Viviparie

Viviparie (lateinisch viviparus, vivipar ‚lebendgebĂ€rend‘) oder Lebendgeburt bezeichnet die Fortpflanzungsweise bei Tieren, deren FrĂŒhentwicklung (Embryonal- und Fetalstadium) im Muttertier verlĂ€uft, ohne dabei von einer EihĂŒlle umschlossen zu sein. Bei Pflanzen bezeichnet Viviparie die Embryonalentwicklung an der Mutterpflanze.

Tiere

Bei den Tieren steht die Viviparie im Gegensatz zur Oviparie, also der Eiablage, nach der die FrĂŒhentwicklung im Ei zum grĂ¶ĂŸten Teil außerhalb des Muttertiers stattfindet. Bei der Viviparie bleiben die Jungtiere wĂ€hrend ihrer gesamten FrĂŒhentwicklung im Mutterleib.

Eine eindeutige Abgrenzung der matrotrophen Viviparie (ErnĂ€hrung durch die Mutter, nach einer Phase, in der die Embryonen vom Dotter zehren) zur Ovoviviparie (lecithotrophen, dotterernĂ€hrten Viviparie),[1] bei der dotterreiche NĂ€hreier im Mutterleib ausgebrĂŒtet werden und die Embryonen lediglich durch die im Dottersack des Eis gespeicherten NĂ€hrstoffe ernĂ€hrt werden, ist schwierig. HĂ€ufig wird die Ovoviviparie mit aplazentaler Viviparie und Viviparie mit plazentaler Viviparie gleichgesetzt, was aber nicht korrekt ist: Die Embryonen viviparer Tiere werden ĂŒber den Kreislauf des Muttertieres versorgt (NĂ€hrstoffe, Atemgase, Exkretion, Wasser), was nicht zwingend eine Plazenta erfordert. Folgende Möglichkeiten zur Versorgung des Embryos im Mutterleib sind bekannt:

  • Bei allen Höheren SĂ€ugetieren (Eutheria) und einigen BeutelsĂ€ugern wird eine Plazenta ausgebildet. Aber auch bei verschiedenen Skinken und einigen Schlangen gibt es Plazentabildungen, bei denen sich Allantois und Chorion des Embryos vereinigen und eng an die Uterusschleimhaut der Mutter anlegen. Bei manchen Echsen werden bestimmte Gewebsschichten, die Mutter und Embryo trennen, reduziert, bis es zu einer BerĂŒhrung der Endothelien des Embryos und der Mutter kommt, welche als Plazentabildung angesehen wird. Bei den meisten Grundhaien bildet der eng mit dem Eileiter verbundene, gefaltete Dottersack eine Dottersackplazenta. Auch bei einigen ZahnkĂ€rpflingen kommt es zu Plazentabildungen.
    Gelegentlich findet man fĂŒr alle plazental viviparen Tiere den Begriff Plazentatiere, welcher aber einer taxonomischen Gruppe, nĂ€mlich der SĂ€ugetier-Unterklasse Eutheria, vorbehalten bleiben sollte, auch wenn er fĂŒr diese ebenso unglĂŒcklich gewĂ€hlt ist, da eben auch einige BeutelsĂ€uger eine Plazenta ausbilden. Um die Verwirrung nicht noch zu mehren, ist er als Sammelbezeichnung fĂŒr nicht miteinander verwandte Gruppen mit gleicher Embryonalversorgung zu vermeiden.
  • Eine Möglichkeit der aplazentalen Versorgung des Embryos ist das Ausscheiden eines NĂ€hrsekretes in die GebĂ€rmutter. Diese „Uterusmilch“ ist vermischt mit Leukozyten und Geweberesten. Sie kann von den Embryonen direkt aufgenommen werden oder ĂŒber Sekretions-Zotten durch das Spritzloch (bei Rochen) oder die Kiemen bei Echten Knochenfischen (Teleostei) bis in den Darm des Embryos befördert werden. Auch der Embryo kann FortsĂ€tze zum Zwecke der ErnĂ€hrung ausbilden (Trophotaenien) wie beispielsweise bei den HochlandkĂ€rpflingen (Goodeidae). Andere Vertreter der ZahnkĂ€rpflinge haben noch weitere ErnĂ€hrungsformen entwickelt, insbesondere die, deren Entwicklung im Eierstock ablĂ€uft.
  • Eine weitere Form der ErnĂ€hrung des Embryos wird als „intrauteriner Kannibalismus“ oder auch Oophagie bezeichnet. Dabei entwickeln sich von den Eiern im Eileiter oder in der GebĂ€rmutter lediglich wenige oder nur eins, die anderen zerfallen zu einem NĂ€hrbrei oder werden von dem oder den verbleibenden Embryonen gefressen. Diese Form findet sich unter anderem bei einigen Barschen (Perciformes), bei Makrelenhaiartigen (Lamniformes) oder auch beim Alpensalamander.

Da sich die Jungtiere viviparer Arten wĂ€hrend ihrer Embryonalentwicklung im engen Mutterleib entwickeln, haben diese Arten im Vergleich zu oviparen meist weniger Nachkommen und sind demzufolge im Sinne der Fortpflanzungsstrategie K-Strategen. Der Ă€lteste fossile Beleg fĂŒr LebendgebĂ€ren ist der Fund eines 380 bis 375 Mio. Jahre alten, mit einer Nabelschnur mit der Mutter verbundenen Embryos des oberdevonischen Panzerfisches Materpiscis.[2]

Pflanzen

Viviparie bei der Chayote
(Sechium edule)
Falsche Viviparie beim Lauch
(Allium porrum)

In der Botanik wird der Begriff Viviparie zur Bezeichnung von Fortpflanzungsformen verwendet, bei denen der aus dem pflanzlichen Embryo entstehende SĂ€mling auf der Mutterpflanze verbleibt, sowie fĂŒr bestimmte Formen vegetativer Vermehrung, wenn erbgleiche Tochterpflanzen aus den BlĂŒtenanlagen entstehen. Beispiele fĂŒr Viviparie im Pflanzenreich sind RispengrĂ€ser wie Poa vivipara (SĂŒdafrika) und Poa alpina ssp. vivipara (Vorkommen in den Alpen); sie ist auch zu beobachten bei den FuchsschwanzgrĂ€sern und bei vielen Pflanzen im Mangrove-Biotop wie z. B. Rhizophora mangle.

Sie wird unterteilt in echte und unechte Viviparie.

  • Echte Viviparie; die junge Samenpflanze (Keimpflanze) wĂ€chst schon aus dem Samen hervor, wenn dieser ĂŒber die Frucht noch mit der (lebenden) Mutterpflanze verbunden ist.
    • Kryptoviviparie; ohne dass der Keimling die Frucht verlĂ€sst.
  • Unechte, falsche Viviparie, Pseudoviviparie; Bezeichnung fĂŒr vegetative Brutknospenbildung im BlĂŒtenstandsbereich und sein Auswachsen (ĂŒber Mitosen) zu erbgleichen, jungen TochterpflĂ€nzchen

Literatur

  • Erwin Hentschel, GĂŒnther Wagner: Zoologisches Wörterbuch. Tiernamen, allgemeinbiologische, anatomische, physiologische Termini und biographische Daten. 4. ĂŒberarbeitete und erweiterte Auflage. Gustav Fischer Verlag, Jena 1990, ISBN 3-334-00348-5.
  • Lothar KĂ€mpfe, Rolf Kittel, Johannes KlapperstĂŒck: Leitfaden der Anatomie der Wirbeltiere. 5. ĂŒberarbeitete Auflage. Gustav Fischer Verlag, Jena 1987, ISBN 3-334-00082-6.
  • Hans-GĂŒnter Petzold: Aufgaben und Probleme bei der Erforschung der LebensĂ€ußerungen der Niederen Amnioten (Reptilien). In: Milu. Mitteilungen aus dem Tierpark Berlin-Friedrichsfelde. Bd. 5, Heft 4/5, 1982, ISSN 0076-8839, S. 485–786, (Nachdruck: (= Berliner Tierpark-Buch. Nr. 38). Verlag fĂŒr Biologie und Natur, Berlin 1984).
  • Adolf Remane, Volker Storch, Ulrich Welsch: Kurzes Lehrbuch der Zoologie. 6. neubearbeitete Auflage, Gustav Fischer Verlag, Stuttgart u. a. 1989, ISBN 3-334-00333-7.

Einzelnachweise

  1. ↑ Wilfried Westheide, Gunde Rieger: Spezielle Zoologie. Teil 2: Wirbel- oder SchĂ€deltiere, 2. Auflage, Spektrum, 2010, ISBN 978-3-8274-2039-8, S. 389.
  2. ↑ Long u. a. 2008