Naomi Shepherd berichtete davon, dass sich Elisabeth Rotten während des Ersten Weltkriegs in der Zusammenarbeit zwischen Quäkern und dem Roten Kreuz um die internierten Zivilangehörigen der Feindstaaten gekümmert und sich bemüht habe, den Kontakt zwischen den durch den Krieg getrennten Familien aufrechtzuerhalten. Wegen ihrer engen Verbindungen nach England habe ihr dreimal das Exil gedroht. „Mitte 1915 gründete sie einen Fürsorgenotdienst, die ›Auskunfts- und Hilfsstelle‹, um Lebensmittel und Kleidung an die in Not geratenen Mütter und Kinder zu verteilen. 1918 gehörten zum inneren Kreis ihrer Helfer vier Frauen und ein neunzehnjähriger Mann – Wilfrid Israel“.[2] Rotten und Israel waren auch an den Vorbereitungen für die ersten von den englischen Quäkern initiierten Lebensmittel- und Kleiderlieferungen an die notleidende deutsche Bevölkerung beteiligt, die dann ab 1920 durch die Quäkerspeisungen abgelöst wurden.[3]
1919 hielt Rotten eine vielbeachtete Rede auf der Internationalen Erziehungskonferenz in Genf über „Die Versuche einer neuen Erziehung in Deutschland“. Sie war Mitbegründerin des „Bundes Entschiedener Schulreformer“. Bis 1921 war sie als Leiterin der Pädagogischen Abteilung der „Deutschen Liga für Völkerbund“ tätig und gab 1920 bis 1921 die „Internationale Erziehungsrundschau“ heraus (als Beilage der Zeitschrift „Die neue Erziehung“). 1921 wurde sie Mitbegründerin des Weltbundes für Erneuerung der Erziehung (New Education Fellowship) und Direktorin für die deutschsprachigen Länder. Elisabeth Rotten gab – in der Nachfolge der Internationalen Erziehungsrundschau – als deutschsprachiges Organ des Weltbundes die Zeitschrift Das Werdende Zeitalter heraus (ab 1926 zusammen mit Karl Wilker). 1922 arbeitete sie in der Schulfarm Insel Scharfenberg bei Berlin. 1923 beteiligte sie sich an der Gründung der kunstgewerblichen Siedlung auf dem Gut Kohlgraben bei Vacha in der Rhön. Bis 1923 arbeitete sie mit den englischen Quäkern in der Kinderhilfe (Quäkerspeisung) zusammen, 1930 wurde sie Mitglied der Religiösen Gesellschaft der Freunde (Quäker). Ab 1925 war sie Mitdirektorin des International Bureau of Education in Genf.
Nach 1945 beteiligte sie sich an der Gründung des zuvor erwähnten Internationalen Pestalozzi-Kinderdorfes in Trogen im Kanton Appenzell Ausserrhoden. Die Mitarbeit Rottens am Aufbau und der Entwicklung des Kinderdorfes platzierte dieses in der pädagogischen Reformbewegung des 20. Jahrhunderts. Ihre im März 1945 publizierte Schrift "der geistige Ort des Kinderdorfs" erhielt in der pädagogischen Fachwelt viel Aufsehen.[5] Im Jahre 1947 wirkte sie als Dozentin an der Pädagogischen Hochschule Berlin. 1948 leitete sie das „Büro für kulturellen Austausch“ der „Schweizer Spende für die Kriegsgeschädigten“. Darüber hinaus betätigte sich Elisabeth Rotten auch als Übersetzerin (von Erich Fromm, Upton Sinclair, John SteinbecksTortilla Flat u. a.). Rotten starb im Mai 1964 und wurde in Saanen beerdigt.
Schriften
Die Einigung Europas: Sammlung von Aussprüchen und Dokumenten zur Versöhnung und Organisation Europas aus eineinhalb Jahrhunderten, ausgewählt und eingeleitet von Elisabeth Rotten, mit einem Geleitwort von Jean Rudolf von Salis. Haus der Bücher, Basel 1942, DNB993166148.
Lukas Hartmann: Ein Völkerbund der Kinder. Elisabeth Rotten (1882–1964) und das Kinderdorf Pestalozzi. In: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Jg. 72 (2022), Heft 2.
Dietmar Haubfleisch: Elisabeth Rotten (1882 - 1964) – eine (fast) vergessene Reformpädagogin. In: Inge Hansen-Schaberg (Hrsg.): „etwas erzählen“. Die lebensgeschichtliche Dimension in der Pädagogik. Bruno Schonig zum 60. Geburtstag. Baltmannsweiler 1997, S. 114–131. – Überarb. Ausg. unter Weglassung der Abb. Marburg 1997: http://archiv.ub.uni-marburg.de/sonst/1996/0010.html. – Überarb. und akt. Fassung: Elisabeth Rotten (1882–1964) – Netzwerkerin der Reformpädagogik. In: Entwicklung, Bildung, Erziehung. Beiträge für eine zeitgemäße Reformpädagogik (= undKinder. Hrsg. vom Marie Meierhofer Institut für das Kind, Nr. 81). Zürich 2008, S. 47–61.
Das Werdende Zeitalter (Internationale Erziehungs-Rundschau). Register sämtlicher Aufsätze und Rezensionen einer reformpädagogischen Zeitschrift in der Weimarer Republik. Zusammengestellt und eingeleitet von Dietmar Haubfleisch und Jörg-W. Link (= Archivhilfe, 8). Oer-Erkenschwick 1994. - Auszug der Einleitung (S. 5–16) wieder in: Mitteilungen & Materialien. Arbeitsgruppe Pädagogisches Museum e. V., Berlin, Heft Nr. 42/1994, S. 97–99; Einleitung in leicht korr. Fassung u. d. T.: Dietmar Haubfleisch, Jörg-W. Link: Einleitung zum Register der reformpädagogischen Zeitschrift „Das Werdende Zeitalter“ („Internationale Erziehungs-Rundschau“). wieder: Marburg 1996 (online). - Online-Ausg. des Registers: Paderborn: Universitätsbibliothek, 2017: http://digital.ub.uni-paderborn.de/retro/urn/urn:nbn:de:hbz:466:1-40314.
↑Stibbe, Matthew (2007): Elisabeth Rotten and the ‚Auskunfts- und Hilfsstelle für Deutsche im Ausland und Ausländer in Deutschland 1914–1919‘. In: Alison S. Fell, Ingrid Sharp (Hrsg.): The Women’s Movement in Wartime. International Perspectives, 1914–19. Basingstoke, Hampshire u. a., S. 194–210.
↑Naomi Shepherd: Wilfrid Israel, Siedler Verlag, Berlin 1985, ISBN 3-88680-149-7, S. 48–49
↑Ludwig Liegle/Franz-Michael Konrad (Hg.): Reformpädagogik in Palästina. Dokumente und Deutungen zu den Versuchen einer ‚neuen‘ Erziehung im jüdischen Gemeinwesen Palästinas (1918-1948), dipa-Verlag, Frankfurt am Main, 1989, ISBN 3-7638-0809-4, S. 229–230
↑ Schmidlin, Guido (1996): Walter Robert Corti. Der Gründer des Kinderdorfes Pestalozzi in Trogen. Speer Verlag: Zürich. S. 211.