
Ziel ist die Gestaltung der nächsten Generation einer Dateninfrastruktur aus Europa. Gemeinsame Anforderungen an eine europäische Dateninfrastruktur sollen entwickelt werden. Vor diesem Hintergrund sind Offenheit, Transparenz und europäische Anschlussfähigkeit nach Aussage des deutschen Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz zentral für Gaia-X. Vertreter aus mehreren europäischen Ländern beteiligen sich aktiv am Projektgeschehen. Das digitale Ökosystem soll dafür sorgen, dass Unternehmen und Geschäftsmodelle aus Europa heraus wettbewerbsfähig sein können. Durch die Umsetzung von Gaia-X soll kein Konkurrenzprodukt zu bereits existierenden Angeboten (zum Beispiel von Hyperscalern) geschaffen werden. Durch Gaia-X sollen verschiedene Elemente über offene Schnittstellen und bestehenden Standards miteinander vernetzt werden, um Daten zu verknüpfen und eine Innovationsplattform zu schaffen.[5][6][7][8]
Lösung
Die Projektziele sollen laut eigener Projektaussage durch Vernetzung vorhandener zentraler und dezentraler Infrastrukturen zu einem System erreicht werden, die gemeinsam ein „digitales Ökosystem“ bilden. Merkmale dieses Ökosystems sind
Gaia-X soll aus Daten- und Infrastrukturperspektive folgende Mehrwerte bieten:[12]
Es soll eine souveräne Entscheidung über datenbasierte Geschäftsmodelle ermöglicht werden.
Es soll innovative branchenübergreifende Kooperationen unterstützen, um den Wert von Daten zu aggregieren und zu steigern.
Faire und transparente Geschäftsmodelle sollen gefördert werden, indem Regeln und Standards für kooperative Ansätze, einschließlich der rechtskonformen Nutzung von Daten, bereitgestellt werden.
Gemeinsame Modelle und Regeln der Datenmonetarisierung sollen die Komplexität und die Kosten der Kommerzialisierung von Daten reduzieren.
Die branchenübergreifende Zusammenarbeit zur Schaffung föderaler, interoperabler Services soll ermöglicht werden.
Der Zugriff auf sichere, vertrauenswürdige und moderne IT-Infrastrukturen (Automatisierte Services und API gesteuerte Infrastrukturen), welche die Produktivität in der Software-Entwicklung steigern, soll erleichtert werden.
Der Verlust von Unternehmensdaten soll durch Erkennung und Erhaltung von Schutzklassen und Regelungen zur Vertraulichkeit beim Austausch von Daten deutlich reduziert werden.
In Gaia-X werden unter anderem Vorhaben zur Stärkung der europäischen Automobilindustrie realisiert. Durch herstellerübergreifende Anwendungsfälle lassen sich sowohl Technologien zum Autonomen Fahren als auch zur Reduzierung des CO2-Fußabdruckes der Automobilindustrie fördern. Diese Projekte zahlen auf wesentliche Meilensteine des Europäischen Green Deals ein. Durch die Kommunikation von Fahrzeugen mit IoT-Verkehrselementen, wie Ampelanlagen oder Fracht, ist eine signifikante Verbesserung des Verkehrsflusses und der Verkehrssicherheit zu erwarten. Im Rahmen von Gaia-X ist die Entwicklung einer standardisierten Softwarearchitektur für Fahrzeuge und IoT-Komponenten zur Anbindung an Cloud-Dienste (AGEDA)[18] analog AUTOSAR geplant. Ein wesentlicher Anwendungsfall stellt dabei die ganzheitliche Betrachtung von Logistik in Europa dar, um Fahrzeuge effizienter auszulasten.[19]
Umsetzung
Um die Gaia-X-Projektziele zu erreichen, wurde im Juni 2020 verkündet, dass eine internationale Non-Profit-Organisation mit Sitz in Brüssel gegründet wird. Die Gaia-X Association wurde in Form einer Internationalen Vereinigung ohne Gewinnerzielungsabsicht nach belgischem Recht im Februar 2021 mit Sitz in Brüssel gegründet.[20] Die Rechtsform soll die europäische und internationale Perspektive von Gaia-X unterstreichen. Erster Geschäftsführer der Gaia-X AISBL war der italienische IT-Manager Francesco Bonfiglio.[21] Im November 2023 trat der ehemalige CEO der FIWARE Foundation Ulrich Ahle dessen Nachfolge an.[22]
Ende 2023 waren nur wenige Spezifikationen verabschiedet, es gab eine erste Version der sogenannten Federation Services, diese umfassen Authentifizierungsdienste, Wallets für digitale Nachweise und Katalogdienste. Die Deutsche Telekom hat ein Clearing House angekündigt, welches die Identität von Diensteanbietern prüft. Im Umfeld von Gaia-X, aber unabhängig davon, hat sich erfolgreich das Projekt Sovereign Cloud Stack etabliert, welches einen Open-Source-Stack für Cloudinfrastruktur entwickelt hat, der schon eingesetzt wird.[23]
Im März 2021 wurde die Mitgliedszahl um 212 sogenannte „Tag-1-Mitglieder“ erweitert, darunter zählen zu den bekanntesten (Stand: 29. März 2021) auch Microsoft, Alibaba, Amazon und Google. Es sind aber auch viele mittelständische Unternehmen aus ganz Europa vertreten.[27]
Rezeption
Während die Wirtschaft das Projekt breit unterstützt, werden in den Medien und in der Fachöffentlichkeit die Erfolgsaussichten gemischt beurteilt.[28][29][30][31][32][33][34][35][36][37]
Insbesondere die Miteinbeziehung außer-europäischer Cloudanbieter wie Google, Microsoft und Amazon, als auch die mit dem Projekt einhergehende Bürokratie stehen dabei im Mittelpunkt der Kritik.[38][39][40][41]
Im Dezember 2020 überraschte das auf Big-Data-Analysen spezialisierte US-Unternehmen Palantir mit der bis dahin nicht bekannt gewordenen Information, dass es sich „von Tag Eins an“ dem europäischen Cloud-Projekt Gaia-X als Mitglied angeschlossen habe. Palantir, das vor rund 17 Jahren unter anderem mit Geld des CIA-Wagniskapitalarm In-Q-Tel startete, gilt als „Schlüsselfirma in der Überwachungsindustrie“. Sie ist Kritikern zufolge tief in den militärisch-digitalindustriellen Komplex der USA verstrickt. Ihr Geschäftsmodell heiße: Big Data für Big Brother.[42]
Seinen Austritt aus dem Gaia-X Projekt begründet der Scaleway CEO Yann Lechelle mit der Obstruktion der großen US IT-Konzerne. Sie würden jeden Fortschritt auf ein Hersteller-neutrales, portables Modell durch Verzögerung blockieren und sabotieren.[43]
↑Bundesministerium für Wirtschaft und Energie BMWi (Hrsg.): Schlaglichter der Wirtschaftspolitik. Ausgabe September 2020, S.14–15 (bmwi.de [PDF]).
↑Bundesministerium für Wirtschaft und Energie BMWi (Hrsg.): GAIA-X: Das europäische Projekt startet in die nächste Phase. S.3 (bmwi.de [PDF]).
↑Bundesministerium für Wirtschaft und Energie BMWi (Hrsg.): GAIA-X: Die nächste Generation der digitalen Vernetzung in Europa – Abstract. Juni 2020 (bmwi.de [PDF]).
↑Christian Wölbert: Wolkiges Unterfangen - Was wurde eigentlich aus dem Cloudprojekt Gaia-X? In: C'T - Computertechnik. Band28. Heise, Hannover Dezember 2023, S.114ff.
↑Jan Mahn, Christian Wölbert: Ich erwarte nicht, dass Gaia-X liefert, was wir brauchen. In: c’t – Magazin für Computertechnik. Nr.1, 18. Dezember 2021, S.14ff.