Neben Claude-Nicolas Ledoux ist Boullée als Hauptvertreter der französischen Revolutionsarchitektur bekannt geworden. Diese Strömung in der Architektur brach mit der barocken Tradition und propagierte einen kargen, monumentalen Klassizismus, der den imperialen Herrschaftsanspruch anzeigte. Dabei zeigt sich eine Beeinflussung durch den Geist der Aufklärung. Er entwarf zahlreiche meist öffentliche Bauten, die wegen ihrer übersteigerten Dimensionen nicht zu realisieren waren.
Boullée wurde als Sohn des Architekten Louis-Claude in Paris geboren. Obwohl er zunächst Maler werden wollte, drängte ihn sein Vater dazu, auch Architekt zu werden.[1] Von ihm lernte er früh die Techniken des Konstruierens und Vermessens. Boullée studierte an der Architekturakademie bei Jacques-François Blondel, Germain Boffrand und Jean Laurent Legeay, von dem er das Wiederaufleben der klassischen Architektur im 17. und 18. Jahrhundert vermittelt bekam. Wichtige architektonische Themen waren dabei die Geometrisierung, die Strenge und die Logik. Schon 1747, im Alter von 19 Jahren, erhielt Boullée einen Ruf als Professor an die École des Ponts et Chausées in Paris.
1762 wurde er in die französische königliche Akademie für Architektur gewählt. Er baute zwischen 1762 und 1778 eine Reihe von Privathäusern, von denen die meisten jedoch nicht mehr existieren. Ausnahme ist das 1763 erbaute Stadtpalais Hôtel Alexandre, das als einziges vollständig erhaltenes Werk gilt. Das von Boullée zwischen 1774 und 1779 realisierte Hôtel de Brunoy in Paris wurde 1930 zerstört.
Seinen größten Einfluss entfaltete er zwischen 1778 und 1788 als Lehrer und Theoretiker an der École Nationale des Ponts et Chaussées, wo er einen unverwechselbaren abstrakten Stil entwickelte, der von klassischen Formen inspiriert war. Daneben verwendete Boullée die Natur als wichtiges Vorbild seiner Entwürfe: Sie sollten für ihn eine ähnliche Wirkung wie Naturbilder und Naturstimmungen entfalten.[2] In seinen Entwürfen verzichtete er konsequent auf funktionslose Ornamentierung und vergrößerte einfache Formen wie Kugeln und Säulen ins Monumentale. Er entwickelte die Idee, dass die Architektur ihren Zweck ausdrücken sollte – eine Doktrin, die er „sprechende Architektur“ (architecture parlante) nannte.
Am eindrucksvollsten zeigt sich dieser Stil in seinem Entwurf eines Kenotaphs für Isaac Newton, das er als Kugel mit einer Höhe von 150 Metern zeichnete. Die Kugel ruhte auf einem doppelten ringförmigen Sockel, der von Zypressen bekrönt war. Der Innenraum wurde von Boullée – ganz im Stile heutiger Planetarien – als gestirnter Nachthimmel konzipiert.[3]
1790 erkrankte Boullée schwer und vererbte 1793, sechs Jahre vor seinem Tod, sein Manuskript und seine Zeichnungen dem französischen Staat.[1]
Teilweise wurden seine Entwürfe erst im 20. Jahrhundert bekannt; sein Buch Architektur, Abhandlung über die Kunst, in dem er sich für einen emotional engagierten Klassizismus aussprach, wurde erst 1953 veröffentlicht. Das Buch enthielt sämtliche Entwürfe aus der Zeit zwischen 1778 und 1788, meist Ideen für öffentliche Gebäude, jedoch fast alle in kaum ausführbarer Größe.
Boullées Vorliebe für übergroße Entwürfe führte dazu, dass er sowohl als Megalomane als auch als Visionär charakterisiert wurde. Seine Vorliebe für Polaritäten (Verwendung gegensätzlicher Design-Elemente) und die Nutzung von Licht und Schatten war innovativ. Im 20. Jahrhundert wiederentdeckt, beeinflusste er Architekten wie den Italiener Aldo Rossi und Louis I. Kahn.
Der Film Der Bauch des Architekten (The Belly of an Architect) des englischen Filmemachers Peter Greenaway aus dem Jahr 1987 zeigt mehrere Entwürfe von Boullée.
Bauwerke (Auswahl)
1752: Gestaltung des Kirchenraums und der Marienkapelle in der Kirche Saint-Roch in Paris (zusammen mit Jean-Baptiste Pierre und dem Bildhauer Étienne-Maurice Falconet)
1785: Projekt für einen Lesesaal der Königlichen Bibliothek in der Rue Richelieu
1785: Projekt für einen königlichen Palast in Saint-Germain
1792: Entwurf eines National- und Munizipalpalastes[4]
Werke
Boullée’s Treatise on Architecture. A complete presentation of the architecture. Essai sur l'art, which forms part of the Boullée papers (MS 9153) in the Bibliothèque Nationale, Paris. Edited [mit engl. Anm.] by Helen Rosenau, London: Tiranti, 1953 (The Tiranti Library ; 3).
Architektur. Abhandlung über die Kunst. Einführung von Adolf Max Vogt. Übersetzt von Hanna Böck, Zürich, Artemis, 1987.