Durch das Elternhaus – Vater und Mutter waren beide Sänger – hatte Fortner früh intensiven Kontakt zur Musik. 1927 begann er sein Studium in Leipzig am Konservatorium (Orgel, Komposition) und an der Universität (Philosophie, Musikwissenschaft, Germanistik). Noch während des Studiums wurden einige seiner frühen Kompositionen öffentlich aufgeführt. In Berlin begegnete er Arnold Schönberg und schrieb seine Leipziger Examensarbeit über die Kammermusik Paul Hindemiths.
1935/1936 gründete Fortner das Heidelberger Kammerorchester, mit dem er auch Neue Musik von sich selbst und anderen Zeitgenossen aufführte und ausgedehnte Konzertreisen zur „Wehrmachtsbetreuung“ unternahm, von Skandinavien über Holland bis nach Griechenland. Im selben Jahr übernahm er auch die Leitung des Bannorchesters der Hitler-Jugend Heidelberg, ein (Streich-)Orchester, gebildet aus jugendlichen Laien, dessen Leitung er 1939 wieder abgab. Am 1. September 1939 beantragte er die Aufnahme in die NSDAP und wurde zum 1. Januar 1940 aufgenommen (Mitgliedsnummer 7.818.245).[1][2] 1940 wurde er als Sanitätssoldat „arbeitsverwendungsfähig Heimat“ eingezogen, im selben Jahr gab er das „Heidelberger Liederbuch für den genesenden Soldaten“ heraus[2] (ohne eigene kompositorische Beiträge).
Nicht zum engeren Kreis seiner Schüler zählen sich – nach eigener Auskunft – die befreundeten Komponisten Giselher Klebe und Aribert Reimann, auch wenn dies in verschiedenen Nachschlagewerken behauptet wird.
Um 1948 lernte Fortner in Heidelberg auch den Hamburger Musikstudenten Wolfgang Held (1924–2006) kennen, dessen Mentor, Protektor und Lebenspartner er wurde und den er 1958 offiziell adoptierte. 1966 vermittelte er seinem Adoptivsohn eine Stelle als Musiklehrer an der Odenwaldschule, wo zwischen 1967 und 1969 auch sein ehemaliger Freiburger Schüler Wilfried Steinbrenner (1943–1975) als Musiklehrer arbeitete. Held war dort bis 1989 als Lehrer tätig und gilt als einer der Haupttäter des systematischen sexuellen Missbrauchs an Hunderten von Schülerinnen und Schülern. Fortner weilte in der Folge selbst regelmäßig an der Odenwaldschule, für die er Undine, eine „Schulspiel mit Musik“ schrieb, das er am 21. Mai 1969 in Oberhambach zur Uraufführung brachte und dirigierte. Bei dieser „Schuloper“ handelt es sich um eine Bearbeitung der gleichnamigen Erzählung von Friedrich de la Motte Fouqué. In dieser Zeit erteilte Fortner auch den damaligen OSO-Schülerinnen Güher und Süher Pekinel Privatunterricht am Klavier.[3]
Werke
Opern
Creß ertrinkt. Ein Schulspiel mit Musik. Worte von Andreas Zeitler (1930)
Eine deutsche Liedmesse (1934) für gemischten Chor. UA 1935 Dresden (Dirigent: Rudolf Mauersberger)
Von der Kraft der Gemeinschaft, Feierkantate für gemischten Chor und Orchester zur Zweihundertjahrfeier der Universität Göttingen auf einen Text von Wolfram Brockmeier[4] (1937)
„Nuptiae Catulli“, Kantate für Ten., 6-stimmigen Chor und Orchester (1937)
Du sollst ein Wegstück mit mir gehn. Lied für Frauenchor (1941). Text: Erwin Guido Kolbenheyer
Herr, bleibe bei uns! Geistliche Abendmusik für eine tiefe Singstimme, gemischten Chor und Streichorchester (1945)
An die Nachgeborenen, für Sprecher, Tenor, Chor und Orchester (1948)
The Creation – Die Schöpfung, nach James Weldon Johnson für eine mittlere Singstimme und Orchester (1954)
Die Pfingstgeschichte nach Lukas, Evangelienvertonung für Tenor-Solo, sechsstimmigen Chor, 11 Instrumentalisten und Orgel (1963)
Uwe Lohrmann: Wolfgang Fortner. In: Neue Zeitschrift für Musik, Jg. 143 (1982), Heft 10.
Rainer Mohrs: Die Orgelmusik Wolfgang Fortners. Ein Komponist im Spannungsfeld von Tradition und Avantgarde. In: Musica sacra, Band 113 (1993).
Rainer Mohrs: Tradition versus Avantgarde. Zur stilistischen Bandbreite der Orgelmusik Wolfgang Fortners, Teil 1: Die frühen Orgelstücke. In: Organ – Journal für die Orgel, Jg. 10 (2007).
Rainer Mohrs: Vom Primat der Komposition. Zur stilistischen Bandbreite der Orgelmusik Wolfgang Fortners, Teil 2: Die späten Orgelwerke. In: Organ – Journal für die Orgel, Jg. 11 (2008).
Fred K. Prieberg: Handbuch Deutsche Musiker 1933–1945. CD-ROM-Lexikon, Kiel 2009, 2. Auflage, S. 1729–1741. online
Matthias Roth: Der Komponist Wolfgang Fortner und sein „Kohlhof Club“. In: Georg Stein (Hrsg.): Die Insel im Wald. 300 Jahre Heidelberger Kohlhof. Palmyra-Verlag, Heidelberg 2006, ISBN 3-930378-71-X.
Thomas Schipperges: Musik unterm Hakenkreuz. Heidelberg 1933–45. In: Jörn Bahrns (Hrsg.): Verführt und verraten. Jugend im Nationalsozialismus. Bruchstücke aus der Region. Kurpfälzisches Museum, Heidelberg 1995. (Katalog zur gleichnamigen Ausstellung)
Bücher
Hermann Danuser, Gianmario Borio (Hrsg.): Im Zenit der Moderne. Die Internationalen Ferienkurse für Neue Musik Darmstadt 1946–1966. Edition Rombach, Freiburg/Br. 1997, ISBN 3-7930-9138-4. (4 Bde.)
Heinrich Lindlar (Hrsg.): Wolfgang Fortner. Eine Monografie. (Kontrapunkte; 4). Edition Tonger, Rodenkirchen 1960.
Matthias Roth: Ein Rangierbahnhof der Moderne. Der Komponist Wolfgang Fortner und sein Schülerkreis (1931–1986); Erinnerungen, Dokumente, Hintergründe, Porträts. Edition Rombach, Freiburg/Br. 2008, ISBN 978-3-7930-9521-7.
Rudolf Stephan u. a. (Hrsg.): Von Kranichstein zur Gegenwart. 50 Jahre Darmstädter Ferienkurse, 1946–1996. DACO-Verlag, Stuttgart 1996, ISBN 3-87135-028-1.
Brigitta Weber: Wolfgang Fortner und seine Opernkompositionen. Schott, Mainz 1995, ISBN 3-7957-0308-5.
Über Fortner-Aufführungen des Dresdner Kreuzchores. In: Matthias Herrmann (Hrsg.): Dresdner Kreuzchor und zeitgenössische Chormusik. Ur- und Erstaufführungen zwischen Richter und Kreile, Marburg 2017, ISBN 978-3-8288-3906-9, S. 66–67, 236–237, 300–302 (Schriften des Dresdner Kreuzchores, Band 2).
↑ abFred K. Prieberg: Handbuch Deutsche Musiker 1933–1945. CD-ROM-Lexikon, Kiel 2009, 2. Auflage, S. 1729
↑Jens Brachmann: Tatort Odenwaldschule. Das Tätersystem und die diskursive Praxis der Aufarbeitung von Vorkommnissen sexualisierter Gewalt, Verlag Julius Klinkhardt, Bad Heilbrunn 2019; zu Fortner und Wolfgang H. dort das Kapitel Der Haupttäter Wolfgang H., S. 60–95, passim; zu Güher und Süher Pekinel dort S. 70.
↑Fred K. Prieberg: Handbuch Deutsche Musiker 1933–1945. CD-ROM-Lexikon, Kiel 2009, 2. Auflage, S. 1732, sowie S. 8861.