Die Turksprachen – auch türkische Sprachen oder Türksprachen genannt – bilden eine in Asien und in kleinen Teilen auch in Europa verbreitete Sprachfamilie von rund 40 relativ nah verwandten Sprachen mit etwa 180 bis 200 Millionen Sprechern.[1] Sie gliedern sich in eine südwestliche(oghusische),südöstliche(karlukische oder uigurische),nordwestliche(kiptschakische) und nordöstliche(sibirische) Gruppe, außerdem in die Zweige Arghu und Bolgar-Türkisch.
Einige neuere Theorien gehen davon aus, dass die Urheimat der Turksprachen in der südwestlichen Mandschurei liegt.[2]
Die Turksprachen haben viele Lehnwörter aus den iranischen Sprachen, vor allem dem Sogdischen sowie dem Persischen, übernommen. Das Sogdische war die weit verbreitete dominante Sprache in Zentralasien und entlang der Seidenstraße nach China, bevor sie durch später eindringende Turksprachen ersetzt wurde.[6][7][8] Umgekehrt wurden auch die iranischen Sprachen, auch das Neupersische, von den Turksprachen beeinflusst.[9] Einige Lehnwörter wurden auch aus den chinesischen Sprachen übernommen. So zeigen die Turksprachen frühen Sprachkontakt mit sinitischen (chinesischen) Sprachen auf, bevor die Westwanderung einsetzte.[10]
Zur Terminologie: Turksprachen – türkische Sprachen
Die Turksprachen werden auch als Türksprachen und türkische Sprachen bezeichnet, die Einzelsprachen, z. B. Usbekisch oder Aserbaidschanisch erscheinen auch mit Bezeichnungen wie usbekisches bzw. aserbaidschanisches Türkisch. Solche Bezeichnungen sind insbesondere in der türkischen Turkologie üblich, in der die Einzelsprachen als Dialekte bezeichnet werden.[11] Dies darf nicht dahin missverstanden werden, dass die Turksprachen mit der Einzelsprache Türkisch identisch wären, die nur eine – allerdings die sprecherreichste – von etwa 40 Sprachen dieser Sprachengruppe darstellt, oder dass es sich bei den Turksprachen um Dialekte des Türkischen handele. Tatsächlich wird bei einer solchen Benennungspraxis auch das Türkische regelmäßig mit einem besonderen Attribut wie Türkei-Türkisch oder Osmanisch-Türkisch versehen. Die Bezeichnung der Einzelsprachen als Dialekte ist historisch bedingt, weil bis zum Ende des 19. Jahrhunderts die Turksprachen (mit Ausnahme ferner stehender Idiome wie des Tschuwaschischen oder räumlich isolierter Idiome wie des Jakutischen) ein Dialektkontinuum bildeten, das an einigen Grenzlinien deutlichere Brüche, im Regelfall aber sanfte Übergänge aufwies. So ist die Sprache von Istanbul (stilbildend für die türkische Sprache) deutlich verschieden von der Sprache von Baku (maßgeblich für die aserbaidschanische Sprache), dazwischen findet sich aber keine ausgeprägte Sprachgrenze[12] und auch diese Sprachen sind untereinander gerade noch verständlich. Über diesen gesprochenen Sprachen existierte in Zentralasien und im Wolgaraum mit dem Tschagataitürkischen eine einheitliche Literatursprache[13], deren Eigenbezeichnung turki lautete. Die Entwicklung lokaler Standardsprachen aus den lokalen Dialekten war eine auch politisch beeinflusste Entwicklung des 20. Jahrhunderts. Dabei kam es auch zu systemwidrigen Entscheidungen. So sollte Zentralasien 1924 nach linguistisch-ethnischen Gesichtspunkten gegliedert werden. Bei der Befragung der Bevölkerung nach ihrer Selbstidentifizierung wurden die Antworten dann mitunter nach anderen, etwa wirtschaftsgeographischen Kriterien gegeben und die Grenze entsprechend gezogen.[14]
Familie der Turksprachen
Mit insgesamt etwa 40 Sprachen, die von 180 Millionen Menschen als Muttersprache gesprochen werden (bis zu 200 Millionen mit Zweitsprechern), bildet die Familie der Turksprachen die mit Abstand größte und bedeutendste der drei Untergruppen des Altaischen.[15] Sie ist – nach der Zahl ihrer Sprecher – die siebtgrößte Sprachfamilie weltweit (nach Indogermanisch, Sinotibetisch, Niger-Kongo, Afroasiatisch, Austronesisch und Drawidisch).
Die meisten Turksprachen sind sich in der Phonologie, Morphologie und Syntax sehr ähnlich, allerdings weichen Tschuwaschisch, Chaladsch und die nordsibirischen Turksprachen Jakutisch und Dolganisch nicht unerheblich von den übrigen ab. Zwischen den Sprechern der meisten Turksprachen ist eine partielle wechselseitige Verständigung möglich, vor allem wenn sie zur gleichen Untergruppe gehören (zur Klassifikation vgl. den nächsten Abschnitt). Diese relativ große Ähnlichkeit der Sprachen erschwert die klare Festlegung von Sprachgrenzen, zumal zwischen Nachbarsprachen meist Übergangsdialekte bestehen. (Häufig werden diese Grenzen künstlich durch politische Entscheidungen und Zugehörigkeiten gezogen.) Auch die innere genetische Gliederung der Turksprachen ist wegen ihrer Ähnlichkeit und intensiven wechselseitigen Beeinflussung problematisch, was zu unterschiedlichen Klassifikationsansätzen geführt hat.
Geographische Verbreitung
Die Turksprachen sind über ein riesiges Gebiet in Ost- und Südosteuropa sowie West-, Zentral- und Nordasien verbreitet (siehe Verbreitungskarte). Dieses Gebiet reicht vom Balkan bis nach China, von Zentralpersien bis zum Nordmeer. In rund dreißig Ländern Eurasiens werden eine oder mehrere Turksprachen in nennenswertem Umfang gesprochen, bemerkenswert ist der hohe Anteil Türkischsprechender in Deutschland und im sonstigen Europa aufgrund der Migrationen der letzten Jahrzehnte.
Tschuwaschisch: 1,8 Mio. Sprecher: im europäischen Teil Russlands
Baschkirisch: 1,8 Mio. Sprecher: in der russischen autonomen Republik Baschkirien
Kaschgaisch: 1,5 Mio. Sprecher: in den iranischen Provinzen Fars und Chuzestan
Die Sprecherzahlen stammen vom März 2006 aus diversen geprüften Quellen. 5 % bis 10 % höhere Werte sind durch den zeitlichen Abstand zwischen Ermittlung und Veröffentlichung möglich.
Enge Verwandtschaft der Turksprachen
Wie eng die Turksprachen miteinander verwandt sind – wenn man von Tschuwaschisch, Chaladsch und den nordsibirischen Turksprachen absieht – zeigt bereits ein Blick auf die folgende Tabelle, die einige Wortgleichungen des Grundwortschatzes für die Sprachen Alttürkisch (der ersten schriftlich überlieferten Turksprache, die jedoch kein direkter Vorfahr des Türkei-Türkischen ist), Türkisch, Aserbaidschanisch, Turkmenisch, Tatarisch, Kasachisch, Usbekisch und Uigurisch enthält.
Vergleich einiger Grundwörter in wichtigen Turksprachen
Deutsch
Alttürkisch
Türkisch
Aserbaid.
Turkmenisch
Tatarisch
Kasachisch
Usbekisch
Uigurisch
Kumykisch
Mutter
ana
anne/ana
ana
ene
ana
ana
ona
ana
Vater
ata
ata
ata
kaka
ata
ake
ota
ata
ata
Fleisch
et
et
ət
et
it
et
goʻsht/eʻt
et/gosh
et
Gras
ot
ot
ot
үlən/ot
ot
ot/şöp
oʻt
ot/chöp
od
Pferd
at
at
at
at
at
at/zhylqy
ot
ỷạt,at
at
Feuer
ot
ateş/od
atəş/od
ot
ut
ot
oʻt/otash
ot
ot
Eis
buz
buz
buz
buz
boz
muz
muz
muz
muz
Nase
burun
burun
burun
burun
boryn
murın
burun
burun
murun
Arm
qol
kol
qol
qol
qul
qol
qoʻl
kol
qol
Straße
yol
yol
yol
ýol
jul
jol
yoʻl
yol
yol
fett
semiz
semiz
semiz
simyz
semiz
semiz
semiz
semiz
semiz
Erde
aşu
toprak
torpaq
topraq
tufrak
topıraq
tuproq
tupraq
Blut
qan
kan
qan
gan
kan
qan
qon
qan
qan
Asche
kül
kül
kül
köl
kül
kul
kul
kül
kül
Wasser
su
su
su
suw
syw
suw
suv
su
suw
hell
yürüŋ
ak
ağ
ak
ak
aq
oq
aq
aq
dunkel
qara
kara
qara
garä
kara
qara
qora
qara
qara
rot
kızıl
kızıl
qızıl
qyzyl
kyzyl
qızıl
qizil
qizil
qizil
blau/Himmel
kök
gök
göy
gök
kük
kök
koʻk
kök
gök
Turksprachen als National- und Offizialsprachen
Die Turksprachen Türkisch, Aserbaidschanisch, Turkmenisch, Kasachisch, Kirgisisch und Usbekisch sind Nationalsprachen in ihren jeweiligen Staaten. Einen besonderen Status als offizielle Regionalsprachen autonomer Republiken oder Provinzen haben darüber hinaus folgende Turksprachen: in Russland Tschuwaschisch, Kumykisch, Karatschai-Balkarisch, Tatarisch, Baschkirisch, Jakutisch, Chakassisch, Tuwa, Altaisch; in China Uigurisch und in Usbekistan Karakalpakisch.
Turksprachen nach Staaten
Turksprachen werden in etwa 30 Staaten Europas und Asiens gesprochen. Die Tabelle zeigt ihre Verbreitung in den einzelnen Staaten. Die Sprachen sind nach Unterfamilien angeordnet (siehe: Klassifikation).
Sprache
Sprecherzahl
hauptsächlich verbreitet in folgenden Ländern (mit Sprecherzahlen)
Einige Turksprachen sind in ihrer Existenz stark gefährdet, da sie nur noch von wenigen meist älteren Menschen gesprochen werden. Direkt vom Aussterben in den nächsten Jahren bedroht sind das südsibirische Tofa oder Karagassische, das Karaimische in Litauen, das Judäo-Krim-Tatarische (das Krimtschakische) und das Ili Turki in Nordwestchina (Ili-Tal). Nur noch einige Tausend Sprecher verwenden das Aynallu im Iran, das Yugur (Gansu-Provinz) und Ainu (bei Kaschgar), beide China, das nordsibirische Dolganisch und das südsibirische Tschulymisch am Tschulym-Fluss nördlich des Altai. Alle anderen Turksprachen sind relativ stabil, die Sprecherzahlen der großen Sprachen nehmen zu.
Klassifikation der Turksprachen
Die relativ große Ähnlichkeit und intensive wechselseitige Beeinflussung der Turksprachen sowie die hohe Mobilität der Turkvölker erschwert die klare Festlegung von Sprachgrenzen und die innere genetische Klassifizierung, was zu unterschiedlichen Klassifikationsansätzen geführt hat. Dennoch haben sich heute relativ stabile und gleichartige Einteilungen ergeben, die alle letztlich auf den russischen Linguisten Alexander Samoilowitsch (1922) zurückgehen. Obwohl Klassifizierungen grundsätzlich genetisch sein sollten, spielt bei der Gliederung der Turksprachen die geographische Verteilung eine große Rolle. Zur Frage der Verwandtschaft der Turksprachen mit den mongolischen und tungusischen Sprachen siehealtaische Sprachen.
Sonderfall Tschuwaschisch
Das Tschuwaschische bildet (zusammen mit dem ausgestorbenen Bolgarischen) einen eigenen oghurischen oder „bolgarischen“ Zweig der Turksprachen, der dem Rest der Familie (Turksprachen i. e. S.) mit relativ weitem Abstand gegenübersteht.[19] Einige Forscher hielten das Tschuwaschische nicht einmal für eine „richtige“ Turksprache, da es so stark von allen anderen abweicht. Ob dieser große Unterschied auf eine frühe Abspaltung des bolgarischen Zweigs von den anderen Turksprachen oder auf eine längere Phase der sprachlichen und kulturellen Isolierung zurückzuführen ist, konnte bisher nicht geklärt werden. Ein Merkmal dieser Trennung ist der Wandel von gemeintürkischem /-z/ zu /-r/ (Rhotazismus), zum Beispiel bei den Finalkonsonanten in
tschuw. taχar, aber nogaisch toγiz – „neun“
tschuw. kör, aber türk. göz – „Auge“
Das Tschuwaschische wird vor allem im europäischen Teil Russlands östlich von Moskau in der autonomen Republik Tschuwaschien im großen Wolgabogen von 1 Mio. Sprechern gesprochen. Weitere Tschuwaschen gibt es in Tatarstan und Baschkirien (insgesamt 1,8 Mio. Sprecher). Die Tschuwaschen sind überwiegend russisch-orthodoxen Glaubens, verwenden in ihren eigenen Print- und Rundfunkmedien neben der kyrillischen Schrift auch ein angepasstes Lateinalphabet und sprechen überwiegend Russisch als Zweitsprache. Sie betrachten sich kulturell und historisch als Nachfolger der Wolga-Bolgaren, was aber fraglich ist.
Sonderfall Chaladsch
Von den restlichen Turksprachen weicht das Chaladsch am stärksten ab. Es ist – nach der heute weitgehend akzeptierten Auffassung Gerhard Doerfers – der einzige noch existente Vertreter des Arghu-Zweiges der Turksprachen, der ebenfalls früh isoliert wurde und dann im Laufe des 13. Jahrhunderts in der zentraliranischen Provinz auftritt – umgeben von Sprechern des Persischen.[20] Heute wird Chaladsch von etwa 40.000 Menschen in der iranischen Zentralprovinz zwischen Qom und Akar gesprochen und ist nach linguistischen Gesichtspunkten eine der interessantesten Turksprachen im Iran. Die frühe Isolation von anderen Turksprachen und die starke Beeinflussung durch das Persische haben einerseits archaische Merkmale erhalten (z. B. ein Vokalsystem mit drei Quantitäten kurz-mittellang-lang, Beibehaltung des anlautenden /h-/ und des alttürkischen Dativsuffixes /-ka/: chaladsch häv.kä – türkisch ev.e – „für das Haus“ – eigentlich: „dem Hause“), andererseits zu verbreiteten Iranismen in Phonologie, Morphologie, Syntax und Lexikon (sogar bei einigen Zahlwörtern) geführt.
Übrige Turksprachen
Die übrigen vier Gruppen der Turksprachen sind vor allem geographisch gegliedert, wobei für die Einteilung nicht die heutigen Siedlungsgebiete gelten, sondern die Frühphase der türkischen Sprachen nach ihren ersten Wanderungen und Siedlungsprozessen. Somit unterscheidet man Kiptschakisch oder Westtürkisch, Oghusisch oder Südwesttürkisch (die nach der Zahl ihrer Sprecher größte Gruppe mit den Sprachen Türkisch, Aserbaidschanisch, Turkmenisch, Kaschkai), Karlukisch oder Osttürkisch, Nordtürkisch, Nordosttürkisch und Bolgar-Türkisch. Kiptschakisch/Westtürkisch gliedert sich in drei Untergruppen: Kiptschak-Bulgarisch oder Uralisch, Kiptschak-Oghusisch oder Pontisch-Kaspisch und Kiptschak-Nogaisch oder Aralisch-Kaspisch.
Das Jakutische und Dolganische weichen aufgrund ihrer langen Isolierung im Grundwortschatz stark von den restlichen Sprachen ab. Unterschiedlich sind auch Wortstellung und Satzbau. In dieser Hinsicht gleicht das Jakutische mehr den mongolischen und tungusischen Sprachen. Außerdem fehlen alle Fremdwörter persisch-arabischen Ursprungs, die in anderen Turksprachen vorkommen.
Zur Ähnlichkeit der Sprachen trägt auch die lange arabisch-persische Prägung von Wortschatz und Idiomatik bei, die die meisten Turksprachen durch den Islam erfahren haben. Für die Turksprachen auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion kommen viele gemeinsame russische Fremd- und Lehnwörter hinzu.
Klassifikationsschema
Insgesamt ergibt sich für die Turksprachen nach der aktuellen Literatur[21] folgendes Klassifikationsschema (mit Sprecherzahlen Stand 2006):
Nordkiptschakische oder Wolga-Ural-Gruppe: Tatarisch (Kasan-Tatarisch etc.; 1,6 Mio.), Baschkirisch (2,2 Mio.). Tatarisch in Westsibirien gehört zur südkiptschakischen Gruppe.
Tschuwaschisch (1,8 Mio.) sowie Bolgarisch † und Chasarisch †
Chaladsch (42.000)
Linguistische Kriterien der Klassifikation
Neben den geographischen gibt es einige traditionelle linguistische Kriterien für die obige Klassifikation:
Die tschuwaschisch-gemeintürkische Opposition /-r/ gegen /-z/ trennt das Oghurische von allen anderen Turksprachen.
Der intervokalische Konsonant im Wort für „Fuß“ trennt die sibirischen Turksprachen von den anderen Gruppen: tuwa adaq, jakutisch ataχ gegenüber ayaq in den anderen Gruppen, allerdings chaladsch hadaq.
Die oghusischen Sprachen sind von den anderen durch den Verlust des suffix-einleitenden G-Lautes getrennt: qalan gegenüber qalγan – „zurückgelassen“.
Die Verstummung des suffix-finalen G-Lauts trennt die Südost- von der Nordwest-Gruppe: uigurisch taγliq gegenüber tatarisch tawlı – „gebirgig“.
Wortgleichungen der Turksprachen
Die folgende Tabelle gibt eine Übersicht über den Grundwortschatz in etwa 60 Wortgleichungen, wie er sich in mehreren wichtigen Turksprachen realisiert. Als erste Spalte sind die erschlossenen Proto-Formen nach der etymologischen Datenbank von Starostin[22] aufgeführt. (In vielen Fällen erkennt man, wie protosprachliches finales und intervokalisches /r/ – hier als /r̩/ gekennzeichnet – zu gemeintürkischem /z/ wurde, allerdings nicht im Tschuwaschischen. Statt des IPA-Codes /ɨ/ wird das türkische /ı/ verwendet.)
Die Tabelle zeigt deutlich das abweichende Verhalten des Tschuwaschischen und Jakutischen und die große Ähnlichkeit der übrigen Turksprachen. Prototürkisch bezeichnet hier die erschlossene Protoform aller Turksprachen, Alttürkisch ist eine frühe Form der Turksprachen, nicht speziell des Türkei-Türkischen. Lücken in der Tabelle bedeuten nicht, dass die entsprechende Sprache kein Wort für den Begriff hätte, sondern nur, dass dieser Begriff von einer anderen Wurzel gebildet wird und somit für den etymologischen Vergleich im Sinne einer Wortgleichung ausfällt.
Personen
Proto-Türk.
Alttürk.
Türkisch
Aserbaid.
Turkmen.
Tatar.
Kasach.
Usbek.
Uigur.
Jakut.
Tschuw.
Kumyk.
Vater
*ata
ata
ata
ata
ata
ata
ata
ota
ata
átä
atte
ata
Mutter
*ana
ana
anne
ana
ene
ana
ana
ona
ana
anne
ana
Sohn
*ogul
oġul
oğul
oğul
oğul
(o'g)ul
ul
o'g'il
oghul
uol
yva'l
ul
Mann
*ēr
er
er
ər
ǟr
ir
yerkek
erkak
är
er
arşyn
erkek
Mädchen
*kır̩
qız
kız
qız
gyz
kız
qız
qiz
qiz
ky:s
χe'r
qiz
Person
*kil̩i
kişi
kişi
kişi
kişi
keşe
kisi
kishi
kişi
kihi
kişi
Braut
*kalım
kelin
gelin
gəlin
geli:n
kilen
kelin
kelin
kelin
kylyn
kin
gelin
Körperteile
Proto-Türk.
Alttürk.
Türkisch
Aserbaid.
Turkmen.
Tatar.
Kasach.
Usbek.
Uigur.
Jakut.
Tschuw.
Kumyk.
Herz
*jürek
jürek
yürek
ürək
ýürek
yorak
jürek
yurak
yüräk
süreq
che're
yürek
Blut
*k(i)an
qan
kan
qan
ga:n
kan
qan
qon
qan
qa:n
jun
qan
Kopf
*ba(l)š
baş
baş
baş
baş
baş
bas
bosh
baş
bas
puş
baş
Haar
*kıl(k)
qıl
kıl
qıl
qyl
kyl
kyl
kyl
kyl
kyl
χe'le'r
Auge
*gör̩
köz
göz
göz
göz
küz
köz
ko'z
köz
kos
kuş
göz
Wimper
*kirpik
kirpik
kirpik
kirpik
kirpik
kerfek
kirpik
kiprik
kirpik
kirbi:
χurbuk
kirpik
Ohr
*kulkak
qulqaq
kulak
qulaq
gulak
kolak
qulaq
quloq
qulaq
gulka:k
χa'lχa
qulaq
Nase
*burun
burun
burun
burun
burun
boryn
murın
burun
burun
murun
burun
Arm
*kol
qol
kol
qol
gol
kul
qol
qo'l
kol
qol
χol
qol
Hand
*el(ig)
el(ig)
el
əl
el
il
el
äl
ili:
ala'
el
Finger
*biarŋak
barmak
parmak
barmaq
barmak
barmak
barmak
barmoq
barmaq
pürne
barmaq
Fingernagel
*dırŋak
tırnaq
tırnak
dırnaq
dyrnaq
tyrnak
tırnaq
tirnoq
tirnaq
tynyraq
che'rne
tirnaq
Knie
*dir̩
tiz
diz
diz
dy:z
tez
tize
tizza
tiz
tüsäχ
Wade
*baltır
baltır
baldır
baldır
baldyr
baltyr
baldyr
boldyr
baldir
ballyr
Fuß
*adak
adaq
ayak
ayaq
aýaq
ajak
ayaq
oyoq
ayak
ataʊ
ura
ayaq
Bauch
*karın
qarın
karın
qarın
garyn
qaryn
qarın
qorin
qor(saq)
qaryn
χyra'm
qarin
Tiere
Proto-Türk.
Alttürk.
Türkisch
Aserbaid.
Turkmen.
Tatar.
Kasach.
Usbek.
Uigur.
Jakut.
Tschuw.
Kumyk.
Pferd
*a:t
at
at
at
at
at
at
ot
at
at
ut
at
Rind
*sıgır
siyir
sığır
sığır
sygyr
sıyer
siyır
sigir
siyir
siyir
Hund
*ıt/*it
ıt
it
it
it
et
iyt
it
it
yt
jyta'
it
Fisch
*balık
balıq
balık
balıq
balyk
balyq
balıq
baliq
beliq
balyk
pula'
baliq
Laus
*bıt
bit
bit
bit
bit
bet
biyt
bit
pit
byt
pyjta'
bit
Sonstiges
Proto-Türk.
Alttürk.
Türkisch
Aserbaid.
Turkmen.
Tatar.
Kasach.
Usbek.
Uigur.
Jakut.
Tschuw.
Kumyk.
Haus
*eb
ev
ev
ev
öý
öy
üy
uy
öy
uy
Zelt
*otag
otag
otağ
otaq
otaq
otoq
otu:
Straße
*jol
yol
yol
yol
yo:l
yul
jol
yo'l
yol
suol
şul
yol
Brücke
*köpür(g)
köprüq
köprü
körpü
köpri
küpar
köpir
ko'prik
kövrük
kürpe
ke'per
Pfeil
*ok
oq
ok
ox
ok
uk
ok
o'q
oq
oχ
ugu
Feuer
*o:t
ot
od
od
ot
ut
ot
o't
ot
uot
vuta'
ot
Asche
*kü:l
kül
kül
kül
kül
köl
kül
kul
kül
kül
ke'l
Wasser
*sıb
suv
su
su
suw
syw
suw
suv
su
ui
shyv
suw
Schiff
*gemi
kemi
gemi
gəmi
gämi
kimä
keme
kema
kemä
kim
See
*köl
köl
göl
göl
köl
kül
köl
ko'l
köl
küöl
küle'
Sonne/Tag
*gün(el̩)
küneş
güneş
günəş/gün
gün
kojaş
kün
quyosh
kün
kün
kun
gün
Wolke
*bulut
bulut
bulut
bulud
bulut
bolyt
bult
bulut
bulut
bylyt
pe'le't
bulut
Stern
*juldur̩
yulduz
yıldız
ulduz
ýyldyz
yoldyz
juldız
yulduz
yultuz
sulus
şa'lta'r
yulduz
Erde
*toprak
topraq
toprak
torpaq
toprak
tufrak
topıraq
tuproq
tupraq
toburaχ
ta'pra
Hügel
*tepö
töpü
tepe
təpə
depe
tübä
töbe
tepa
töpä
töbö
tüp
Baum
*ıngač
yaġac
ağaç
ağaç
agaç
agaç
ağaş
yağaç
jyva'ş
ağaç
Gott
*teŋri
täŋri
tanrı
tanrı
taňry
tänri
täňri
tangre
tängri
tanara
tura'
Adjektive
Proto-Türk.
Alttürk.
Türkisch
Aserbaid.
Turkmen.
Tatar.
Kasach.
Usbek.
Uigur.
Jakut.
Tschuw.
Kumyk.
lang
*ur̩ın
uzun
uzun
uzun
uzyn
ozyn
uzın
uzun
uzun
uhun
va'ra'm
uzun
neu
*jaŋı
yaŋı
yeni
yeni
yany
yana
janga
yangi
yengi
sana
şe'ne'
yangi
fett
*semir̩
semiz
semiz
semiz
simyz
semiz
semiz
semiz
emis
samar
semiz
voll
*do:lu
tolu
dolu
dolu
do:ly
tuly
tolı
to'la
toluq
toloru
tulli
ta'li
weiß
*a:k
aq
ak
ağ
ak
ak
aq
oq
aq
aq
schwarz
*kara
qara
kara
qara
gara
kara
qara
qora
qara
χara
χura
qara
rot
*kır̩ıl
qızıl
kızıl
qızıl
gyzyl
kyzyl
qızıl
qizil
qizil
kyhyl
χe'rle'
qizil
himmelblau/Himmel
*gök
kök
gök
göy
gök
kük
kök
ko'k
kök
küöq
ka'vak
gök
Zahlen
Proto-Türk.
Alttürk.
Türkisch
Aserbaid.
Turkmen.
Tatar.
Kasach.
Usbek.
Uigur.
Jakut.
Tschuw.
Kumuk.
1
*bir
bir
bir
bir
bir
ber
bir
bir
bir
bi:r
pe'r(re)
bir
2
*ek(k)i
eki
iki
iki
iki
ike
yeki
ikki
ikki
ikki
ik(k)e'
eki
4
*dö:rt
tört
dört
dörd
dört
dürt
tört
to'rt
töt
tüört
ta'vat(t)a'
dört
7
*jeti
yeti
yedi
yeddi
yedi
yide
jeti
yetti
yättä
sette
şich(ch)e'
jeti
10
*o:n
on
on
on
on
un
on
o'n
on
uon
vun(n)a'
on
100
*jü:r̩
yüz
yüz
yüz
yüz
yüz
jüz
yuz
yüz
sü:s
şe'r
yüz
Sprachliche Charakterisierung der Turksprachen
Typologische Merkmale
Typologisch weisen die Turksprachen große Ähnlichkeit mit den beiden anderen Gruppen der altaischen Sprachen (Mongolisch und Tungusisch) auf, diese Merkmale sind also weitgehend gemeinaltaisch und finden sich zum Teil auch bei uralischen und paläosibirischen Sprachen.
Einige Turksprachen (Turkmenisch, Jakutisch, Chaladsch) haben eine Quantitätsdifferenzierung bei den Vokalen, die wahrscheinlich alt ist, sonst aber verloren ging. Spuren bzw. Wirkungen der alten Quantität sind auch in anderen Turksprachen zu beobachten.
Es gibt eine Lautharmonie, insbesondere Vokalharmonie, die auf verschiedenen Lautoppositionen beruht: vorne-hinten, gerundet-ungerundet, hoch-tief.
Ein Beispiel aus dem Türkischen soll dies aufzeigen: baba-lar „Väter“, aber ders-ler „Lektionen“. Der Pluralmarker heißt /lar/ oder /ler/, je nachdem, welche Art von Vokal ihm vorausgeht. (Vertiefung und weitere Beispiele im Abschnitt „Lautharmonie“.)
Die Lautharmonie ist in unterschiedlichem Ausmaß in nahezu allen Turksprachen erhalten, teilweise allerdings nur in den gesprochenen Varianten, während sie nicht mehr im Schriftbild deutlich wird (z. B. im Usbekischen).
Eine durchgehend agglutinative Wortbildung und Flexion, und zwar nahezu ausschließlich durch Suffixe (Präfixe kommen allenfalls in der Wortbildung vor). Dies kann zu sehr langen und komplexen Bildungen führen (allerdings werden im Normalfall selten mehr als drei bis vier Suffixe verwendet). Jedes Morphem hat eine spezifische Bedeutung und grammatische Funktion und ist – abgesehen von den Erfordernissen der Vokalharmonie – unveränderlich.
Adjektive werden nicht flektiert, sie zeigen keine Konkordanz mit ihrem Bestimmungswort, dem sie vorausgehen.
Bei der Verwendung von Quantifizierern (Zahlwörtern, Mengenangaben) entfällt die Pluralmarkierung.
Es gibt kein grammatisches Geschlecht, nicht einmal bei den Pronomina. (Selbst die ältesten Formen der Turksprachen lassen keinerlei Reste eines grammatischen Geschlechts erkennen, so dass man davon ausgehen kann, dass auch das Proto-Türkische diese Kategorie nicht besaß.)
Relativsätze werden durch Partizipialkonstruktionen ersetzt. Generell werden statt Nebensätzen nominalisierte und adverbialisierte komplexe Verbalformen verwendet. Die nominalisierten Formen entsprechen in etwa Infinitivkonstruktionen, die adverbialen Formen bezeichnet man als Gerundien oder Konverbien.
Das Verbum steht am Satzende, die normale Satzgliedfolge ist SOV (Subjekt-Objekt-Verb).
Phoneminventar am Beispiel des Türkischen
Das Türkische zeigt ein für die Turksprachen typisches Phoneminventar von acht Vokalen und 20 Konsonanten.
Vokale
Die Vokale können nach ihrer Artikulationsstelle (vorn – hinten), Rundung (gerundet – ungerundet) und Höhe (hoch – tief) eingeteilt werden. Diese Klassifikation ist für die Vokalharmonie von entscheidender Bedeutung.
Hier werden die Buchstaben des türkischen Alphabets verwendet, in eckigen Klammern [ ] stehen die Lautwerte.
Lautharmonie am Beispiel des Türkischen
Die bei den Turksprachen weitverbreitete Lautharmonie betrifft sowohl die Vokale als auch einige Konsonanten. Im Türkischen sind dies k, g, ğ und l.
Die Vokalharmonie, also die Angleichung der Suffixvokale an die Vokale des Stammes oder der vorhergehenden Silbe, soll am Beispiel des Türkischen gezeigt werden. Dort beruht die Vokalharmonie sowohl auf einer Angleichung der Artikulationsstelle (vorne-hinten) als auch einer Assimilation im Rundungstyp (gerundet-ungerundet) der betreffenden Vokale. Einige Suffixe werden gemäß der sogenannten kleinen Vokalharmonie, andere gemäß der großen Vokalharmonie gebildet. Während die kleine Vokalharmonie im Suffix ein /e/ nach den vorderen Vokalen (e, i, ö, ü) in der vorherigen Silbe und ein /a/ nach den hinteren Vokalen (a, ı, o, u) vorschreibt, wird bei den Suffixen, die gemäß der großen Vokalharmonie gebildet werden, ein /i/ nach den vorderen ungerundeten Vokalen (e, i), ein /ü/ nach den vorderen gerundeten Vokalen (ö, ü), ein /ı/ nach den hinteren ungerundeten Vokalen (a, ı) und ein /u/ nach den hinteren gerundeten Vokalen (o, u) verwendet.
Beispiele
(1) elma-lar „Äpfel“ aber ders-ler „Lektionen“
(2) ev-de „im Haus“, aber orman-da „im Wald“
In (1) und (2) gleichen sich das Pluralsuffix /-ler/ oder /-lar/ und das Lokativsuffix /-de/ oder /-da/ dem Stammvokal in der Artikulationsstelle (vorne-hinten) an.
(3a) isçi-lik „Kunstfertigkeit“
(3b) pazar-lık „Feilschen“
(3c) çoğun-luk „Mehrheit“
(3d) ölümsüz-lük „Unsterblichkeit“
Das Suffix /-lik/ „-keit“ besitzt vier Varianten, die sich sowohl nach der Artikulationsstelle des Stammvokals (hinten-vorn) als auch seiner Rundung anpassen.
(4) püskül – ümüz – ün
Troddel – POSS.1pl – GEN
„unserer Troddel (oder Quaste)“
(5) püskül – ler – imiz – in
Troddel – PL – POSS.1pl – GEN
„unserer Troddeln“
In (4) bewirkt der letzte Vokal von püskül (/ü/: vorn, gerundet) entsprechende Vokalisierung im Possessivsuffix /imiz/ (hier /ümüz/) und Kasusmarker /in/ (hier /ün/). (Zu Possessivsuffix und Kasusmarker siehe:Morphologie)
In (5) bewirkt das /ü/ von püskül die vordere Variante des Pluralmarkers /ler/, dessen ungerundetes vorderes /e/ wiederum die ungerundete vordere Varianten /imiz/ und /in/ der folgenden Marker auslöst. Analog sind die nächsten Beispiele zu erklären.
(6) torun – umuz – un
Enkel – POSS.1pl – GEN
„unseres Enkels“
(7) torun – lar – ımız – ın
Enkel – PL – POSS.1pl – GEN
„unserer Enkel“
Die Unterscheidung zwischen gerundeten und ungerundeten Vokalen ist zwar im Türkischen allgemein gültig, nicht aber in allen Turksprachen. Auch im Türkischen gibt es Ausnahmen.
Das Türkische kennt für die hellen und dunklen Formen der Konsonanten k, g, ğ und l keine unterschiedliche Schreibweise, wohl verwenden einige Turksprachen für das dunkle k den Buchstaben q. Das dunkle ğ – der Buchstabe steht nur nach und zwischen Vokalen – wird im Übrigen nicht mehr gesprochen, die helle Variante ist ein flüchtiger j-Laut, das dunkle l lautet wie im englischen Wort „well“. Sollen vor den Vokalen a oder u k, g oder l hell gesprochen werden, erhält der Vokal einen Zirkumflex, z. B. „kâr“ „Gewinn“, aber „kar“ „Schnee“ oder „klâvye“ „Tastatur“.
Morphologie der Turksprachen
Kasusmarkierung
Turksprachen haben in der Regel sechs Kasus: Nominativ (unmarkiert), Genitiv, Dativ-Terminativ, Akkusativ, Ablativ (woher?) und Lokativ (wo?). Die Kennzeichnung dieser Fälle erfolgt durch angehängte Kasusmarker, die innerhalb der einzelnen Sprachen sehr unterschiedlich ausfallen können. Dennoch gibt es eine erkennbare generelle Struktur, die auf die gemeinsame Protosprache zurückgeht und die in der Markerformel angegeben ist. (V bezeichnet einen Vokal, der sich nach der Vokalharmonie richtet, K einen beliebigen Konsonanten). Diese Struktur lässt aber für die konkrete Realisierung der Kasus in den einzelnen Sprachen einen relativ großen Spielraum. Die folgende Tabelle zeigt die Kasusmarkerformeln und ihre Realisierungen in drei Beispielsprachen Kirgisisch, Baschkirisch und Türkisch, die einige – aber nicht alle – Varianten der Formel umsetzen.
Die Kasusmarkerformeln und ihre Realisierung in einigen Turksprachen
Kasus
Markerformel
Kirgisisch
Baschkirisch
Türkisch
Nominativ
-Ø
köz „Auge“
bala „Kind“
ev „Haus“
Genitiv
-(d/t/n) V n
köz-dün
bala-nın
ev-in
Dativ
-(k/g) V
köz-gö
bala-ga
ev-e
Akkusativ
-(d/n) V
köz-dü
bala-nı
ev-i
Ablativ
-d/t/n V n
köz-dön
bala-nan
ev-den
Lokativ
-d/t/l V
köz-dö
bala-la
ev-de
Personalpronomina
Die Personalpronomina sind in allen Turksprachen sehr ähnlich. Im Türkischen lauten sie:
Person
Singular
Plural
1
ben
biz
2
sen
siz
3
o
onlar
Possessivsuffixe
Besonders wichtig sind die Possessivsuffixe, die in den Turksprachen das Possessivpronomen ersetzen, in ähnlichen Formen aber auch in der Verbalmorphologie verwendet werden:
Person
Singular
Plural
1
-(i)m
-(i)miz
2
-(i)n
-(i)niz
3
-(s)i
-leri/ları
Nominalphrasen
Am Beispiel des Türkischen wird die Konstruktion von Nominalphrasen gezeigt. Die Reihenfolge der Konstituenten ist dabei festgelegt. Es ergeben sich im Wesentlichen folgende Positionen:
Die folgende Tabelle zeigt die Tempora und Modi des Verbs in den Turksprachen mit genereller Formel und Realisierung im Aserbaidschanischen und Türkischen (1. Sg. der Wurzel al- „nehmen, bekommen, kaufen“)
Tempus/Modus
Formel
Aserbaidschanisch
Türkisch
Bedeutung
Infinitiv
m+V+k/g
al-maq
al-mak
nehmen
Imperativ
Ø; -ın
al; al-ın
al; al-ın
nimm! nehmt!
Präsens
V+r
al-ır-am
al-ıyor-um
ich nehme
Futur
acak
al-acağ-am
al-acağ-ım
ich werde nehmen
Präteritum
d/t+V
al-dı-m
al-dı-m
ich nahm
Konditional
sa
al-sa-m
al-sa-m
(wenn) ich nehme
Optativ
(j)V
al-maq is-tə-yi-rəm
al-mak is-ti-yo-rum
ich möchte nehmen
Necessitiv
malı
al-malı-y-am
al-malı-y-ım
ich soll nehmen
Part. Präsens
Vn
al-an
al-an
nehmend
Part. Perfekt
d V k/g
al-dığ-ım
al-dı-ğım
genommen (habend)
Gerundium
ip
al-ıb
al-ıp
das Nehmen
Passiv
i l/n
al-ın-maq
al-ın-mak
genommen werden
Kausativ
d/t + i + r(t)
al – dırt – mag
al-dırt-mak
veranlasst, zu nehmen
Beispiele komplexerer türkischer Verbalformen, die auch ganze Nebensätze ersetzen können:
ben milyoner ol-mak isti-yor-um >> ich [Millionär – werden-INF] will-PRÄS-1sg
„ich will Millionär werden“
ben biz-im haps-e at-ıl-acağ-ımız-ı duy-du-m
>> ich [wir-GEN Gefängnis-DAT werfen-PASS-FUT-1pl-]-AKK hören-PRÄT-1sg
„ich hörte, dass wir ins Gefängnis geworfen werden sollen“
(wörtlicher: ich hörte Unser-ins-Gefängnis-geworfen-werden)
„sie wurden veranlasst, sich gegenseitig zu küssen“
yıka-n-ma-malı-yım >> waschen-REFL-NEG-NECESS-1sg
„es ist notwendig, dass ich mich nicht wasche“ d. h. „ich darf mich nicht waschen“
yıka-n-acağ-ım >> waschen-REFL-FUT-1sg
„ich werde mich selbst waschen“
(Einige Beispiele nach IEL, Artikel Turkish, und G.L.Campbell, Concise Compendium of the World’s Languages.)
Frühe Turksprachen und ihre Überlieferung
Wanderungsbewegungen
Manche Wissenschaftler vertreten die Ansicht, dass sich bereits in den Verbänden der Hunnen, die seit dem 1. Jahrhundert nach Westen migrierten, Stämme befanden, die frühe Formen einer Turksprache sprachen.[23] Massive Wanderungen von Turkvölkern lassen sich zweifelsfrei seit dem 8. Jahrhundert nachweisen. Der Gipfel der Migration türkischer Bevölkerungsgruppen nach Westen war die Landnahme Anatoliens im 11. Jahrhundert. Die letzte Migration türkischer Bevölkerungsgruppen war die der Jakuten, die im 12. Jahrhundert einsetzte.[24] Die Sprache der Türken Südsibiriens (die Sprache, in der die ältesten turksprachigen Texte – die Orchon-Inschriften – aufgezeichnet wurden, also Alttürkisch) ist die einzige Sprachform, die vor den großen Wanderungen der türkischen Völker Eigenprofil gewonnen hat.[25]
Chronologie
Die ältesten türkischen Schriftzeugnisse sind die Runeninschriften des Orchon-Jenissei-Gebietes sowie die Turaninschriften. Diese stammen überwiegend aus dem 8. Jahrhundert. Die Schrift, in der die Orchon-Texte überliefert sind, weist äußere Ähnlichkeiten mit den germanischen Runen auf (ohne jedoch mit diesen verwandt zu sein), so dass auch sie als Runenschrift bezeichnet wird.
Die eigentliche Schrifttradition der südöstlichen Turksprachen beginnt im 11. Jahrhundert unter den Karachaniden. Dort entstanden 1069 oder 1070 das aus 6645 Einzelversen entstehende Werk Kutadgu Bilig („Beseligende Weisheit“) des Dichters Yusuf und im Jahre 1074 das monumentale türkisch-arabische Wörterbuch Diwan Lughat at-Turk von Mahmud al-Kāschgharī.
Das Choresm-Türkische des 13. und 14. Jahrhunderts gehörte ebenfalls zu den südöstlichen Turksprachen, zeigt aber einige südwestliche Einflüsse. Es bildete die Grundlage des Tschagataischen, einer wichtigen Literatursprache vieler muslimischer Turkvölker bis zum ausgehenden 19. Jahrhundert.
Die frühesten Zeugnisse der nordwestlichen Turksprachen stammen aus dem 14. Jahrhundert, als in der kumanischen Sprache der Codex Cumanicus verfasst wurde. Nachfolgesprachen sind das Tatarische und Baschkirische.
Inschriften des Wolgabolgarischen sind erst aus dem 13./14. Jahrhundert überliefert, daraus – oder aus einem verwandten Dialekt – entwickelte sich später das stark abweichende Tschuwaschische.
Seit dem 15. Jahrhundert ist das zur Südostgruppe gehörende Tschagataisch belegt, das die Basis für die heutigen Sprachen Usbekisch und Uigurisch darstellt.
In der Zeit von 1924 bis 1930 wurden weitere Turksprachen verschriftet, zuerst auf Basis eines lateinischen Alphabets, das seit 1922 für das Aserbaidschanische verwendet wurde.
Ab 1936 bis 1940 begann im sowjetischen Machtbereich der Übergang zu einer den Bedürfnissen der Turksprachen angepassten kyrillischen Schriftform. Waren die arabischen und lateinischen Verschriftlichungen noch auf gegenseitige Verständlichkeit verschiedener Turksprachen angelegt, so galt bei den kyrillisch verschriftlichten Sprachen das Gegenteil – dort wurden aus verschiedenen Dialekten künstlich separate Sprachen erzeugt. Linientreue Linguisten wurden von Stalin beauftragt, die regionalen oder stammestypischen Dialekte in lehrbare Hochsprachen umzuwandeln und so alte Zusammenhänge zu zerschlagen. Vor allem die Turksprachen in der UdSSR mussten so weit wie möglich auseinandergerückt werden, um die alten pantürkischen Bestrebungen zu zerstören.[26]
Im Oktober 1990, kurz vor der Auflösung der Sowjetunion, wurde von den Staaten Aserbaidschan, Kasachstan, Kirgisistan, Turkmenistan und Usbekistan auf einem Turkgipfel in Ankara beschlossen, innerhalb von 15 Jahren für ihr Staatsgebiet lateinische Alphabete einzuführen. Dieses sollte eng an das in der Türkei verwendete Alphabet angelehnt werden. Ziel dieses Schrittes sollte die Bewahrung des gemeinsamen Kulturerbes der Turkvölker sein.
Lars Johanson, Éva Ágnes Csató: The Turkic Languages. Routledge, London 1998, ISBN 0-415-08200-5.
Kurtuluş Öztopçu: Dictionary of the Turkic Languages. Routledge, London 1996, 1999. ISBN 0-415-14198-2
Miloš Okuka (Hrsg.): Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens. Wieser Enzyklopädie des europäischen Ostens. Band 10. Wieser, Klagenfurt 2002, ISBN 3-85129-510-2.
Ekrem Ċaušević: Baschkirisch. In: Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens. S.777–780 (aau.at [PDF; 187kB]).
Wolfgang Schulze: Gagausisch. In: Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens. S.781–786 (aau.at [PDF; 196kB]).
Wolfgang Schulze: Karaimisch. In: Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens. S.787–791 (aau.at [PDF; 183kB]).
Ekrem Čaušević: Kasantatarisch. In: Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens. S.793–797 (aau.at [PDF; 226kB]).
Wolfgang Schulze: Krimtatarisch. In: Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens. S.799–804 (aau.at [PDF; 192kB]).
Harald Haarmann: Kumanisch. In: Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens. S.805–807 (aau.at [PDF; 127kB]).
Harald Haarmann: Tschagataisch. In: Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens. S.809–810 (aau.at [PDF; 94kB]).
Ekrem Čaušević: Tschuwaschisch. In: Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens. S.811–815 (aau.at [PDF; 209kB]).
Matthias Kappler: Türkisch (in Südosteuropa). In: Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens. S.817–834 (aau.at [PDF; 357kB]).
Harald Haarmann: Wolgabulgarisch. In: Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens. S.835–836 (aau.at [PDF; 105kB]).
Semih Tezcan: Von der Chinesischen Mauer bis zur Adria: Die türkische Sprachkarte. In: Klaus Kreiser (Hrsg.): Germano-Turcica. Zur Geschichte des Türkisch-Lernens in den deutschsprachigen Ländern. Universitätsbibliothek Bamberg, Bamberg 1987, ISBN 3-923507-06-2, S. 9–14.
Marion Linska, Andrea Handl, Gabriele Rasuly-Paleczek: Einführung in die Ethnologie Zentralasiens (Memento vom 9. September 2006 im Internet Archive) (PDF; 619 kB; 129 S.). Vorlesungsskriptum, Wien Januar 2003 (abgerufen am 16. Juni 2013), Info: Rasuly-Paleczek ist mittlerweile Ass.-Professorin am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien.
Monumenta altaica – mit Texten, Wörterbüchern, Grammatiken, Artikeln zu altaischen Sprachen
Einzelnachweise
↑Brigitte Moser, Michael Wilhelm Weithmann: Landeskunde Türkei: Geschichte, Gesellschaft und Kultur. Buske Verlag, 2008, S. 173.
↑Lars Johanson: "The high and low spirits of Transeurasian language studies" in Johanson and Robbeets (2010), S. 7–20.
↑Zuweilen als „transeurasischen/makro-altaischen Gruppierung“ zusammengefasst; Martine Robbeets: Hirse und Bohnen, Sprache und Gene: Die Herkunft und Verbreitung der transeurasischen Sprachen. Forschungsbericht 2015 – Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte (online).
↑Martine Robbeets: Austronesian influence and Transeurasian ancestry in Japanese: A case of farming/language dispersal. In: Language Dynamics and Change. Band7, 1. Januar 2017, S.210–251, doi:10.1163/22105832-00702005 (researchgate.net [abgerufen am 7. September 2018]).
↑Rachel Lung: Interpreters in Early Imperial China. John Benjamins Publishing, 2011, ISBN 978-90-272-8418-1 (google.com [abgerufen am 24. September 2019]).
↑Valerie Hanson: The Silk Road: A New History. Oxford University Press
↑Jean-Paul Roux: Histoire des Turcs. 2000 (in French).
↑vgl. die Materialien bei Gerhard Doerfer, Türkische und mongolische Elemente im Neupersischen: unter besonderer Berücksichtigung älterer neupersischer Geschichtsquellen, vor allem der Mongolen- und Timuridenzeit, 4 Bände, Steiner, Wiesbaden, 1963–1975, mit den Bänden 2: Türkische Elemente im Neupersischen: alif bis tā, 1965, 3: Türkische Elemente im Neupersischen: ǧūm bis Kāf, 1967 und 4: Türkische Elemente im Neupersischen (Schluß) und Register zur Gesamtarbeit, 1975
↑Lirong MA: Sino-Turkish Cultural Ties under the Framework of Silk Road Strategy. In: Journal of Middle Eastern and Islamic Studies (in Asia). Band8, Nr.2, Juni 2014, ISSN1937-0679, S.44–65, doi:10.1080/19370679.2014.12023242 (tandfonline.com [PDF; abgerufen am 5. September 2018]).
↑Gerhard Doerfer: Die Stellung des Osmanischen im Kreise des Oghusischen und seine Vorgeschichte in: György Hazai (Hrsg.): Handbuch der türkischen Sprachwissenschaft. Band 1, Harrassowitz, Wiesbaden 1990, ISBN 3-447-02921-8, S. 13–34, 18.
↑Gerhard Doerfer: Die Stellung des Osmanischen im Kreise des Oghusischen und seine Vorgeschichte in: György Hazai (Hrsg.): Handbuch der türkischen Sprachwissenschaft. Band 1, Harrassowitz, Wiesbaden 1990, ISBN 3-447-02921-8, S. 13–34, 19.
↑Klaus Röhrborn: Pantürkismus und sprachliche Einheit der Türkvölker in: Klaus Heller und Herbert Jelitte (Hrsg.): Das mittlere Wolgagebiet in Geschichte und Gegenwart, Lang, Frankfurt am Main/ Berlin 1994, ISBN 3-631-46921-7, S. 153–175, 155–156.
↑Ingeborg Baldauf: Some Thoughts on the Making of the Uzbek Nation. In: Cahiers du monde russe et soviétique.32, Nr. 1 1991, S. 79–95, S. 90 (Online).
↑Sprachfamilien, Studienarbeit aus dem Jahr 2006 im Fachbereich Sprachwissenschaft/Sprachforschung, Johannes Gutenberg-Universität Mainz, S. 24.
Wolfgang-Ekkehard Scharlipp: Die frühen Türken in Zentralasien. Darmstadt 1992, S. 2. ISBN 3-534-11689-5.
Claudia Römer: Von den Hunnen zu den Türken – dunkle Vorgeschichte. in: Zentralasien. Hrsg. von Andreas Kappeler. Promedia, Wien 2006, S. 62. ISBN 3-85371-255-X.
Pavel Lurje: Die Sprachen Zentralasiens in Vergangenheit und Gegenwart. in: Zentralasien. Hrsg. von Andreas Kappeler. Promedia, Wien 2006, S. 48. ISBN 3-85371-255-X.
David Bivar: Die Nomadenreiche und die Ausbreitung des Buddhismus. in: Fischer Weltgeschichte. Bd. 16. Zentralasien. Hrsg. von Gavin Hambly. Fischer, Frankfurt am Main 1966, S. 49.
René Grousset: Die Steppenvölker. Kindler, München 1970, S. 19.
Harald Haarmann: Hunnen. in: Lexikon der untergegangenen Völker. Beck, München 2005, ISBN 3-406-52817-1, S. 129.
↑Harald Haarmann: Weltgeschichte der Sprachen. Beck, München 2006, ISBN 3-406-55120-3, S. 274.
↑Harald Haarmann: Weltgeschichte der Sprachen. Beck, München 2006, ISBN 3-406-55120-3, S. 271.
↑Erhard Stölting: Eine Weltmacht zerbricht. Nationalitäten und Religionen in der UdSSR. Eichborn, Frankfurt am Main 1991, ISBN 3-8218-1136-6, S. 23.