Mit Biomorph (Pl. angelehnt an EnglischBiomorphs, seltener Biomorphe; Adj. biomorph; von griech. βίος bíos ‚Leben‘ und μορφή morphé ‚Gestalt, Form‘, „etwas, das einer biologischen Form oder Gestalt ähnelt“) bezeichnet man in der Architektur, bildenden Kunst, im Design und in der Wissenschaft (Computersimulation und Robotik) künstliche, organisch anmutende Gebilde und Abbildungen, die lebenden Wesen oder deren Teilen oder biologischen Produkten nachempfunden sind oder ähnlich sehen. Früher wurde dazu der Begriff organisch verwendet.
„The biomorph is the representation of anything living in contradistinction to the skeuomorph, which, as we have seen, is the representation of anything made, or of the physicomorph which is the representation of an object or operation in the physical world.“
„Das Biomorph ist die Darstellung von allem, was lebt, in Abgrenzung zum Skeuomorph, das, wie wir gesehen haben, die Darstellung von allem ist, was hergestellt wurde,[2] oder zum Physicomorph, das die Darstellung eines Objekts oder eines Vorgangs in der physischen Welt ist.“
1936 führte der US-amerikanischeKunsthistorikerAlfred Hamilton Barr Jr., Gründungsdirektor des Museum of Modern Art, diesen Begriff erneut in die Kunst ein.[3] Barr gab aber keine strikte Definition von Biomorph, sondern verwendete den Begriff, um in der abstrakten Kunst das Gegenteil von rein geometrischen Formen zu bezeichnen; im selben Zusammenhang prägte Barr auch den zusammengesetzten Begriff biomorphic abstraction (biomorphe Abstraktion, heute auch Synonym zu organischer Abstraktion, engl. organic abstraction).[4][5][6]
Ausgehend von der Kunst hat der Begriff Biomorph ab den 1980er Jahren auch Verwendung in den Naturwissenschaften gefunden.
Der von Biomorph abgeleitete Begriff Biomorphismus (englisch biomorphism) ist nicht zu verwechseln mit dem biologischen Begriff Biomorphologie (englisch biomorphology; häufiger verkürzt zu Morphologie, bzw. morphology), der Lehre von der Struktur und Form der Organismen, oder mit Biomorphose, einer anderen Bezeichnung für den Vorgang des Alterns.
In den 1880er Jahren empfahl der Maler und Kunstlehrer Moritz Meurer das Naturstudium, insbesondere das Studium der Pflanze, ihrer Morphologie und ihrer Konstruktionsprinzipien, als Vorbild für die künstlerischen Formfindung. Hierin folgte ihm unter anderem sein Schüler, der Fotograf und Kunstlehrer Karl Blossfeldt. In Gemälden von Surrealisten wie Salvador Dalí,[8]Yves Tanguy,[9]Joan Miró und Roberto Matta oder abstrakter Maler wie Wassily Kandinsky finden sich Strukturen, die als biomorph bezeichnet werden.[10] Aber auch bei nachfolgenden Künstlern wie Ida Kohlmeyer,[11]James Brown, dem malenden Zoologen und VerhaltensforscherDesmond Morris[12] und weiteren Anhängern des Surrealismus oder der abstrakten Malerei entdeckt man biomorphe Strukturelemente.
Biomorphe Maschinen, die von ihrer äußeren Form real existierenden Lebensformen nachgebaut sind, sind ein Forschungsgebiet der Robotik.[19] Das breite Anwendungsspektrum der Biomorphs reicht vom lastentragenden Laufroboter BigDog über die bei Demenzerkranktentherapeutisch eingesetzte Robbe Paro, Spielzeuge wie Sonys Aibo und den von Marc Tilden[20] konzipierten Robosapien bis zu humanoiden Robotern, die Menschen in Gestalt und selektiven Funktionen technisch nachempfunden werden.
Literatur
Michael Kröger: „… gleichsam biologische Urzeichen …“. Die Erfindung biomorpher Natur in Malerei und Fotografie der dreißiger Jahre. In: kritische berichte. 4/1990, S. 71–87 (Digitalisat).
Bernd Löbach: Biomorphismus – Eine Revolution in der Architektur. Band 1: Geschichte. Designbuch Verlag, Cremlingen 2010 (2. Auflage 2011), ISBN 3-923971-70-2.
Rike Felka: Biomorphe Architekturen. Verlag Brinkmann und Bose, Berlin 2019, ISBN 978-3-940048-36-3.
↑Auch Haddons Begriff Skeuomorph erfuhr später in der Kunst eine Bedeutungsveränderung. Man versteht heute darunter ein künstlich hergestelltes Objekt, das rein ornamentale Elemente einer oder mehrerer Strukturen enthält, die im realen Original eine Funktion haben oder hatten, z. B. die steinernen Pylonen der Sydney Harbour Bridge.
↑William Baziotes, Michael Preble, Peggy Guggenheim Collection: William Baziotes: Paintings and Drawings, 1934-1962, Skira (2004)
↑Oliver A.I. Botar und Isabel Wünsche: Biocentrism and Modernism, Ashgate Publishing, Ltd. (2011), S. 67
↑Lawrence Alloway und Mary Davis MacNaughton: Adolph Gottlieb, a Retrospective Couverture, Hudson Hills (1995), S. 30, behandelt surrealistischen Biomorphismus und biomorphe Formen.
↑Bücher zu diesem Thema sind (a) Desmond Morris: The Secret Surrealist: Paintings of Desmond Morris, Phaidon Press Ltd (1987) und (b) Silvano Levy: Desmond Morris: Naked Surrealism, Petraco-Pandora NV (1999)
↑Astrid von Asten und Heike Strelow: Biomorph!: Hans Arp im Dialog mit aktuellen Künstlerpositionen, Snoeck Verlagsgesellschaft (2011), Herausgeber: Oliver Kornhoff
↑Robert Pepperell: The Posthuman Condition: Consciousness Beyond The Brain, Intellect Books (2003), S. 117
↑Richard Dawkins und Desmond Morris sind befreundet und Dawkins verwendete bereits 1976 ein Gemälde von Morris für die Titelseite der Erstausgabe von „The Selfish Gene“. In „Der blinde Uhrmacher“ erläutert Dawkins, dass er den Begriff Biomorph, inspiriert durch Desmond Morris’ Malerei, übernommen habe.