Ruth Barbara Rendell, Baroness Rendell of BaberghCBE (* 17. Februar1930 in South Woodford, London; † 2. Mai2015[1] in London), die auch unter dem Pseudonym Barbara Vine schrieb, war eine britische Bestseller-Autorin. Sie wurde sowohl durch ihre Kriminalromane wie auch durch ihre psychologischen Romane bekannt; als Barbara Vine schrieb sie Thriller und als Ruth Rendell Kriminalromane.
Ihre Werke zeichnen sich durch ihre elegante Prosa aus und wurden, wie auch Rendell selbst, wiederholt mit angesehenen Literaturpreisen ausgezeichnet. Die britische Zeitung The Guardian nahm im Jahr 2009 nicht weniger als fünf ihrer Romane und Thriller in die Liste der 1000 Romane auf, die jeder gelesen haben sollte.[2]
Ruth Rendell wurde 1930 als Ruth Barbara Grasemann in London geboren. Ihre Eltern waren beide Lehrer. Ihre Mutter, Ebbe Elise, war Schwedin, wuchs jedoch in Dänemark auf. Ihr Vater Arthur war dagegen Engländer. Arthur Grasemann hatte auf Grund der sehr begrenzten finanziellen Verhältnisse seiner Familie die Schule bereits mit 14 Jahren verlassen und eine Lehre in einer Werft absolviert. Er fand jedoch anschließend keine Stelle, setzte seine schulische Ausbildung fort und wurde schließlich Lehrer für Mathematik und Naturwissenschaften.[3] Ruth Rendell war das einzige Kind des Ehepaares. Ihre Mutter erkrankte kurz nach der Geburt der Tochter an Multipler Sklerose.
Rendell wuchs in South Woodford am nordöstlichen Stadtrand von London auf. Sie ging in Loughton, Essex zur Schule und arbeitete danach einige Zeit als Journalistin bei ihrer lokalen Zeitung, der Chigwell Times, und ab 1948 für den Essex Express and Independent.[4] Während der Arbeit für diese Zeitung lernte sie Donald Rendell kennen, der zu dem Zeitpunkt ebenfalls als Journalist für dieses Blatt tätig war. Sie heirateten und nach der Geburt ihres einzigen Sohnes war Rendell zehn Jahre lang Hausfrau. Parallel zu ihrer Hausarbeit begann sie in unterschiedlichen literarischen Gattungen zu schreiben. Sowohl ihre ersten Romane als auch ihre Kurzgeschichten fanden jedoch keinen Verleger. Rendell begann in den frühen 1960er Jahren an einem Kriminalroman zu arbeiten, weil ein Roman dieser literarischen Gattung aus ihrer Sicht die größte Chance bot veröffentlicht zu werden. Rendell selbst hatte kein besonderes Interesse an Kriminalromanen, auch wenn sie sich zu erinnern glaubte, als Mädchen Agatha Christie und Dorothy L. Sayers, zwei der bedeutenderen Vertreterinnen des sogenannten Goldenen Zeitalters des Whodunnit, gelesen zu haben.[5] Ein Lektor des Hutchinson-Verlages, den ihr Ehemann kannte, nahm sich des Romanes an. From Doon With Death (dt. Alles Liebe vom Tod), Rendells erster Kriminalroman um Detektive Inspector Reginald Wexford, erschien 1964. Rendell erhielt für den Roman £75.
Wexford wurde zum Protagonisten einer ganzen Reihe, die bis 2014 auf 24 Romane anwuchs und Rendell zu einer der erfolgreichsten Schriftstellerinnen Großbritanniens machte. Sie schrieb bis 2014 weitere 28 Kriminalromane ohne den Protagonisten Wexford und seit 1986 außerdem eine Reihe von Psychothrillern als Barbara Vine, einem Pseudonym, das zusammengesetzt ist aus ihrem Mittelnamen und dem Geburtsnamen ihrer Großmutter. Die Wahl eines zusätzlichen Pseudonyms hatte nie das Ziel, die wahre Identität der Autorin zu verschweigen, sondern wurde breit publiziert. Es sollte dem Leser eine Orientierungshilfe sein, welche Form von Roman er zu erwarten habe. Die unter dem Pseudonym Vine geschriebenen Romane weisen nur am Rande Elemente eines Kriminalromanes auf. Meistens setzen sie sich damit auseinander, dass Ereignisse der Vergangenheit weitreichende Auswirkungen auf die Romanprotagonisten haben. Anders als in den unter dem Namen Ruth Rendell publizierten Romanen und Kurzgeschichten konnte Rendell hier auf kriminalroman-typische Elemente wie Hinweise, Forensik, Zeugenbefragungen und gelegentlich sogar vollständig auf die Beschreibung einer polizeilichen Ermittlung verzichten.[6]
Rendell schirmte ihr Privatleben gegenüber der Öffentlichkeit konsequent ab. Bekannt ist, dass sie sich 1975 von ihrem Ehemann scheiden ließ. Die beiden heirateten jedoch Jahre später einander erneut.[7] Rendells Sohn lebt heute mit seiner Familie in den Vereinigten Staaten und ist dort als Psychotherapeut tätig. Das Ehepaar Rendell lebte lange Zeit im ländlichen Raum von Suffolk.[8] Rendell zog in ihrem Leben 18 Mal um.[7] Zuletzt wohnte und arbeitete Ruth Rendell wieder in London. Wie ihre 2014 verstorbene Freundin P. D. James war Rendell seit ihrer Erhebung in den Adelsstand 2007 Mitglied des Oberhauses.[9] Anders als P. D. James vertrat Rendell dort Positionen der Labour Party. Rendell interessierte sich immer für soziale Themen – dies belegen auch ihre jüngeren Romane. Simisola (dt. Die Besucherin, erschienen 1994), Road Rage (dt. Wer Zwietracht sät, erschienen 1997) und Harm done (dt. Das Verderben, erschienen 1999) setzen sich unter anderem mit den sozialen Folgen von Rassismus, mit Umweltverschmutzung und häuslicher Gewalt auseinander.
Arbeitsweise
Rendell faszinierten nach eigenem Bekunden die Verkettungen von Ereignissen, die aus einem eigentlich banalen Geschehen etwas mit unerwarteten Konsequenzen machen. In einem 1983 mit dem US-amerikanischen Herausgeber John C. Carr geführten Interview sagte Ruth Rendell:
„Ich sammle Zufälligkeiten im Leben von Menschen. Ja, tatsächlich, ich schreibe gerne über den Zufall, die Art von Zufall, die dazu führt, dass man nach links abbiegt statt nach rechts und wie dadurch der Lauf der Dinge verändert wird.“[10]
Rendell legt häufig bereits zu Beginn eines Romans Tat und Täter offen. So beginnt ihr Roman A Judgement in Stone (dt. Urteil in Stein, 1977) mit den Worten:
„Eunice Parchman ermordete die Familie Coverdale, weil sie nicht lesen oder schreiben konnte.“[11]
Ausgehend von diesem Satz schildert Rendell die Kette an Zufällen und Missverständnissen, die dazu führten, dass vier Personen ermordet wurden, während sie der Radioübertragung einer Opernaufführung lauschten. Typisch für die Kriminalromane Rendells ist jedoch auch, dass die Täter in irgendeiner Form einer Strafe zugeführt werden.
Rendell ist bekannt für ihre elegante und geschliffene Prosa und ihre scharfsinnige Beobachtung menschlicher Verhaltensweisen. Zusammen mit P. D. James gilt sie in England als eine der wichtigsten Vertreterinnen des psychologischen Krimis, bei dem nicht mehr wie in den klassischen Krimis die Suche nach dem Täter im Vordergrund steht, sondern der sich mit den Umständen und Beweggründen von Verbrechen auseinandersetzt. Viele von Ruth Rendells Romanen wurden verfilmt, unter anderem gibt es eine Fernsehserie mit Inspektor Wexford.
1997 wurde sie von Queen Elizabeth II. zu einem Life Peer ernannt und wählte den Titel Baroness Rendell of Babergh, of Aldeburgh im County Suffolk. Sie nahm einen Sitz für die Labour Party im britischen Oberhaus (House of Lords) ein.
1976 The Fallen Curtain, and other Stories (The Fallen Curtain / People Don’t Do Such Things / A Bad Heart / You Can’t Be Too Careful / The Double / The Venus Fly Trap / The Clinging Woman / The Vinegar Mother / The Fall of a Coin / Almost Human / Divided We Stand)
Der gefallene Vorhang und andere Geschichten. dt. von Ilse Bezzenberger. Ullstein, Berlin 1982, ISBN 3-548-10182-8.
auch als Hörbuch, gelesen von Tilo Werner und Martin Seifert. Audioverlag, Berlin 2004, ISBN 3-89813-364-8.
1979 Means of Evil, and other Stories (Means of Evil / Old Wives’ Tales / Ginger and the Kingsmarkham Chalk Circle / Achilles Heel / When the Wedding Was Over)
Die Wege des Bösen – Stories / Die Wege des Bösen / Altweibergeschichten / Ginger und der Kreidekreis von Kingsmarkham / Achillesferse / Als die Hochzeit vorbei war. dt. von Malte Krutzsch. Ullstein, Berlin 1980, ISBN 3-548-10071-6.
1982 The Fever Tree, and Other Stories of Suspense (The Fever Tree / The Dreadful Day of Judgement / A Glowing Future / An Outside Interest / A Case of Coincidence / Thornapple / May and June / A Needle for the Devil / Front Seat / Paintbox Place / The Wrong Category)
Der Fieberbaum – Kriminalkurzgeschichten – Der Fieberbaum / Der Tag des Jüngsten Gerichts / Eine glänzende Zukunft / Außerberufliches Interesse / Ein Fall von Koinzidenz / Stechapfel / May und June / Eine Nadel für den Teufel / Uferbank / Malkastenplatz / Die falsche Kategorie. dt. von Ilse Bezzenberger. Ullstein, Berlin 1985, ISBN 3-548-10299-9.
1985 The New Girl Friend, and other Stories (The New Girl Friend / A Dark Blue Perfume / The Orchard Walls / Hare’s House / Bribery and Corruption / The Whistler / The Convulvulus Clock / Loopy / Fen Hall / Father’s Day / The Green Road to Quephanda)
Die neue Freundin – Kriminalstories. dt. von Edith Walter. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 1986, ISBN 3-499-42778-8.
1991 The Copper Peacock and other Stories (A Pair of Yellow Lillies / Paperwork / Mother’s Help / Long Live the Queen / Dying Happy / The Copper Peacock / Weeds / The Fish-Sitter / An Unwanted Woman)
Stirb glücklich. dt. von Cornelia C. Walter. Goldmann, München, 1992, ISBN 3-442-41294-3.
1995 Blood Lines: Long and Short Stories (Blood Lines / Expectations / Shreds and Silvers / Lizzie’s Lover / The Carer / The Man who was the God of Love / Clothes / In All Honesty)
Lizzies Liebhaber. dt. von Cornelia Walter. Goldmann, München, 1996, ISBN 3-442-43308-8.
2000 Piranha to Scurfy, and other Stories (Piranha to Scurfy / Computer Seance / Fair Exchange / The Wink / Catamount / Walter’s Leg / The Professional / The Beach / The Astronomical Scarf / High Mysterious Union / Myth)
Kein Ort für Fremde. dt. von Cornelia C. Walter. Goldmann, München 2002, ISBN 3-442-45012-8.
2006 Collected Short Stories, Volume 1
2008 Collected Short Stories, Volume 2
Sachbücher
1989 Ruth Rendell’s Suffolk
1989 Undermining the Central Line: giving government back to the people (zusammen mit Colin Ward)
1995 The Reason Why: An Anthology of the Murderous Mind
Die englische Fernsehserie The Ruth Rendell Mysteries nach Romanen und Erzählungen von Ruth Rendell wurde mit insgesamt 82 50-Minuten-Episoden und einigen sogenannten „Specials“ – nämlich den Folgen ohne Inspector Wexford (mit Ausnahme der allerletzten Folge Harm Done) – zwischen 1987 und 2000 meist als Zwei- oder Dreiteiler in Großbritannien auf ITV ausgestrahlt; Rendell schrieb keines der Drehbücher; Wexford wurde gespielt von George Baker, der damit zu einem der großen britischen Fernsehstars der 1990er Jahre wurde. In Deutschland strahlte Vox 1994/95 unter dem Titel Inspektor Wexford ermittelt einige Episoden aus.
1987: Dead Lucky – ein ‚Special‘, Regie: Barbara Rennie – Verfilmung von Lake of Darkness
1987: Wolf to the Slaughter – Episoden 1 – 4, Regie: John Davies
1988: A Guilty Thing Surprised – dt. Blutsbande (1995) – Episoden 5 – 7, Regie: Mary McMurray
1988: An Affair in Mind – dt. Letzter Ausweg: Affäre – ein ‚Special‘, Regie: Colin Luke – Verfilmung von The Face of Trespass
1998: You Can’t Be Too Careful – Episode 81, Regie: Matthew Evans
1998: The Orchard Walls – Episode 82, Regie: Gwennan Sage
1999: The Lake of Darkness – ein ‚Special‘, Regie: Bruce McDonald
1999: The Fallen Curtain – ein ‚Special‘, Regie: Matthew Evans
2000: Harm Done – ein ‚Special‘, Regie: Bruce McDonald
Weitere Fernsehverfilmungen
1981: A Glowing Future – Fernsehfilm aus der Serie Tales of the Unexpected, USA, Regie: John Peyser (Drehbuch: Ross Thomas)
1985: People Don’t Do Such Things – Fernsehfilm aus der Serie Tales of the Unexpected, USA, Regie: Gordon Hessler (Drehbuch: Ross Thomas)
1989: Tree of Hands – Fernsehfilm, England, Regie: Giles Foster
1990: A Fatal Inversion – dt. Verhängnisvolles Erbe (1998) – Fernsehfilm, England, Regie: Tim Fywell
2003: No Night Is Too Long – Fernsehfilm, England / Kanada, Regie: Tom Shankland
Literatur
Martha Hailey Dubose: Women of Mystery – The Lives and Works of Notable Women Crime Novelists. Thomas Dunne Books, New York 2011, ISBN 978-0-312-27655-3.
↑Martha Hailey Dubose: Women of Mystery. S. 362. Im Original lautet das Zitat: I collect coincidendes in people’s lives. So, yes, I like to write about chance, the kind of chance that makes you go left instead of right and the whole course of things is changed.
↑Ruth Rendell: A Judgement in Stone. 1977, Erster Satz des Romans. Im Original lautet das Zitat: Eunice Parchmann killed the Coverdale family because she could not read or write.
↑www.buecher.de, aufgesucht am 25. Oktober 2019: „The Vault from Ruth Rendell (...), a sequel to A Sight for Sore Eyes“