In der UdSSR begann 1974 ein Wettbewerb um den Auftrag für einen neuen Überschall-Bomber mit Schwenkflügeln. Der eng an die Tupolew Tu-144 angelehnte Entwurf der Tupolew-Werke trat dabei gegen die Mjassischtschew M-18 und eine Suchoi-Konstruktion (Projekt „200“ oder T-4MS) an. Obwohl das Mjassischtschew-Flugzeug die besten Leistungen zeigte, wurde Tupolew eher zugetraut, den komplexen Auftrag auszuführen. Das OKB Tupolew wurde deswegen beauftragt, ein Flugzeug zu entwickeln. Es sollte jedoch Elemente des eigentlich überlegenen Mjassischtschew-Entwurfs übernehmen.
Es entstand ein der amerikanischen Rockwell B-1 ähnelnder, jedoch größerer Schwenkflügel-Bomber mit interkontinentaler Reichweite und strategischer Rolle. Er gilt mit einem maximalen Startgewicht von 275 Tonnen als schwerster im Einsatz befindlicher Bomber der Welt. Zum Vergleich: Das maximale Startgewicht der schwersten B-52-Version B-52H beträgt 221 Tonnen.
Die Maschine wurde 1987 in den Truppendienst eingeführt. Alle 16 Tu-160 sind nach sowjetischen oder russischen Persönlichkeiten benannt. Die Tu-160 ist das größte Kampfflugzeug der Welt und wird inoffiziell auch als Weißer Schwan bezeichnet (Белый лебедь).
Lieferung der in der Ukraine verbliebenen Flugzeuge
Mit der Auflösung der Sowjetunion befanden sich 19 Tu-160 auf der Bomberbasis Pryluky in der seit August 1991 unabhängigen Ukraine. Zusammen mit 15 Tu-95MS vom Standort Usin und 575 Marschflugkörpern Ch-55 entwickelten sie sich in den Folgejahren zu einem schwierigen Verhandlungsgut zwischen der Ukraine und Russland. In den 1990er Jahren trugen die 19 Tu-160 das Hoheitsabzeichen der Ukraine. Abgeschnitten von Ersatzteillieferungen sank die Zahl der Flugstunden rapide ab. Das ukrainische Personal verfügte zudem nicht über ausreichende Möglichkeiten, um die komplexe Technik zu warten. Da der Erhalt einer strategischen Bomberflotte ohnehin nicht vorgesehen war, begann die Ukraine 1998 mit der Verschrottung der Bomber. Erst nachdem zehn Maschinen verschrottet worden waren, reagierte Russland, da nur sechs Tu-160 nach der Auflösung der Sowjetunion in Russland verblieben waren. Russland erreichte im Winter 1999/2000 gegen die Verrechnung von Altschulden aus Gaslieferungen von der Ukraine die Auslieferung der noch vorhandenen drei Tu-95MS, acht Tu-160 sowie der zugehörigen 575 Marschflugkörper.[1]
Diese acht Tu-160 waren von besonderem Interesse für die russischen Streitkräfte, da sie damals erst 10 bis 20 Prozent ihrer Gesamtbetriebszeit geflogen waren. In der Ukraine blieb eine einzige Tu-160 in einem Museum auf der Basis Poltawa zurück. Heimat der Tu-160 ist seit 1993 der Stützpunkt Engels-2 in der Oblast Saratow am Ostufer der Wolga im Bestand des 121. TBAP der 22. TBAD. Mit der Übernahme der acht ex-ukrainischen Tu-160 erhöhte sich der Bestand auf 14 Maschinen. Seither ist das Regiment ausschließlich mit Tu-160 ausgerüstet und verfügt damit über Russlands einzige überschallschnelle Bomberkapazität mit strategischer Reichweite.[1]
Modernisierung
Am 5. Juli 2006 wurde eine vom Kasaner Flugzeugwerk modernisierte Tu-160M übergeben. Das Flugzeug trägt die Nummer Rote 19 und den Namen des Chefkonstrukteurs der Tu-160, „Walentin Blisnjuk“. Mitte 2007 kam eine weitere Maschine hinzu, zudem begann ein Programm zur Modernisierung der übrigen Maschinen. Am 29. April 2008 wurde die erste neu produzierte Tu-160 „Witali Kopylow“ in Dienst gestellt und im Jahr 2015 wurden zwei weitere Tu-160 nach dem Standard Tu-160M modernisiert.[2]
Am 15. November 2017 erfolgte der Rollout einer weiteren Tu-160M, die zum Prototyp der M2-Version wurde. Sie entstand aus vorhandenen Teilen einer nicht fertiggestellten Tu-160 aus den 1990er-Jahren.[3] Es handelte sich um das Flugzeug mit der Seriennummer 804,[4][5] welches einige Modifikationen aufwies, jedoch keine neuen Triebwerke besaß.[4] Das Flugzeug flog im Januar 2018 erstmals mit dem Namen „Pjotr Dejnekin“.
Der Betrieb der Tu-160 gilt bis 2040 als gesichert, da das russische Militär Ende Mai 2015 ankündigte, 50 neue Tu-160 beschaffen zu wollen.[6] Äußerlich unterscheide sich das Flugzeug kaum von den früheren Versionen, aber das Cockpit, die Steuerung, die Kommunikations- und Waffensysteme seien von Grund auf neuentwickelt.[7] Die alten 16 Tu-160 sollen in den kommenden Jahren auf den neuen Standard umgerüstet werden.[8] Zusätzlich sollen (Stand 2018) vorerst 10 neue Flugzeuge gebaut werden,[9][7] das Erste davon sollte 2021 ausgeliefert werden.[10]
Am 3. November 2020 war der Erstflug des Prototyps „Igor Sikorsky“ mit den neuen NK-32-02-Turbofans von Kusnezow, dem stärksten je in einem Kampfflugzeug eingesetzten Antrieb. Der Erstflug dauerte zwei Stunden und 20 Minuten und die „Igor Sikorsky“ sei bis zu 6.000 Meter hoch gestiegen. Während des Fluges wurden alle neuen Systeme der Modernisierung, insbesondere die neuen Triebwerke, überprüft und bewertet. Mit den neuen Triebwerken mit optimierten Verdichter- und Turbinenschaufeln verbraucht die Tu-160 weniger Treibstoff und soll bis zu 1.500 Kilometer weiter fliegen können als bisher.[8] Ende 2022 wurden zwei weitere Tu-160M mit NK-32-02-Turbofans, neuer Avionikausrüstung und anderen neuen Systemen übergeben. Eines der beiden Flugzeuge ist eine Modernisierung, das andere eine Neufertigung.
Ende 2022 wurde das Testprogramm der Tu-160M abgeschlossen und die Serienfertigung mittels Digitalisierung modernisiert.[11]
Konstruktion
Die Tu-160 ist als Tiefdecker in Ganzmetallbauweise mit Schwenkflügeln ausgelegt. Das Leitwerk ist konventionell mit halbhoch am Seitenleitwerk befestigtem Höhenleitwerk ausgeführt. Oberhalb des Höhenleitwerkes ist das Seitenleitwerk als komplett schwenkbare Ruderfläche gestaltet.[12] Das einziehbare Fahrwerk besteht aus zwei je sechsrädrigen Hauptfahrwerken und einem doppeltbereiften Bugfahrwerk. Angetrieben wird die Tu-160 durch vier Turbofan-Triebwerke des Typs Kusnezow NK-321 mit Nachbrenner. Sie erreicht mit Mach 2 die doppelte Schallgeschwindigkeit.
Die maximale Treibstoffzuladung beträgt 148 Tonnen,[13] was eine maximale Flugdauer von 15 Stunden ermöglicht. Bei längeren Einsätzen kann die Maschine auch durch Il-78 in der Luft betankt werden.
Am 17. November 2015 wurden erstmals Tu-160 in einem bewaffneten Konflikt eingesetzt. Die strategischen Fernfliegerkräfte griffen im Rahmen des Militäreinsatzes in Syrien von Russland aus Ziele des IS im Osten Syriens mit Marschflugkörpern vom Typ Ch-101 an.[16]
Im Dezember 2018 besuchten zwei Tu-160 Venezuela,[17] begleitet von einer An-124 mit Ersatzteilen und einer Il-62 mit den Reparaturmannschaften.[18] Im Oktober 2019 landeten zwei Maschinen in Südafrika.[19]
Am 17. November 2024 flogen Tu-160 Angriffe gegen Ziele in der Ukraine.
Ihr letzter Einsatz zuvor war am 18. Mai 2023.[21]
Zwischenfälle
Am 18. September 2003 stürzte die „Michail Gromow“ ab, wobei die vierköpfige Besatzung unter Juri Dejneko ums Leben kam. Nach der Auswertung der telemetrischen Daten der Flugschreiber konnte der Unfallhergang rekonstruiert werden. Während eines Testflugs nach einer Reparatur eines Triebwerks kam es zu dessen Brand. Die Besatzung konnte noch einen Funkspruch absetzen. Beim Landeanflug und der daraus folgenden Senkung der Flughöhe von 2100 auf 1200 Meter explodierten die Treibstofftanks und das Flugzeug zerfiel in Bruchstücke. Vom Brand zur Explosion vergingen zwölf Sekunden. Die Explosion führte zum sofortigen Tod der Besatzung. Bei einer Flughöhe zwischen 120 und 150 Metern wurden die Schleudersitze automatisch ausgelöst. Die Besatzung konnte schließlich nur noch tot in ihren Schleudersitzen am Boden geborgen werden.[22]
Am 29. April 2024 stürzte eine Maschine auf dem Rückflug von einem Kampfeinsatz in der Ukraine ab. Die Ukrainer behaupteten, dass sie den Bomber mit einer Flugabwehrrakete abgeschossen hätten. Andere Berichte schrieben stattdessen von einer abgestürzten Tupolev Tu-22M3 aufgrund von Triebwerkschäden.[23][24]
Trivia
Die Triebwerke der Tu-160 wurden in den 1990er Jahren in einer gemeinsam mit der NASA für Forschungszwecke reaktivierten Tu-144LL verwendet. Dies ergab im Gegensatz zu den Triebwerken der Serienversion die Möglichkeit des sicheren Supercruise ohne Nachbrenner.
Nutzerstaaten
Aktuelle Nutzer
RusslandRussland – ab Februar 2019 befinden sich maximal 9 Tu-160 und 7 Tu-160M im Dienst der strategischen Bomberflotte.[25][26]
Waffenzuladung von 40.000 kg in zwei internen Bombenschächten. Im Bombenschacht können an einem internen MKU-6-5U-Revolvermagazin (rotierendes Werfergestell) an sechs Positionen Abwurfwaffen mitgeführt werden.
Tupolew Tu-160 „Blackjack“. In: de Agostini (Hrsg.): Aircraft. Die neue Enzyklopädie der Luftfahrt. Nr.198. Topic, München-Karlsfeld 1996, S.5523–5533.
↑Patrick Hoeveler: Russland will Tupolew Tu-160 wieder bauen. FlugRevue, 29. Mai 2015, abgerufen am 2. Dezember 2016: „Die russischen Luftstreitkräfte wollen mindestens 50 Exemplare der Tupolew Tu-160M Blackjack beschaffen. Die Produktion des strategischen Bombers war in den 1990er-Jahren aus Geldmangel eingestellt worden.“
↑The International Institute for Strategic Studies (IISS): The Military Balance 2018. 1. Auflage. Routledge, London 2018, ISBN 978-1-85743-955-7, S.193 (englisch, Stand: Januar 2018, 10 Tu-160 u. 6 Tu-160M).
↑«Туполев» передал в эксплуатацию очередной Ту-160. In: ПАО «Туполев». tupolev.ru, 5. Februar 2019, abgerufen am 8. Dezember 2019 (englisch, 1 bestehender Tu-160 wurde in die Tu-160M Variante modernisiert und ausgeliefert).
↑David Donald: Tupolev Bombers. AIRtime Publishing, 2003, Westport, CT 06881, USA, ISBN 1-880588-62-5.