Lemmer wurde als Sohn des Bauunternehmers und Architekten Ernst Lemmer geboren.[1] Er besuchte das Realgymnasium in Remscheid, wo er 1914 auch das Abitur („Notabitur“) ablegte. Mit 16 Jahren trat er 1914 als Kriegsfreiwilliger in die Armee ein und nahm am Ersten Weltkrieg teil. Hoch dekoriert schied er als Leutnant aus.
Von 1923 bis 1930 war Lemmer Vorsitzender des Reichsbunds der Deutschen Demokratischen Jugendvereine, der sich unter seiner Führung 1928 in Reichsbund der Deutschen Jungdemokraten umbenannte. 1929 gehörte Lemmer als Vertreter der Deutschen Demokratischen Partei dem Bundesvorstand der demokratischen Wehrorganisation Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold an. Er trieb zusammen mit dem Vorsitzenden der DDP, Koch-Weser, die Vereinigung der DDP mit der Volksnationalen Reichsvereinigung zur Reichstagswahl 1930 voran, zu der man mit einer gemeinsamen Liste unter dem Namen Deutsche Staatspartei antrat. Die Volksnationale Reichsvereinigung war aus dem Jungdeutschen Orden heraus gegründet worden, einer nationalliberalen, hierarchisch organisierten und teilweise antisemitischen Organisation. Wenn die angestrebte Fusion der Parteien auch scheiterte, so änderte die DDP ihren Namen doch in Deutsche Staatspartei. Viele Jungdemokraten wechselten daraufhin zur neu gegründeten Radikaldemokratische Partei, wodurch der Reichsbund der Deutschen Jungdemokraten effektiv gespalten wurde.[5]
Während seines Studiums arbeitete er als Freiwilliger für die Frankfurter Zeitung, ab 1922 dann für verschiedene Berliner Zeitungen, unter anderem für das Berliner Tageblatt. 1933 wurde er wegen seiner linksliberalen Überzeugung aus dem Reichsverband der Deutschen Presse ausgeschlossen, konnte danach nicht mehr für deutsche Zeitungen arbeiten. Er wurde Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) und von 1938 bis 1944 Berichterstatter des Pester Lloyd in Berlin.[6] Als NZZ-Korrespondent reiste er häufig zu Redaktionsgesprächen in die Schweiz. Daneben hatte er in Berlin regelmäßigen Kontakt mit dem Schweizer Militärattaché Peter Burckhardt. In einem CIA-Report wird er zu den Hauptinformanten von Georges Blun gezählt und damit zu dem nachrichtendienstlichen Netz der Roten Drei.[7] Lemmer leitete Informationen über den Holocaust ins Ausland weiter.[8] Historiker fanden Belege dafür, dass dies mit Billigung von Joseph Goebbels erfolgte. Der Historiker Norman Domeier bezeichnet Lemmer im Zusammenhang mit seiner Mitwirkung an der NS-Propaganda nicht nur als Mitläufer, sondern als Mittäter.[9]
Lemmer wurde im November 1918 Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei (DDP). 1919 trat er dem Reichsbund der Deutschen Demokratischen Jugend (Jungdemokraten) bei. Während seines Studiums war er Vorsitzender des Deutschen Demokratischen Studentenbundes, ab 1924 Vorsitzender der Jungdemokraten. In diesem Amt gehörte er von 1924 bis 1930 dem Reichsvorstand der DDP an. Nach deren Umbenennung war er Mitglied im Reichsvorstand der Deutschen Staatspartei (DStP).[12] Sein Eintreten für den umstrittenen Bau des Panzerschiffs A führte 1928 zu einer vor allem von Erich Lüth, einem entschiedenen Gegner der Aufrüstungspläne, initiierten Abwahlkampagne als Vorsitzendem der Jungdemokraten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war Lemmer einer jener, die von der ehemaligen DDP den Weg zur CDU nahmen und nicht zu einer der liberalen Nachfolgeparteien, die schließlich in der FDP aufgingen. Er gehörte zu den Mitbegründern der CDU. Am 4. Januar 1946 wurde er von der Sowjetischen Militäradministration zum 2. Vorsitzenden der CDU in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) bestimmt, nachdem die bisherigen Vorsitzenden Andreas Hermes und Walther Schreiber wegen Widerstandes gegen die Bodenreform abgesetzt worden waren. Im selben Jahr war er an der Errichtung des Unionhilfswerkes in Berlin beteiligt, dessen heutiger Hauptsitz in der Richard-Sorge-Straße als Ernst-Lemmer-Haus inzwischen nach ihm benannt ist. Am 20. Dezember 1947 wurden er und der 1. Vorsitzende Jakob Kaiser von der Sowjetischen Militäradministration wegen ihres Widerstands gegen die Volkskongressbewegung abgesetzt. Gemeinsam mit Kaiser versuchte Lemmer von West-Berlin aus weiter in die ostdeutsche CDU zu wirken. Als dies immer weniger gelang, gründeten beide – gemeinsam mit anderen in Ostdeutschland entmachteten und geflohenen Christdemokraten – die Exil-CDU. Diese verstand sich als legaler Vorstand der CDU in der DDR, auch wenn sie dort nicht anerkannt wurde. Auf dem Gründungsparteitag der Bundes-CDU 1950 in Goslar wurde die Exil-CDU als Interessenvertretung der ostdeutschen Christdemokraten anerkannt und einem Landesverband gleichgestellt.
Von 1950 bis 1956 war Lemmer stellvertretender Landesvorsitzender, anschließend bis 1961 Vorsitzender des Landesverbandes der CDU in Berlin. Von 1961 bis zu seinem Tode 1970 war Lemmer schließlich Vorsitzender der Exil-CDU.
Am 16. November 1954 gab es den im Bundestag einmaligen Fall, dass zwei Fraktionskollegen gegeneinander um das Amt des Bundestagspräsidenten kandidierten: Lemmer trat, vorgeschlagen von dem FDP-Abgeordneten Hans Reif, gegen den „offiziellen“ CDU/CSU-Kandidaten Eugen Gerstenmaier an und verlor erst im dritten Wahlgang (Gerstenmaier: 204, Lemmer: 190, Enthaltungen: 15). Vom 12. Februar 1963 bis zum 19. Februar 1964 war er stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion.
Ab 1953 war Lemmer auch Delegierter zum Europarat.
Öffentliche Ämter
1945/46 war er Bürgermeister der brandenburgischen Gemeinde Kleinmachnow.
Reparationslasten? Das Dawes-Gutachten und die innere Politik. In: Berliner Tageblatt Wochen-Ausgabe für Ausland und Übersee. 25. September 1924, S. 1.
Berlin am Kreuzweg Europas, am Kreuzweg der Welt. Verlag Haupt & Puttkammer, Berlin 1957.
Der ungewollte Staat. Warum die Weimarer Republik scheiterte. In: Die politische Meinung. 12/1967, S. 46–53.
Manches war doch anders. Erinnerungen eines deutschen Demokraten. Heinrich Scheffler Verlag, Frankfurt am Main 1968 (Neuauflage bei Langen Müller, München 1996).
Skat-Taktik. Erfahrungen und Gedanken eines passionierten Skatspielers. Ass-Verlag, Leinfelden bei Stuttgart 1969.
Ehrungen
Ernst-Lemmer-Institut – Fördererkreis Junge Politik e. V.[14][15]
Ernst Lemmer der republikanische Frontsoldat. In: O. B. Server: Matadore der Politik; Universitas Deutsche Verlags-Aktiengesellschaft. Berlin 1932, S. 164ff.
Wegweiser für Funktionäre, Führer und alle Bundeskameraden des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold. Gültig ab 1. Januar 1929. Magdeburg o. J, S. 78.
↑Kurt Naumann: Verzeichnis der Mitglieder des Altherrenverbandes des BC München e. V. und aller anderen ehemaligen BCer sowie der Alten Herren des Wiener SC. Saarbrücken, Weihnachten 1962, S. 35.
↑Bernhard Schroeter: Marburger Studenten im Freikorps-Einsatz in Thüringen und die Ereignisse von Mechterstädt. Hilden 2023, ISBN 978-3-910672-01-7, S. 114–117.
↑Roland Appel: Vom Wandervogel zur Radikaldemokratischen Partei – Jungdemokraten 1930–1933. In: Roland Appel, Michael Keff (Hrsg.): Grundrechte verwirklichen, Freiheit erkämpfen – 100 Jahre Jungdemokrat*innen. 2019, S.497–530.