D’r Hans im SchnokelochD’r Hans im Schnokeloch („Der Hans im Schnakenloch“; mit Schnaken sind Stechmücken gemeint) ist ein alemannisches Volkslied aus dem Elsass, das sich bis in das mittlere 19. Jahrhundert nachweisen lässt. Die Texte sind vielfältig, handeln aber gemeinhin von der notorischen Unzufriedenheit der Liedfigur Hans, der mit nichts und niemandem zufriedengestellt ist. Das in der Gegend von Straßburg entstandene Lied konnte sich im ganzen Elsass und schließlich auch über dieses hinaus verbreiten. Neben dem Dasein als Volks- und Kinderlied wurde das Lied zu einer Metapher für die ambivalente Geschichte des Elsass und gilt als dessen inoffizielle „Hymne“. Zudem regte es viele Kulturschaffende an und inspirierte unter anderem mehrere Bühnenwerke. Hintergrund und GeschichteEntstehungsmythosEiner geläufigen Erzählung nach wurde der Text einem Gastwirt gewidmet, der im Schnokeloch genannten Gelände in Königshofen bei Straßburg seine Stätte betrieb.[1] Womöglich handelte der Text ursprünglich davon, dass der Gastwirt Hans alles habe, was die Gäste bei ihm bestellen wollen – oder ebendas gerade nicht.[1][2] Erst später sei der Text so abgeändert worden, dass er sich auf das launische Gemüt des Wirts bezog.[1] Bei der Melodie handelt es sich um eine damals weit verbreitete Volksweise, zu der auch andere Texte gesungen werden. Zum ersten Mal abgedruckt wurde der Text 1842 im Elsässischen Sagenbuch[3] von August Stöber. Das SchnokelochDas Schnokeloch (⊙ ) ist ein ehemaliges Feuchtgebiet im Straßburger Stadtteil Königshofen, westlich des historischen Stadtkerns. Mit Schnoke sind in den regionalen Dialekten Stechmücken gemeint, die Bezeichnung als Loch ist auf die Sumpfigkeit der Ortschaft zurückzuführen. Es verläuft dort der Mühlbach, ein Nebenfluss der Breusch.[4] Das anliegende Breuscheckschlössel (⊙ ) ist in vielen bildlichen Darstellungen der Legende im Hintergrund zu erkennen. Durch die Ortschaft verläuft die Rue du Schnokeloch, der Bezug des Straßennamens auf ein „Schnakenloch“ lässt sich bis in das Jahr 1817 nachweisen.[5] TexteAlemannische TexteDer bekannte Hauptvers wurde 1842 im Elsässischen Sagenbuch von August Stöber zum ersten Mal abgedruckt[3] und in dessen Anmerkungsapparat als „ein im Elsasse altbekanntes Volkslied“ beschrieben.[4] Der Hans im Schnockeloch hett Alles was er will! Der Hans im Schnakenloch hat alles was er will! Darauf folgen sechs weitere Verse, die von Adolf Stöber, dem Bruder des Herausgebers, beigesteuert wurden. Diese weisen einen tragischen, moralisierenden Charakter auf: Der notorisch unzufriedene „Hans im Schnakenloch“ versagt sich einem behaglichen Dasein mit Frau und Hof und wird vom Schicksal in den Ruin getrieben. Das Lied endet mit dem Tod von Hans, die letzte Strophe ruft zu Genügsam- und Frömmigkeit auf.[4] Er isch e richer Bur, unn ’s gfallt em nimm sin Hus; Er ist ein reicher Bauer, und es gefällt ihm nicht mehr sein Haus; Einige bekannte Verse greifen die Widersprüchlichkeit des Originals auf: Un was er saat, diss denkt er nit; Un was er kann, diss macht er nit, Un was er duet, diss soll er nit.[1] Auch anstößige Verse mit obszönem oder makaberem Inhalt sind verbreitet. Sie handeln etwa davon, dass Hans „eine Schnake im Loch [Anus]“ habe und sie nicht entfernen kann oder dass Hans aus Verzweiflung aus dem Fenster springt und in ein „Narrenhaus“ kommt.[6] Die in der Deutschschweiz verbreiteten Variationen handeln mitunter vom Hans im Schnäggeloch („Schneckenloch“).[7][8] Französische TexteEs konnten sich auch französischsprachige Texte etablieren. Neben singbaren Übersetzungen der alemannischen Vorlage (Le Hans de Schnokeloch) gibt es auch Verse, die eigene Geschichten erzählen; etwa dass Hans eine Hexe verprügeln geht.[9] MelodieVerbreitung und BedeutungUnter anderem im Hinblick auf die wechselhafte Geschichte des Elsass, das im Verlauf der Moderne mehrere Male die staatliche Zugehörigkeit wechselte und Schauplatz vieler militärischer Auseinandersetzungen war, erhielt das Volkslied eine lokalpatriotische Aufwertung zur inoffiziellen „Hymne des Elsass“.[6][7][10][1] Der Hans im Schnokeloch wurde zu einer Metapher für den Elsässer, der weder eindeutig deutsch noch eindeutig französisch ist; seine Gefühlsschwankungen wurden zum elsässischen Lokalgemüt stilisiert. Der Schriftsteller, Theologe und Jurist Frederic Hoffet äußert sich in seinem Essay Psychanalyse de l’Alsace wie folgt zu den Versen über den Hans im Schnokeloch:
– Frederic Hoffet: Psychanalyse de l’Alsace[11] Bei einer Diskussion in der französischen Nationalversammlung im Jahre 2019 um die Gründung der Europäischen Gebietskörperschaft Elsass brachte der Abgeordnete Thierry Michels (La République en Marche[12]) seine Unterstützung für die Gebietskörperschaft zum Ausdruck, in dem er D’r Hans im Schnokeloch zu singen begann. Caroline Fiat (La France insoumise[13]) reagierte mit dem Zwischenruf, dass „die Sprache der Republik“ Französisch sei („La langue de la République est le français !“), und auch die Präsidentin mahnte, dass Regionalsprachen im Plenarsaal untersagt seien.[14] Das Lied erlangte auch über das Elsass hinaus Bekanntheit, als unpolitisches Volks- und Kinderlied ist es im gesamten alemannischen Dialektraum verbreitet.[1] Abgeleitete BühnenwerkeDie Liedfigur des Hans im Schnokeloch diente mehrfach als Inspiration für Bühnenwerke, wobei D’r Hans im Schnokeloch (1903) von Ferdinand Bastian und Hans im Schnakenloch (1915) von René Schickele erhebliche Bekanntheit erlangten. Auch der seinerzeit weit bekannte Kabarettist Germain Muller griff die Figur auf,[15] und der Schweizer Musiker Andrew Bond verfasste auf Grundlage des Volksliedes das Kindermusical De Hans im Schnäggeloch (2013).[16] D’r Hans im Schnokeloch (1903)Der elsässische Mundartdichter Ferdinand Bastian veröffentlichte 1903 D’r Hans im Schnokeloch, ein „Volksspiel in 4 Aufzügen“.[17] Das Stück baut auf dem Text von Adolf Stöber im Elsässischen Sagenbuch auf und baut dessen Handlung zu einer Tragikomödie mit musikalischen Einlagen aus. Vor allem im 3. Akt werden viele regionale Volkslieder gesungen, darunter D’r Murwaddel, S’Elsass, unser Ländel und auch das dem Stück zugrundeliegende D’r Hans im Schnokeloch. Die Dialoge sind auf Elsässisch verfasst, mit vielen französischen Lehnausdrücken sowie mitunter „Erzen“ und „Ihrzen“ als gebräuchliche Höflichkeitsformen. Im Jahr 1928 wurde dem Autor zur 1000. Vorstellung des Stückes gratuliert.[18] Bereits 1922 wurde eine Stummfilmadaption umgesetzt.[19] HandlungHans ist ein junger, deprimierter Hofbesitzer, der sich von den kleinsten Unzulänglichkeiten aus der Fassung bringen lässt, mit zynischen Sprüchen seine Mitmenschen verletzt und einen großen Lebensüberdruss empfindet. Mit seinen Tanten Lehn und Angenes sowie dem mürben Knecht Casper bewirtschaftet er seinen Hof. Die Tanten glauben, dass Hans mehr Halt hätte, würde er eine Frau heiraten. Dieser träumt aber lieber davon, eines Tages ein großes Haus zu besitzen oder wie sein Freund François nach Amerika auszuwandern. Nur für seine Base Urschel empfindet er gewisse Liebesgefühle. Nach einer ereignisreichen Verkupplung durch Lehn heiratet er diese schließlich, zeugt mit ihr ein Kind und baut sich ein neues Haus, das er sich mit dem Verkauf eines Mondkalbes finanziert. Bei der Tauffeier des Kindes bricht jedoch ein Brand im Schnokeloch aus, worauf Hans frustriert seine Familie im Stich lässt, um nach Amerika auszuwandern. Als er fünf Jahre später verwahrlost nach Straßburg zurückkehrt, verpasst er um wenige Augenblicke die Abreise von Urschel, die nun ihren Cousin Grosskost geheiratet hat. Er bittet Lehn und Casper, niemandem von seiner Rückkehr zu erzählen, und verabschiedet sich für immer.[20] Hans im Schnakenloch (1915)Der deutsch-französische Schriftsteller René Schickele veröffentlichte im Jahr 1915 das expressionistische Drama Hans im Schnakenloch, welches vom Schicksal der Elsässer bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges handelt. Das Werk gilt als Ausdruck von Schickeles Pazifismus und als erstes deutsches Drama, das auf den Ersten Weltkrieg Bezug nimmt.[10] Beim allgemeinen Publikum beliebt, wurde das Werk der kriegskritischen Tendenzen wegen von deutschen und österreichischen Behörden zeitweise verboten oder im Sinne ihrer Zensur angepasst. Im Deutschen Reich wurde gar die Oberste Heeresleitung auf das Stück aufmerksam; der Erste Generalquartiermeister Erich Ludendorff nahm erheblichen Einfluss gegen dessen Freigabe durch die Zensurbehörden.[10] HandlungHans Boulanger ist ein rastloser, selbstherrlicher Mann, der das Schnakenloch, den von seinem Vater geerbten Hof, mit leichtsinnigen Entscheidungen kaputtwirtschaftet, verschwenderische Reisen und Ausflüge unternimmt, die Erziehung seiner Kinder vernachlässigt und seine Frau betrügt. Als der Erste Weltkrieg ausbricht, wird die Familie Boulanger gespalten: Hans selbst ist aus gesundheitlichen Gründen nicht dienstpflichtig und möchte das Schnakenloch nicht verlassen. Sein Bruder dient als Leutnant im Deutschen Heer. Die Mutter identifiziert sich als Französin, betet aber für ihren kämpfenden Sohn. Hans’ deutsche Frau stellt ihre Nationalität hinter die Liebe zu ihrer Familie, obwohl ihr Mann sie immer wieder betrügt und verletzt. Als das Kriegsgeschehen das Schnakenloch erreicht, wird Hans von Todessehnsucht ergriffen. Er beschließt, Familie und Hof schlagartig hinter sich zu lassen, um als französischer Soldat auf dem Schlachtfeld zu sterben.[21] TriviaFür das Fahrgeschäft Madame Freudenreich Curiosités im Europa-Park in Rust wurde ein Soundtrack aus verschiedenen Arrangements des Volksliedes produziert.[22] Literatur
WeblinksCommons: D'r Hans im Schnokeloch – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Einzelnachweise
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