Erna Dorn, geb. Scheffler, alias Kaminski alias Brüser, gesch. Gewald (* nach eigenen Angaben 17. Juli 1911 oder 28. August 1913 als Erna Kaminsky in Königsberg[1] oder Tilsit[2], Ostpreußen; † 1. Oktober 1953 in Dresden), war ein Opfer politischer Strafjustiz in der DDR. Während sie sich anderer Delikte in Haft befand, hatte sie angeblich anderen Häftlingen gegenüber geäußert, im KZ Ravensbrück in der „Politischen Abteilung“ gearbeitet zu haben und für den Tod von 80 bis 90 Häftlingen verantwortlich gewesen zu sein. Am 22. Juni 1953 verurteilte das Bezirksgericht Halle sie wegen „faschistischer Kriegshetze“ gegen die Deutsche Demokratische Republik zum Tode. Die Hinrichtung erfolgte am 1. Oktober 1953 durch das Fallbeil. Das Urteil wurde am 22. März 1994 posthum vom Landgericht Halle aufgehoben.[3]
Leben
Die einzige Quelle für das Leben Erna Dorns ist die 1949 bis 1953 in Halle angelegte Gerichtsakte. Demnach wurde sie 1911 als Tochter des kaufmännischen Angestellten Arthur Kaminsky in Tilsit geboren. Sie besuchte die höhere Mädchenschule und machte eine Ausbildung in der Industrie- und Handelskammer Königsberg. Ab 1932 arbeitete sie im Polizeipräsidium Königsberg; ob als Stenotypistin oder Polizeiassistentin, ist ungeklärt. Von Ende 1934 oder Anfang 1935 bis 1941 war sie für die Gestapo tätig, danach wurde sie zur politischen Abteilung ins KZ Ravensbrück beordert.
Ab 1945 gibt es Dokumente, die Dorns Leben belegen. Ein auf den 12. Mai 1945 datierter, gefälschter Entlassungsschein aus dem KZ Hertine wies sie als Erna Brüser, geborene Scheffler, aus. Sie zog nach Kriegsende nach Halle und beantragte ihre Anerkennung als Verfolgte des Nazi-Regimes, was ihr die Erlangung von Privilegien eines ehemaligen KZ-Häftlings ermöglichen sollte.
Im Dezember 1945 heiratete sie den Spanienkämpfer und angehenden Volkspolizeioffizier Max Gewald und führte ab März 1946 das Leben einer Hausfrau.
1948 fand der Prozess gegen die berüchtigte KZ-Aufseherin und Hundeführerin Gertrud Rabestein in Halle statt. Dorn sollte als Zeugin aussagen, entzog sich aber zwei Jahre lang der Aufforderung mit der Begründung, schwanger zu sein. Ihre „Schwangerschaft“ ermöglichte ihr den Bezug von Sonderzuteilungen für Schwangere.
In der folgenden Zeit wurde sie bei diversen kleineren Wirtschaftsdelikten ertappt und 1949 zum ersten Mal inhaftiert. Im Januar 1950 wurde sie wegen Betrugs- und Wirtschaftsvergehen zu elf Monaten Gefängnis verurteilt und aus der SED ausgeschlossen. Schon im Dezember 1949 war sie von ihrem Mann geschieden worden, der ihr untersagte, den Familiennamen zu führen. Nur wenige Wochen nach ihrer Entlassung wurde Erna Dorn im Januar 1951 erneut festgenommen und wegen Diebstahls zu einer Zuchthausstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Im November kam sie dank einer Amnestie frei, war aber schon im Dezember erneut in Haft.
In der Haft erzählte sie von einer angeblichen Agenten- und Spionagetätigkeit für den Westen und ihrer NS-Vergangenheit. Diese Prahlereien wurden von Spitzeln der neugegründeten Staatssicherheit gemeldet. In den folgenden Verhören bekräftigte Dorn ihre Geschichten und nannte als Hintermann und amerikanischen Geheimdienstoffizier ihren geschiedenen Mann. Ihre immer vehementer vorgetragenen Selbstanschuldigungen führten schließlich zu einer Anklage wegen „Boykotthetze“. Sie behauptete, sie sei Hundeführerin in Ravensbrück gewesen und habe mehrere Menschen von ihren Hunden zerfleischen lassen, ihr Ex-Mann Max Gewald sei der Lagerkommandant gewesen.
Trotz intensiver Bemühungen, vor allem der VVN, konnten keine Beweise für eine Nazivergangenheit Dorns gefunden werden. Zeitweilig auftauchende Zeugen revidierten ihre Aussagen bei der ersten kritischen Nachfrage. Die grausame Hundeführerin von Ravensbrück war jene Gertrud Rabestein, bei deren Prozess Dorn zwei Jahre zuvor hatte aussagen sollen. Trotz mangelnder Beweise – auch ihr Vernehmer Leutnant Bischoff war nicht von der Richtigkeit ihrer Aussagen überzeugt – wurde sie am 21. Mai 1953 wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt.
17. Juni 1953
In Halle war sie in der Strafvollzugsanstalt II inhaftiert und wurde dort am 17. Juni 1953 gegen 16 Uhr von den Aufständischen befreit. Nach eigener Aussage ging sie zur (etwa 750 Meter entfernten) Evangelischen Stadtmission in der Straße Weidenplan, um sich Zivilkleidung, etwas zu essen und eine Schlafmöglichkeit zu besorgen. Ob sie die Mission noch einmal Richtung Innenstadt verließ, ist ungeklärt. Dorn befand sich wohl schon am Abend des 17. Juni, spätestens am Mittag des 18. Juni wieder in Haft.
Obwohl es keine Augenzeugen für ein Auftreten Dorns auf dem Hallmarkt gab und auch im anschließenden Prozess kein Zeuge zu diesem Thema aussagte, wurde in den DDR-Medien berichtet, die „Kommandeuse“ Dorn habe dort aufstachelnde, hetzerische Reden an die Streikenden gehalten.
Alle Berichte über die Handlungen Erna Dorns zwischen 16 und 21 Uhr beruhen ausschließlich auf ihren eigenen Aussagen, die sie im Verhör am 21. Juni beim Ministerium für Staatssicherheit zu Protokoll brachte. Nach einer dreieinhalbstündigen „Abendsitzung“ vor dem Bezirksgericht Halle wurde sie ohne Zeugenvernehmung und unter Ausschluss der Öffentlichkeit am 22. Juni 1953 zum Tode verurteilt. Ihr Gnadengesuch und das ihres Pflichtverteidigers an den DDR-Präsidenten Wilhelm Pieck wurden abgelehnt, weil sie als Haupträdelsführerin des Aufstandes in Halle galt.
Am 28. September wurde sie in das Dresdner Gefängnis am Münchner Platz verbracht, wo sie am 1. Oktober 1953 in der Zentralen Hinrichtungsstätte der DDR hingerichtet wurde. Zur Geheimhaltung der Hinrichtung wurde im Bestattungsschein als Todesursache „Bronchopneumonie 431“ sowie „acute Herz- und Kreislaufschwäche“ angegeben und der Leichnam in Dresden-Tolkewitz eingeäschert.[4]
Untersuchungen zum Fall nach 1989
Der Fall gibt auch nach Öffnung der Stasi-Archive Rätsel auf. Fast alles, was über Dorn bekannt ist, stammt aus den Verhörprotokollen des Ministeriums für Staatssicherheit. Daher sind zumindest alle nach dem Volksaufstand des 17. Juni 1953 verfassten Protokolle der bewussten Einflussnahme bzw. Fälschung verdächtig, da sie unter dem direkten Druck des Regimes entstanden, Beweise für den angeblich faschistischen Charakter des Aufstandes zu finden. Der Prozess wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit erscheint ausschließlich in den nach dem Aufstand für das Todesurteil angelegten Akten. Keine Zeitung berichtete darüber.
Zudem scheint das Urteil angesichts der Praxis der DDR-Justiz ungewöhnlich milde zu sein. Es muss also ernsthaft bezweifelt werden, ob diese erste Verurteilung als Naziverbrecherin überhaupt stattgefunden hat, zumal sich Erna Dorn am 17. Juni noch immer in Untersuchungshaft in der Kleinen Steinstraße befand, was als verurteilte „Kommandeurin“ kaum möglich gewesen wäre. Am 21. Juni 1953 war der Aufstand bereits von sowjetischen Panzern niedergeschlagen worden und die neue DDR-Justizministerin Hilde Benjamin verlangte exemplarische Todesurteile, die den „faschistischen“ Hintergrund des Aufstandes beweisen sollten. Die Vernehmer wussten also schon im Vorhinein, was Erna Dorn auszusagen hatte. Und tatsächlich ist die Sprache dieser letzten Protokolle deutlich im Parteijargon abgefasst, nicht in der aus früheren Protokollen bekannten, etwas ungelenken Sprache Dorns. Der heutige Wissensstand lässt diesen letzten Prozess hingegen klar als Justizskandal und politisches Propagandaurteil erscheinen. Das Urteil wurde am 22. März 1994 posthum vom Landgericht Halle aufgehoben.
Rezeption
Am 20. Juni 1953 veröffentlichte das Hallenser SED-Organ Freiheit einen Artikel, der Erna Dorn als SS-Kommandeuse und Anführerin des Aufstands bezeichnet.
1954 erschien Stephan Hermlins Novelle Die Kommandeuse, in der er den Fall ganz im Sinne der DDR-Propaganda aufarbeitete.
In seinem 2005 erschienenen Roman Sommergewitter schildert Erich Loest die Ereignisse um den 17. Juni 1953 im Raum Bitterfeld, Wolfen und Halle aus der Sicht der Streikenden und arbeitete dabei Erna Dorn als Figur ein.
Die in Österreich erscheinende kommunistische Zeitung Der Neue Mahnruf widmete in ihrer Ausgabe vom Juli/August 1953 der Verurteilung zum Tode eine ganze Seite und machte sich die Position des DDR-Gerichts zu eigen.[5]
Literatur
- Jens Ebert, Insa Eschebach (Hrsg.): „Die Kommandeuse“ – Erna Dorn zwischen Nationalsozialismus und Kaltem Krieg. Dietz, Berlin 1994. ISBN 3-320-01838-8
- Justus von Denkmann: Der Fall Erna Dorn: Betrifft: 17. Juni 1953. Spotless-Verlag 2002, ISBN 978-3-93354-464-3.
- Hans-Peter Löhn: Spitzbart, Bauch und Brille – sind nicht des Volkes Wille. Der Volksaufstand am 17. Juni 1953 in Halle an der Saale. 2. korrigierte Auflage, Edition Temmen, Bremen 2003. ISBN 3-86108-373-6
- Beiträge
- André Gursky: „KZ-Kommandeuse“ und „Rädelsführerin“ von Halle – Rekonstruktion einer Legende, in: Hermann-Josef Rupieper (Hg.): „… und das Wichtigste ist doch die Einheit“. Der 17. Juni 1953 in den Bezirken Halle und Magdeburg, Münster/Hamburg/London 2003, S. 350–380. ISBN 3-8258-6775-7
- Stephan Hermlin: „Die Kommandeuse“. In: Neue Deutsche Literatur. 2 (1954) 10. S. 19–28.
- Ilko-Sascha Kowalczuk: Dorn, Erna. In: Wer war wer in der DDR? 5. Ausgabe. Band 1. Ch. Links, Berlin 2010, ISBN 978-3-86153-561-4.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Ilko-Sascha Kowalczuk: Dorn, Erna. In: Wer war wer in der DDR? 5. Ausgabe. Band 1. Ch. Links, Berlin 2010, ISBN 978-3-86153-561-4.
- ↑ Schlussbericht in der Strafsache Erna Dorn | Mediathek des Stasi-Unterlagen-Archivs. Abgerufen am 30. Oktober 2023.
- ↑ Christoph Dieckmann: „Der Fall Erna Dorn – Stephan Hermlin, die ‚SS-Kommandeuse‘ und der 17. Juni“, in: Die Zeit, Nr. 25, 12. Juni 2003.
- ↑ Spiegel TV Magazin: Hinrichtungen in der DDR, YouTube-Video, hochgeladen am 31. März 2010.
- ↑ „Die ehemalige Kommandeuse des Frauen-KZ Ravensbrück, Erna Dorn (alias Rabestein), wurde von einem Gericht in Halle wegen ihrer aktiven Teilnahme an den faschistischen Ausschreitungen vom 17. Juni zum Tode verurteilt.“