Tamara ist ein deutscher Kinofilm aus dem Jahr 2023 in der Regie von Jonas Ludwig Walter, mit Linda Pöppel und Lina Wendel in den Hauptrollen.[1][2] Er ist für den Grimme-Preis 2024 nominiert[3] und hatte Premiere beim 44. Filmfestival Max Ophüls Preis, bevor er am 12. Dezember 2023 im ZDF ausgestrahlt wurde.
Tamara kennt das Land, aus dem sie kommt, nicht mehr. Als ihre Familie zerbricht, kämpft Tamara um ihr Elternhaus, um ihre Beziehungen – und um ihre eigene Geschichte. Weitgehend autobiografisch erzählt Jonas Walter aus dem Blickwinkel der Nachwendegeneration.[4]
Handlung
Zwei Frauen – Mutter und Tochter – beide kommen aus der DDR, die eine hat sie erlebt, die andere nicht. Tamara ist 1990 geboren.
Tamara kommt nach langer Abwesenheit zum runden Geburtstag ihres Vaters Karl zu Besuch in ihren Brandenburger Heimatort, weil sie bemerkt, dass die Eltern den Kampf um das Grundstück aufgegeben haben, auf dem ihr Elternhaus steht. Tamara will, dass ihre Eltern weiter darum kämpfen, damit es nicht verkauft wird. Zunächst trifft Tamara ihren Jugendfreund Rico, der inzwischen Bauunternehmer ist und im ehemaligen Kulturhaus des Ortes (was einst Tamaras Mutter Barbara geleitet hat) Linedance-Abende veranstaltet. Doch alles zerbröselt innerhalb weniger Tage: Tamaras Vater kommt in einem Verkehrsunfall auf der Autobahn ums Leben. Übrig bleiben Tamara und ihre Mutter Barbara. Die beiden ringen um ihre Beziehung, die nicht von den gesellschaftlichen Entwicklungen loszulösen ist, in denen die Familie entstanden, gewachsen und zerfallen ist. Jetzt muss sich Tamara dem stellen, wovor sie weggelaufen ist: ihrer eigenen Geschichte. Das Grundstück, so stellt sich heraus, hat bereits jemand gekauft. Noch während die Familie in dem Haus wohnt, beginnen Rodungsarbeiten. Barbara und Tamara müssen das Haus ausräumen, dass die Eltern zu DDR-Zeiten mühsam gebaut haben. Ein Gutachten bescheinigt ihnen einen geringen Wert: „reicht immerhin für die Beerdigung – mit Blumen und mit Kuchen.“, kommentiert die Mutter. Während sie das Haus ausräumen findet Tamara Tonbandaufnahmen ihres Vaters im Keller, der diese seit Tamaras Geburt tagebuchartig an seine Tochter gerichtet hat. Langsam nähern sich Barbara und Tamara wieder an, bis Tamara auf der Rentenbehörde, wo sie ihrer Mutter helfen will, erfährt, dass Karl gar nicht ihr leiblicher Vater war.[4]
Tamara kennt also nicht nur das Land, aus dem sie kommt, nur aus widersprüchlichen Geschichten, sondern auch ihre Familiengeschichte war anders, als ihr erzählt wurde. Am Schluss des Filmes, nach der Seebestattung, laufen Tamara und Barbara über einen Autobahn-Rastplatz und besprechen, warum die Eltern die Lebenslügen aufgebaut haben: Um ihre eigenen Biografien vor Interpretation zu schützen, und um Tamara eine eigene Geschichte zu geben, „und wir wollten, dass sie stimmt.“[1][2]
Die Geschichte trägt weitreichende autobiografische Züge des Regisseurs und Drehbuchautors Jonas Ludwig Walter, dessen (nicht leiblicher) Vater 2013 in einem Verkehrsunfall ums Leben kam[5].
Entstehung
Der Film hatte am 25. Januar 2023 Premiere beim 44. Filmfestival Max Ophüls Preis, lief auf verschiedenen Filmfestivals[6][7][8][9][10][11][12] und wurde am 12. Dezember 2023 im ZDF ausgestrahlt.[2] Linda Pöppel gewann den Preis für die beste darstellerische Leistung beim Neiße Filmfestival 2023[13]. Für Pöppel war Tamara die erste Hauptrolle in einem Kinofilm, obwohl sie auf große Theatererfahrung und Bekanntheit blickt, etwa als langjähriges Ensemblemitglied am Deutschen Theater in Berlin.[14] Linda Wendel und Jörg Witte empfänden enge Verbundenheit mit ihren Figuren (Barbara und Karl), weil der Film so viel von ihnen selbst hätte, so die beiden in Filmgesprächen und Interviews. Es sei Walter in der Besetzung wichtig gewesen, dass beide ihre eigenen Lebenserfahrungen in der DDR und danach in den Film einbringen würden.
Tamara wurde produziert von Jost Hering Filme in Koproduktion mit ZDF Das kleine Fernsehspiel und der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf, gefördert von mbb.[1] Er wurde im Frühjahr 2021 unter Corona-Bedingungen in Brandenburg[15](vor allem Werder/Havel) und Mecklenburg-Vorpommern gedreht.[4]
Kamera führte Yuri Salvador, der anamorphe Objektive im Bildverhältnis 2,35:1 verwendete. Die Musik stammt von Bertolt Pohl, u. a. für den Titelsong, gesungen von Uschi Brüning.[16]
Rezeption und Einordnung
Der Film ist ein Familiendrama. Er erzählt vordergründig eine Familiengeschichte, die aber deutlich in gesellschaftspolitische Themen eingebettet ist. So widmet sich TAMARA der sogenannten Nachwendegeneration, also jüngeren Ostdeutschen, die die DDR kaum noch oder gar nicht mehr erlebt haben, aber in Ostdeutschland in entsprechendem Umfeld sozialisiert wurden. Der Film Tamara wird in diesem Kontext gesehen und besprochen.[17][18][19][20] Gesellschaftliche Themen, etwa, wer wessen Geschichte erzählt und was Abstammung und Prägung bedeuten, spiegeln sich innerhalb der Familienbeziehungen wider, besonders durch die getrennte biologische und soziale Vaterschaft.[21]
Erzählt wird eine intellektuelle Familie in einer Kleinstadt: Barbara hat einst das Kulturhaus „Theater der Freundschaft“ des Ortes geleitet und arbeitet heute als Friedhofsgärtnerin. Der Vater Karl ist Tonmann. Besonderen Wert wurde auf die Ausstattung der Wohnung gelegt, in der sich regalweise Bücher aus DDR-Zeiten, Schallplatten und Geschirr von Hedwig Bollhagen finden, die das Mindset und den Stand der Familie erkennbar machen. Es ginge nicht darum, sagt die Mutter einmal, all die Bücher erneut zu lesen, sondern welche Gedanken sie um sich herum habe. Entsprechend zitiert sie beispielsweise Christa Wolf und Volker Braun.[2] Für das Szenenbild war Carl Seifert verantwortlich. Walter sagte in Filmgesprächen, die Einrichtung der Häuser und Wohnungen sei etwas, was er von der DDR noch wirklich kenne.
Walter sei wichtig gewesen, verschiedene Biografien aus unterschiedlichen Generationen zu erzählen, um die Unterschiedlichkeit der Figuren und ihrer Blickwinkel hervorzuheben, auch in Bezug darauf, was die Wiedervereinigung 1990 für sie bedeutete. So beschreibt Tamaras älterer Jugendfreund Rico, der zur Wende etwa 15 Jahre alt gewesen sein muss und danach Kontakt zu Neonazi-Gruppen hatte, dass es für ihn „90 erst richtig losging“, doch „für Vater war’s das Ende.“ Sein Vater, ein Bauingenieur, habe nach dem Krieg an die Möglichkeit einer neuen Welt geglaubt und sich daran festgehalten: „Sozialismus. Nie wieder Krieg!“ Rico erklärt sich daraus die distanzierte Beziehung der beiden Männer.[2]
In der Rezeption des Filmes wurde hervorgehoben, dass das Thema der „rückübertragenen“ Grundstücke unter der Maßgabe „Rückgabe vor Entschädigung“ eine wichtige Rolle einnimmt, und bisher kaum filmisch erzählt wurde, obwohl es den Einheitsprozess stark beeinflusst hat, weil Menschen in den neuen Bundesländern dadurch ihre Häuser verloren.[22] Barbara bezeichnet „Rückgabe vor Entschädigung“ in dem Film als Fehler.[2] Walter betonte in Filmgesprächen, dass dieses Thema das Normativ eines westdeutschen Blickes auf die Geschichte und Gesellschaft beispielhaft deutlich werden ließe. Er plädiert für eine Geschichtserzählung, die die Geschichte Deutschlands als eine gemeinsame begreift, statt eine westdeutsche Haupterzählung mit der Sonderform DDR und migrantischen Nebensträngen. So würde Raum geschaffen für neue Ideen und Perspektiven eröffnet. Da er die Wende als Kind erlebt habe, so Walter, habe er vor allem die emotionalen Konsequenzen wahrgenommen. Im Schulunterricht sei ihm dann die Diskrepanz aufgefallen, zwischen dem Geschichtsbuch und seiner Familiengeschichte. Ähnlich drückt es Tamara ihrer Mutter Barbara gegenüber aus.
In Artikeln und Interviews wird neben den „wunderbaren Dialoggefechten“ (Patrick Wellinski auf DLF Kultur) die Vielschichtigkeit des Filmes hervorgehoben (Marion Brasch auf radioeins), sowie seine Relevanz durch den neuen Blickwinkel: „Ein sehr wichtiger Film!“ (Filmfestival Max Ophüls Preis)[22][23]. Andere betonen die Verbindung der autobiografischen Geschichte mit gesellschaftlichen Themen (Nils Husmann in chrismon).[24][25][16]
Die Laudatio von Laura Laabs auf dem Filmkunstfest Mecklenburg-Vorpommern schloss mit: „Letztendlich schlägt der Film eine gesellschaftliche Umverteilung vor. Das ist poetischer Radikalismus. Lieber Jonas Ludwig Walter, vielen Dank für diesen Film!“[16]
Weblinks
Einzelnachweise