Die Gesamtzahl der schwulen Männer, die in den Konzentrationslagern gequält und ermordet wurden, wurde von der historischen Forschung erst ab den 1970er Jahren seriös in den Blick genommen. Es konnten bis heute nur Schätzungen vorgelegt werden: Rüdiger Lautmann veranschlagte die Zahl der als Homosexuelle Verschleppten mit etwa 10.000 bei einer Todesrate von 50 bis 60 Prozent. Die Anzahl homosexueller Opfer insgesamt – also auch homosexueller Juden, Sinti und Roma, Kommunisten, Zeugen Jehovas usw. – entzieht sich der genauen Kenntnis.
Die meisten der späteren „Rosa-Winkel-Häftlinge“ wurden nach Verbüßung einer Gefängnisstrafe nach den §§ 175 oder 175a, manchmal aber auch, ohne dass sie gerichtlich verurteilt worden waren, von der Gestapo in Konzentrationslager verschleppt. Dabei wurde zwischen angeblich „Verführten“ und sogenannten „Verführern“ unterschieden. Während die „Verführten“ über die normale Strafverfolgung nach § 175 auf den ‚rechten Weg‘ kommen sollten, wollte man die „Verführer“ „aus der Volksgemeinschaft ausscheiden“. In einem Erlass vom 12. Juli 1940 stellte das Reichssicherheitshauptamt klar, dass „in Zukunft alle Homosexuellen, die mehr als einen Partner verführt haben, nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis in polizeiliche Vorbeugungshaft zu nehmen“ waren. Betroffen davon war fortan ein großer Teil, vermutlich bis zur Hälfte der Verurteilten.[1]
Nach 1945 blieb männliche Homosexualität in den meisten europäischen Ländern strafbar, in der Deutschen Demokratischen Republik bis 1950 und in der Bundesrepublik Deutschland galt sogar der von den Nationalsozialisten verschärfte § 175 StGB bis 1969. Der § 175 wurde 1994 endgültig aus dem deutschen Strafgesetzbuch gestrichen. Eine Rehabilitierung schwuler NS-Opfer wurde am 6. Dezember 2000 vom Deutschen Bundestag eingeleitet[2]. 2002 hob der Bundestag die NS-Urteile gegen Homosexuelle auf.
Der US-amerikanische Dokumentarfilm Paragraph 175 ließ im Jahr 2000 Überlebende zu Wort kommen. Rudolf Brazda, gestorben 2011, galt als letzter überlebender Häftling mit dem Rosa Winkel.
Ausgewählte mit dem rosa Winkel inhaftierte Personen
Der Rosa Winkel entwickelte sich seit den 1970er Jahren zu einem internationalen Symbol der Schwulenbewegung. Der 1975 gegründete deutsche Verlag Rosa Winkel kam so zu seinem Namen. Holger Mischwitzky ließ sich zu seinem Künstlernamen Rosa von Praunheim anregen.
In den USA fand er v. a. als Zeichen der HIV/AIDS-Aktivismusgruppe Act Up mit ihrem Spruch „Silence = Death“ Verbreitung. Dort war er um 180 Grad gedreht, um die Hoffnung auf einen besseren Umgang mit AIDS in naher Zukunft auszudrücken. Die 1978 in den USA entworfene Regenbogenfahne setzte sich in Europa ab den 1990er Jahren durch und hat den Rosa Winkel als bevorzugtes Symbol der LGBT/LSBTTIQ-Bewegung abgelöst.
Rüdiger Lautmann, Winfried Grikschat, Egbert Schmidt: Der rosa Winkel in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern. S. 325 ff. In: Rüdiger Lautmann: Seminar Gesellschaft und Homosexualität. Frankfurt am Main 1977.
Daniel Schuch, Jens-Christian Wagner (Hrsg.): Rosa Winkel. Als homosexuell verfolgte Häftlinge in den Konzentrationslagern Buchenwald und Mittelbau-Dora. Weimar 2023. ISBN 3-935598-31-9.
Andreas Sternweiler: Und alles wegen der Jungs. Pfadfinderführer und KZ-Häftling: Heinz Dörmer. Berlin 1994. ISBN 3-86149-030-7.
Hans-Georg Stümke, Rudi Finkler: Rosa Winkel, Rosa Listen. Homosexuelle und „Gesundes Volksempfinden“ von Auschwitz bis heute. Rowohlt, Hamburg 1981. ISBN 3-499-14827-7.
Alexander Zinn: Das Glück kam immer zu mir. Rudolf Brazda – Das Überleben eines Homosexuellen im Dritten Reich. Campus, Frankfurt am Main 2011. ISBN 978-3-593-39435-0.
Alexander Zinn: „Aus dem Volkskörper entfernt“? Homosexuelle Männer im Nationalsozialismus. Campus, Frankfurt am Main 2018, ISBN 978-3-593-50863-4.
Thomas Klug: Liebe in Zeiten des Kriegs. Der Psychologe und Pädagoge Gad Beck erinnert sich an seine Jugend. In: Berliner Zeitung. 20. Juli 1995, abgerufen am 7. September 2015.
KZ-Winkel eines Rosa-Winkel-Häftlings Bild einer an der Kleidung getragenen Häftlingsnummer mit Rosa Winkel, United States Holocaust Memorial Museum Collection. In: Bettina Steiner: Sex-Ausstellung: Jugendverbot im Wien Museum, diepresse.com, 14. September 2016, abgerufen am 28. Oktober 2018 (Bild 12/14).
Einzelnachweise
↑Alexander Zinn: „Aus dem Volkskörper entfernt?“ S. 309–320.
↑Abgeordneten Alfred Hartenbach, Margot von Renesse, Wilhelm Schmidt (Salzgitter), Dr. Peter Struck und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Irmingard Schewe-Gerigk, Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss). In: Deutscher Bundestag (Hrsg.): Drucksache. Band14/4894. Berlin 2000 (bundestag.de [PDF]).