Else (auch Elsa oder Elise) Raydt (auch Reidt) war die Tochter von Marie Helena Gesa Raydt geb. Gruner (* ca. 1850 in Pyrmont; †12. Juni 1921 in Magdeburg) und dem Chemiker, Gymnasiallehrer, Erfinder und Unternehmer Wilhelm Carl Raydt. Ihr älterer Bruder war der Ingenieur Alfred Johann Hermann Raydt (* 12. Februar 1872 in Hannover; †20. März 1943 in Eltville). 1894 zog die Familie Raydt nach Stuttgart. Durch die Heirat ihres Bruders mit Helene Leonore Brüxner 1899 zählten auch der Kunsthistoriker Heinrich Brockhaus und weitere Mitglieder der Leipziger Verleger-Familie Brockhaus zu ihrer weitläufigen Verwandtschaft.
1913 war „Else Raydt, Kunstmalerin“ laut Adressbuch im ersten Stock des Hauses Birkenstraße 16 in Stuttgart gemeldet. Sie bewohnte damit eines der ab 1907 errichteten Häuser im Birkendörfle.[6] 1915 zog Raydt gemeinsam mit ihrer verwitweten Mutter nach Magdeburg, wo sie bis zu ihrem Tod an der Adresse Benediktinerstraße 2 im Stadtteil Buckau gemeldet war. Else Raydt starb am 24. Januar 1931 im Alter von 47 Jahren in Magdeburg.[1]
Werk
Selbständigkeit in Stuttgart
In den Stuttgarter Mitteilungen über Kunst und Gewerbe 1905/1906 werden ausführlich Kleiderentwürfe von verschiedenen Künstlerinnen besprochen. Viele der Modelle mit Abbildungen stammen von Else Raydt.[7] Sie konzipierte in dieser Zeit Künstlerkleider, die ohne einschnürendes Korsett getragen wurden und betrieb vor 1915 eine Werkstatt für Frauenkleidung.[8] Ab 1910 referierte Else Raydt, wie auch die Kolleginnen Emmy Schoch, Maria Thierbach und Hedwig Buschmann, auf Vortragsveranstaltungen zur Reformmode. Die Vorträge legten einen Schwerpunkt auf den ästhetischen Kleiderentwurf sowie die Schnitt- und Fertigungstechniken. Sie wurden oft mit der Präsentation von Kleidermodellen kombiniert.[9] Die Kunstmuseen Krefeld verfügen über eine größere Anzahl von Entwurfszeichnungen der Künstlerin und zeigten eine Auswahl anlässlich der Ausstellung Auf Freiheit zugeschnitten im Kaiser-Wilhelm-Museum 2018/19.
Leiterin der Modeklasse in Magdeburg und Professur
In Deutschland bemühten sich während des Ersten Weltkriegs Wirtschaft und Verbände, u. a. der Deutsche Werkbund, um die Entwicklung einer national eigenständigen Mode. Rohstoffe waren knapp und modische Impulse der Kriegsgegner Frankreich und England unerwünscht. Staatlich gefördert öffnete deshalb 1915 in der Kunstgewerbe- und Handwerkerschule Magdeburg unter dem damaligen Direktor Rudolf Bosselt (1871–1938) die deutschlandweit erste Modeklasse an einer Kunstschule. Ziel war, durch die Einwicklung qualitätvoller deutscher Modelinien auf das Ausland auszustrahlen und den Markt in Deutschland und Europa zu erobern.
Bosselt wünschte sich bei der Stellenbesetzung Lehrkräfte, „die eine besondere Gabe für die Kleidung besitzen, für das gut und vorteilhaft Angezogensein, die die Witterung haben für die Zeit, für das, was kommt, kommen kann“.[10] Als Leiterin der Modewerkstätten wurde 1915 Else Raydt berufen. Sie leitete die Fachklasse für Frauenkleidung zunächst unter der künstlerischen Oberleitung von Kurt Tuch. Auf dem Lehrplan standen allgemeine Gestaltungsprinzipien, das Entwerfen von Kleidern, Anatomie, Aktzeichnen sowie praktischer Unterricht in der Werkstatt. Die erste Modenschau mit eigenen Kleiderentwürfen der Modeklasse fand 1916 in Magdeburg und Berlin statt. Die Präsentation bettete die Kleiderschau in einen Rahmen aus Musik und literarischen Darbietungen ein und wurde in zeitgenössischen Fachzeitschriften breit erörtert.[11]
1917 beteiligte man sich an der Werkbundausstellung in Bern. Die dortige Modenschau wurde in einem Stummfilm dokumentiert.[12] Im gleichen Jahr äußerte Raydt zu den Zielen ihrer Arbeit: „Bis Friedensschluß müssen wir eine von der Frankreichs abweichende Mode haben, und unsere großen Konfektionshäuser und Konfektionsfabriken werden mit dieser neuen deutschen Mode die Welt überschwemmen.“[13] Sie beklagte den Verdienstunterschied zwischen der gut bezahlten Branche in Paris und den schlechten Verhältnissen in Berlin, wo „ein Heer jämmerlich bezahlter Heimarbeiterinnen für den Siegeszug der französischen Mode“ schufte.[14]
Die Modeklasse hatte einen von der Kunstgewerbe- und Handwerkerschule getrennten Haushalt. Else Raydt kooperierte als Leiterin der Modeklasse ab 1915/1916 mit dem „Seidenhaus Bischof“ in Magdeburg und dem „Hohenzollern Kunstgewerbehaus“ in Berlin. Die Zusammenarbeit ging in den 1920er Jahren so weit, dass das Konfektionshaus Bischof die Materialien lieferte, den Vertrieb der Modelle übernahm und Hilfskräfte in den schulischen Werkstätten finanzierte. 1921 wurden die Kleider der Modeklasse in 40 deutschen Städten gezeigt. 1921 beförderte man Else Raydt zur Professorin an der Kunstgewerbe- und Handwerkerschule Magdeburg.
Illustratorin in Stuttgart und Magdeburg
Parallel zur Tätigkeit als Entwerferin für künstlerische Kleidung und Mode illustrierte Else Raydt populäre Kinderbücher. Auf der Weltausstellung für Buchgewerbe und Graphik Bugra 1914 in Leipzig präsentierte Else Raydt eine farbige Lithografie zum Märchen „Schneewittchen“ sowie eine farbige Zeichnung zu „Nußknacker und Mausekönig“ von E. Th. A. Hoffmann.[15]
Rückansicht eines dunklen Samtkleides mit Einsatz und Achselklappen aus bräunlicher Seide[19]
Hauskleid aus rötlich violettem Cachemire. Unterkleid aus blau und goldschimmernder Seide[20]
Kleider 1905
WeiĂźes Leinen-kleid
Schwarzes Samtkleid
Voile-kleid mit Unterkleid
Velvet-kleid mit Pelz
Samtkleid RĂĽck-ansicht
Haus-kleid mit Unter-kleid
Buchillustrationen (Auswahl)
Berthold Auerbach: Barfüßele. Eine Schwarzwälder Dorfgeschichte. Mit 4 Farbtafafeln und 17 SW-Illustrationen von Else Raydt. Westermann Verlag, Braunschweig 1916 und 1919.
Li Maria Heckel: Hansi’s Vorfrühling. Eine Erzählung für junge Mädchen. Mit 4 farbigen Einschaltbildern und 15 Textzeichnungen von Else Raydt. Westermann Verlag, Braunschweig 1920.
E.T.A. Hoffmann: Romantische Märchen. Ausgewählt u. bearb. v. Friedrich Düsel; mit 4 farbigen Tafeln und 18 Textillustrationen von Else Raydt, Deckelillustration von Hugo Krayn. Westermann Verlag, Braunschweig 1911, 1920.
Richard Klement: Kinderlieder. Mit 7 farbigen Tafeln und zahlreichen Textillustrationen von Else Raydt. Verlag Attenkofer, Straubing 1916.
Theodor Krausbauer: Auch ein Heimatbuch. Mit Bildern von Else Raydt. Verlag von Julius Klinkhardt, Leipzig 1913.[21]
Jakob Loewenberg: BittegrĂĽn. Ein Kinderbuch. Mit Illustrationen von Else Raydt. Verlag Julius Klinkhardt, Leipzig 1913.
Heinrich Moser (Hrsg.): Frühlicht. Band 8: Unterwegs. (gesamt 9 Bände mit farb Illustr. von Else Raydt, F. Müller-Münster, Paul Kammüller, Burkhard Mangold, Rudolf Münger, Hans Witzig, Theodor Barth, Eduard Stiefel, Gertrud Pfeiffer-Kohrt). Mit teils ganzseitigen und farbigen Illustrationen von Else Raydt. Verein für Verbreitung guter Schriften, Verlag Ensslin & Laiblin, Zürich / Reutlingen, 1921.
Josephine Siebe: Meister Schnupphase und seine Freunde. Eine fröhliche Kindergeschichte. Mit 4 farbigen Tafeln und zahlreichen Textbildern von Else Raydt. Verlag Levy & Müller, Stuttgart, 1915, 1925 und 1930.
Richard von Volkmann-Leander: Goldtöchterchen und andere Märchen. Mit Bildern von E. Raydt und Ernst Liebermann. Lehrervereinigung für Kunstpflege, e. V. Berlin (Hrsg.) Enßlin & Laiblin Verlag, Reutlingen, 1921, 1927, 1931.
Ausstellungen (Auswahl)
1905: Ausstellung für gesundheitliche und künstlerische Kleidung im königlichen Landesgewerbemuseum, Stuttgart.[20]
1906: Ausstellung der Bilder Erfüllung, Über die Heide, Spätsommer, Blühende Heide und Gärtchen im Württembergischen Kunstverein Stuttgart[22]
Weltausstellung fĂĽr Buchgewerbe und Graphik Leipzig 1914, Sonderausstellung Die Frau im Buchgewerbe und in der Graphik: Bronzener Preis in der Abteilung Buchillustration[31]
Literatur
Rudolf Bosselt, Else Raydt: Kunstgewerbeschule Magdeburg: Fachklasse fĂĽr Frauenkleidung. Kunstgewerbeschule Magdeburg, ca. 1916.
Rudolf Bosselt, Else Raydt: Deutsche Kleiderkunst. Band I und II. Kunstgewerbeschule Magdeburg. Peters, 1917.
Rudolf Bosselt: Kunstgewerbeschule Magdeburg: Fachklasse fĂĽr Frauenkleidung. Kunstgewerbeschule Magdeburg. Karl Peters, Magdeburg ca. 1918.
Ausstellungen des Buchmuseums: Originale von Else Raydt (Künstlerin), Deutsches Kulturmuseum. In: Jahres- und Geschäftsbericht des Deutschen Buchgewerbevereins zu Leipzig für das Jahr 1919. Zeitschrift des Deutschen Vereins für Buchwesen und Schrifttum 1919, S. 46.[21]
Max von Böhm: Neue Mode aus Magdeburg. In: Velhagen & Klasings Monatshefte. 43. Jg. 1919/20, 1. Band, S. 577–580.
Norbert Eisold: Mode Krieg und Kriese. 1911-1924. / „Der breite Weg.“ 1925–1933. In: Matthias Puhle (Hrsg.): Die Kunstgewerbe- und Handwerkerschule Magdeburg 1793-1963. Cuno Druck, Calbe 1993, ISBN 3-930030-00-4, S. 26–27.
Ina Ewers-Schulz, Magdalena Holzhey: Auf Freiheit zugeschnitten – Das Künstlerkleid um 1900 in Mode, Kunst und Gesellschaft. Hirmer Verlag, München 2018, S. 95, 116–117.
Conrad Engelhardt: Phönix ohne Himmel: von Sonntagsschule bis Abwicklung: Die neue Dauerausstellung im Forum Gestaltung dokumentiert die Geschichte der Kunstgewerbe- und Handwerkerschule Magdeburg. In: Dates - Das Magdeburger Stadtmagazin. Dates-Medien-Verlag Magdeburg; Burgdorf: Lundin, Weise, Engelhardt & Partner, Dezember 2019, S. 16: Illustration.
↑ abSterberegister Magdeburg, 1931, Bd. 1, Nr. 149/1931.
↑Edith Neumann: Künstlerinnen in Württemberg: Zur Geschichte des Württembergischen Malerinnen-Vereins und des Bundes bildender Künstlerinnen Württembergs. Band 2. Klett-Cotta, Stuttgart 1999, S. 12, ISBN 3-608-94192-4.
↑[1] Katalog Antiquariar Winfried Geisenheimer, Kinderbücher, Bilderbücher, Märchen und Sagen, Katalog 85, Winter 2015, S. 25.
↑[3] Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 25.1914, S. 163.
↑[5] Patricia Ober: Der Frauen neue Kleider: das Reformkleid und die Konstruktion des modernen Frauenkörpers. Verlag Hans Schiler, Berlin 2005, ISBN 978-3-899-30025-3, S. 63.
↑Rudolf Bosselt: Krieg und Deutsche Mode. Magdeburg 1915, S. 32, zitiert nach Norbert Eisold: Krieg und Deutsche Mode. In: Die Kunstgewerbe- und Handwerkerschule Magdeburg 1793-1963. Magdeburg 1993, S. 30.
↑Willy Leven: Eine Kömodie der Mode. In: Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten. 38.1916, S. 74–76.
↑[6]Deutsche Modenschau auf der Deutschen Werkbundausstellung zu Bern. Kurz-Dokumentarfilm der Deutschen Lichtbild-Gesellschaft e. V. (DLG), Berlin im Auftrag der Deulig-Film GmbH Berlin, Deutschland 1917.
↑Else Raydt: Deutsche Modebestrebungen. In: Westermanns Monatshefte. Mai 1917, S. 356. Zitiert nach Avantgarde-Mode: Louis XVI bis Art deco. Verlag Reimer, 1983.
↑[7] in Stuttgarter Mitteilungen über Kunst und Gewerbe — 1905-1906, S. 101.
↑[8] in Stuttgarter Mitteilungen über Kunst und Gewerbe — 1905-1906, S. 102.
↑[9] in Stuttgarter Mitteilungen über Kunst und Gewerbe — 1905-1906, S. 103.
↑[10] in Stuttgarter Mitteilungen über Kunst und Gewerbe — 1905-1906, S. 104.
↑[11] in Stuttgarter Mitteilungen über Kunst und Gewerbe — 1905-1906, S. 105.
↑Literatur in: Zoologischer Beobachter, Der Zoologische Garten. Zeitschrift für Biologie, Pflege und Zucht der Tiere. Nr. 2, Februar 2014, Verlag von Mahlau und Waldschmidt, Frankfurt a. M. 1914, S. 64.
↑Digitalisat in: Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 5.1905/1906, S. 211.
↑Digitalisat Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 6.1906/1907, S. 183.
↑[12] in Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 21.1907, S. 212.
↑[13] Mitteilungen des Württembergischen Kunstgewerbevereins — 1907-1908, S. 45.
↑[14] Die Frau im Buchgewerbe und in der Graphik; Sondergruppe der Weltausstellung für Buchgewerbe und Graphik, Deutscher Buchgewerbeverein, Leipzig 1914, S. 271.
↑[16] in Willy Leven: Eine Komödie der Mode, Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 38.1916, S. 74.
↑[17] Zeitschrift des Deutschen Vereins für Buchwesen und Schrifttum - 2.1919.
↑[18] Die Frau im Buchgewerbe und in der Graphik; Sondergruppe der Weltausstellung für Buchgewerbe und Graphik, Deutscher Buchgewerbeverein, Leipzig 1914, S. 306.
↑[19] Archiv für Buchgewerbe, Verlag des Deutschen Buchgewerbevereins Leipzig, Band 51 1914, Heft 7,8,9, Teil 2, S. 198.