Edwin Dwingers Vater Johann Heinrich August Dwinger war Offizier der Kaiserlichen Marine. Dwingers Mutter entstammte einer russischen Familie, die 1868 nach Deutschland eingewandert war. Sie brachte ihrem Sohn die russische Sprache bei und starb 1914 kurz vor Kriegsausbruch. Dwinger besuchte die Oberrealschule (die spätere Hebbelschule) in Kiel.
Wegen der erlittenen gesundheitlichen Schäden ging Dwinger in ein Sanatorium im Westallgäu. 1921 kaufte er einen kleinen Bauernhof in Tanneck (Allgäu). Er betrieb Landwirtschaft und Pferdezucht und gab auch Reitunterricht. 1926 veröffentlichte er mit Korsakoff seinen zweiten Roman. 1929 erschien sein Buch Die Armee hinter Stacheldraht, das hohe Auflagen erzielte und ihn über Nacht berühmt machte. Es beschreibt in drastischer Form die Erlebnisse seiner Kriegsgefangenschaft. Der Erfolg ermöglichte ihm ausgedehnte Reisen. In Griechenland lernte er 1929 seine spätere Frau kennen.
1930 erschien Zwischen Weiss und Rot, die Fortsetzung des ersten Buches, das die Zeit des russischen Bürgerkrieges aus Dwingers eigenem Erleben in Sibirien beschreibt. Das Werk wurde erneut über die verschiedenen politischen Lager hinweg positiv aufgenommen und in viele Sprachen, einschließlich Russisch, übersetzt. Dwinger wurde in die Sowjetunion eingeladen, um den Aufbau des Landes zu besichtigen.[5] 1931 heiratete er und kaufte ein größeres Gut in der Nähe von Seeg im Allgäu.
1932 erschien mit Wir rufen Deutschland der dritte Band seiner Trilogie, der die Rückkehr aus der russischen Kriegsgefangenschaft beschreibt. Darin kommt die Ablehnung der als korrupt und dekadent betrachteten Weimarer Republik durch viele ehemalige Frontsoldaten zum Ausdruck.
Zeit des Nationalsozialismus
Obwohl 1933 Dwingers pazifistisches Schauspiel Die Gefangenen von der Gestapo wegen Defätismus Aufführungsverbot erhielt,[5] hatte er bald mit regimekonformen Romanen wieder große Erfolge, insbesondere mit dem Roman Die letzten Reiter über das fiktive Freikorps Mannsfeld im Baltikum. Im Gegensatz zu seinen früheren Werken griff Dwinger jetzt nicht mehr auf selbst Erlebtes zurück, sondern bearbeitete die Stoffe in den Klischees der Zeit, Judenfeindlichkeit und vor allem einen starken Antikommunismus eingeschlossen. 1935 erhielt er den Dietrich-Eckart-Preis und wurde 1935 zum Reichskultursenator in der Reichskulturkammer ernannt.
Im Herbst 1936 reiste er als Kriegsberichterstatter nach Spanien, musste jedoch wegen Krankheit, den Nachwirkungen seiner Lagerzeit, bald zurückkehren. Die ReportageSpanische Silhouetten beschreibt den Spanischen Bürgerkrieg aus franquistischer Sicht. Außerdem veröffentlichte er 1937 einen im Stil der Blut-und-Boden-Ideologie gehaltenen Bildband über das Leben seiner Familie auf dem Hedwigshof bei Seeg.
Zweiter Weltkrieg
Mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde Dwinger Sonderführer und konnte sich so beliebigen Einheiten und Stäben als Kriegsberichterstatter anschließen.
Joseph Goebbels bestellte eine anti-polnische Propagandaschrift zur Rechtfertigung der deutschen Politik in Polen. Das Resultat, der Roman Der Tod in Polen über den Bromberger Blutsonntag vom 3. September 1939, fiel zu Goebbels’ Zufriedenheit aus.[10]
1940 erschien Panzerführer, eine Reportage über den Vorstoß zur Kanalküste im Frankreichfeldzug, den Dwinger wahrscheinlich im Stab von General Heinz Guderian mitmachte.
Ende 1941 wurde Dwinger, mit SS-Sondervollmachten versehen, an die Ostfront geschickt. Himmler erhoffte sich damals, Dwinger würde es einmal gelingen, eine Art Nationalepos über den Feldzug und die Ostbesiedlung zu schreiben. 1942 erschien Wiedersehen mit Sowjetrussland über Dwingers Reise.
Ab 1942 und in steigendem Maße nach der Schlacht von Stalingrad kritisierte Dwinger öffentlich die Ostpolitik. Im Frühjahr 1943 publizierte er in Wille und Macht, dem Organ der Hitlerjugend, den Essay Der Russische Mensch. Er bestritt eine rassische Minderwertigkeit der Russen, die, erst vom Bolschewismus befreit, in die europäische Völkerfamilie zurückkehren würden. Ein Sieg Deutschlands sei nur durch gute Behandlung der Bevölkerung in den besetzten Gebieten möglich.[11]
Dwinger engagierte sich für die Aufstellung von russischen Kampfverbänden unter General Wlassow, um die Bolschewisten zu entmachten. Zu den Befürwortern solcher Ideen gehörten neben ranghohen Militärs auch Mitglieder des späteren Widerstandes wie Henning von Tresckow oder Claus Schenk Graf von Stauffenberg.
Durch seine Aktivitäten und ständigen Denkschriften machte sich Dwinger bei der Parteispitze unbeliebt und verlor auch die Gunst Himmlers. Dwinger bekam ab Herbst 1943 Schreibverbot, wurde unter Hausarrest gestellt und vom SD überwacht. In seiner berüchtigten Posener Rede erwähnte Himmler „die baltischen und östlichen Träumer, von denen einige sehr gute Bücher schreiben und auch eine russische Mutter hatten“ im Zusammenhang mit Wlassow.
Nach Kriegsende wurde Dwinger in Ludwigsburg für ein halbes Jahr inhaftiert. Bei seinem Entnazifizierungsprozess, der erst 1948 zu Beginn des Kalten Krieges stattfand, wurde er lediglich als Mitläufer eingestuft und zu 500 Mark Geldstrafe verurteilt. Die Verteidigung versuchte sogar, ihn in Verbindung zum Widerstand zu bringen.
Auf dem Hedwigshof bei Seeg lebend, verfasste er nationalistische und antikommunistische Bücher, die immer noch ein Publikum fanden. Wenn die Dämme brechen (1950) behandelt den Einmarsch der Roten Armee in Ostpreußen. Die zwölf Gespräche (1966) und General Wlassow (1951) tragen autobiographische Züge. Im utopischen Kriegsroman Es geschah im Jahre 1965 (1957) wird ein atomarer Weltkrieg beschrieben.
1931 heiratete er Waltraud Wien, die Tochter des Physikers Wilhelm Wien. Gemeinsam hatten sie zwei Söhne und eine Tochter. Die Ehe wurde 1945 geschieden. Seine zweite Frau Ellen war zuvor mit dem Autor und Journalisten Giselher Wirsing verheiratet.
Der Regisseur Tobias Ginsburg recherchierte gemeinsam mit Dwingers Enkel Raphael Dwinger anderthalb Jahre über Leben und Werk des Schriftstellers und arbeitete es im dokumentarischen Theaterstück Nestbeschmutzung auf. Das Stück feierte 2011 in der Reaktorhalle München und der Schauburg Premiere.[16][17]
Die Armee hinter Stacheldraht. Das Sibirische Tagebuch. 1929
Zwischen Weiß und Rot. Die russische Tragödie 1919–1920. 1930; NA: Stocker, Graz / Stuttgart 2001, ISBN 3-7020-0929-9.
Die zwölf Räuber. Roman, 1931
Wir rufen Deutschland. Heimkehr und Vermächtnis. 1921–1924. 1932
Die Gefangenen. Schauspiel, 1933
Der letzte Traum. Eine deutsche Tragödie. 1934
Wo ist Deutschland? Schauspiel, 1934
Die letzten Reiter. 1935
Und Gott schweigt. 1936
Das namenlose Heer. Erlebnisse in russischer Kriegsgefangenschaft, 1936 (Deutsche Reihe Band 35)
Spanische Silhouetten. Tagebuch einer Frontreise. 1937
Ein Erbhof im Allgäu. Verlag F. Bruckmann AG, München, 1937
Auf halbem Wege. Roman, 1939
Der Tod in Polen. Die volksdeutsche Passion. 1940
Panzerführer. Tagebuchblätter vom Frankreichfeldzug. 1941
Wiedersehen mit Sowjetrussland. Tagebuch vom Ostfeldzug. 1942
Dichter unter den Waffen. Ein Kriegsalmanach deutscher Dichtung. Hrsg. v. Werbe- u. Beratungsamt für das Deutsche Schrifttum beim Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (Porträtphotographien mit Kurzbibliographien, Kurzbiographien und Schaffensproben der bekanntesten Dichter der Zeit: Dwinger u. a.), 1941
Wenn die Dämme brechen … Untergang Ostpreußens. 1950
General Wlassow. Eine Tragödie unserer Zeit. 1951
Sie suchten die Freiheit … Schicksalsweg eines Reitervolkes. 1952
Hanka. Roman eines Jägers. 1953
Das Glück der Erde. Reiterbrevier für Pferdefreunde. 1957
Axel W. Claesges: Edwin Erich Dwinger. Ein Leben in Tagebüchern. Univ. Diss., Nashville TN 1968.
Jörg Thunecke (Hrsg.): Leid der Worte. Panorama des literarischen Nationalsozialismus. Bouvier, Bonn 1987 (= Abhandlungen zur Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaft. Band 367), ISBN 3-416-01930-X.
Horst Friedrich List: Edwin Erich Dwinger, der Chronist unserer Zeit. Diekreiter, Freiburg im Breisgau u. a. 1952.
Helmut Müssener: Becher und Dwinger. In: Kürbiskern. München 1982, 2, S. 125–137.
Helmut Müssener: Edwin Erich Dwingers Roman „Zwischen Weiß und Rot“ – Die russische Tragödie als deutsches Trauerspiel. In: Wulf Koepke, Michael Winkler: Deutschsprachige Exilliteratur. Studien zu ihrer Bestimmung im Kontext der Epoche 1930–1960. Bonn 1984, S. 125–143.
Georg Wurzer: Das Russlandbild Edwin Erich Dwingers. In: Karl Eimermacher, Astrid Volpert: Stürmische Aufbrüche und enttäuschte Hoffnungen. Russen und Deutsche in der Zwischenkriegszeit. München 2006, S. 715–747.
Susanne Feigl u. a. (Hrsg.): Väter unser: Reflexionen von Töchtern und Söhnen. 1988, ISBN 3-7046-0109-0
Dwinger – Der ungeklärte Fall Wlassow. In: Der Spiegel. Nr.52, 1951 (online).
Christian Adam: Der Traum vom Jahre Null : Autoren, Bestseller, Leser: die Neuordnung der Bücherwelt in Ost und West nach 1945. Berlin : Galiani Berlin, 2016, S. 152–158
↑Dragoner-Regiment Nr. 9, 1. Eskadron; Preußische Verlustliste Nr. 315 vom 31. August 1915, S. 8472/Deutsche Verlustliste: vermißt; Nr. 611 vom 19. August 1916, S. 14217: in Gefangenschaft.
↑Dwinger: Wie ich die Revolution erlebte. In: Zeitschrift Osteuropa. 17 (1967).
↑Lawrence D. Stokes: Der Eutiner Dichterkreis und der Nationalsozialismus 1936–1945: Eine Dokumentation. Wachholtz, Neumünster 2001, ISBN 3-529-02211-X. (Quellen und Forschungen zur Geschichte Schleswig-Holsteins; Bd. 111.)