Der Schutz der Privatsphäre ist im deutschenGrundgesetz aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG)[3] abzuleiten. Das besondere Persönlichkeitsrecht dient dem Schutz eines abgeschirmten Bereichs persönlicher Entfaltung. Dem Menschen soll dadurch ein spezifischer Bereich verbleiben, in dem er sich frei und ungezwungen verhalten kann, ohne befürchten zu müssen, dass Dritte von seinem Verhalten Kenntnis erlangen oder ihn sogar beobachten bzw. abhören können. Durch die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) und durch das Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG) wird der Schutzbereich konkretisiert. Die Ausnahmen hiervon (Abhören von Telefongesprächen und Wohnungen) werden als Lauschangriff bezeichnet und sind ebenfalls gesetzlich geregelt.
Die Privatsphäre kann in die folgenden Bereiche aufgeteilt werden:
Der Schutz personenbezogener Daten ist in Deutschland im Landesrecht verankert (nicht im Grundgesetz selbst; siehe Datenschutz)
Die Unverletzlichkeit der Wohnung: laut Art. 13 GG dürfen Wohnungsdurchsuchungen nur von Richtern oder bei Gefahr im Verzug von in Gesetzen vorgesehenen anderen Organen angeordnet werden.
Schweiz
In der Schweiz existiert ein Grundrecht auf Privatsphäre. Die Privatsphäre wird durch generelle Normen Art. 13 der Bundesverfassung (Schutz vor staatlichen Eingriffen) und Art. 28 Zivilgesetzbuch (Schutz vor privaten Übergriffen) sowie durch einige Spezialnormen geschützt. Sie kann nur durch ein überwiegendes öffentliches Interesse und eingeschränkt werden; jedweder Eingriff muss verhältnismäßig sein.
Vereinigte Staaten von Amerika
Auch in den Vereinigten Staaten von Amerika hat Privatsphäre (Privacy) eine lange Tradition, die sich aus dem 4. Zusatzartikel der Verfassung ableitet. Der TerminusPrivacy wurde, 1890 von dem späteren Richter Louis Brandeis und dem Schriftsteller und Rechtsanwalt Samuel D. Warren im Artikel The Right to Privacy im Harvard Law Review (Jahrgang 4, Nr. 5), als the right to be let alone definiert, also als das Recht, in Ruhe gelassen zu werden.
Neue Technologien haben dazu geführt, dass heute ein Verlust an Privatsphäre durch viele moderne „Errungenschaften“ wie z. B. Mobiltelefone, Bankomatkarten und Kreditkarten zu beklagen ist. Oft ist es kaum möglich, den nahezu omnipräsenten Überwachungstechnologien zu entgehen. In diesem Zusammenhang werden folgende Beispiele genannt:
Viele Internetdienste und Technologien konvergieren, wobei die vergleichsweise strikten europäischen Standards oft durch ausländische Firmen umgangen werden. Beispielsweise erlauben es viele Nutzer von sozialen Netzwerken wie Facebook, ihr E-Mail-Konto oder IPhone zu durchsuchen, um Freunde und Bekannte automatisch zu finden. Käufe bei Amazon können automatisch dem Facebook-Freundeskreis empfohlen werden. Software erlaubt es inzwischen, Handy-Fotos automatisch mit Profilen aus sozialen Netzwerken zu verknüpfen.[5] Für den Zugang zu sehr vielen Bereichen, auch zu behördlichen Diensten wie der Bundesagentur für Arbeit, wird eine E-Mail-Adresse benötigt.
Internetdienstleister gehen zunehmend dazu über, persönliche Daten von Benutzern mit solchen zu verknüpfen, die diese nicht selber eingegeben haben. Dabei helfen erhebliche theoretische und technische Fortschritte in dem Bereich des Data-Mining, die in den letzten Jahren gemacht wurden. Beispielsweise wurde berichtet, dass das Online-Versandhaus Amazon in Deutschland die Bestellung eines Mannes stornierte, weil für den Freund von dessen volljähriger, nicht mehr bei den Eltern lebender Tochter ein Zahlungsrückstand gespeichert war.[6] Die Legalität derartiger Datenverknüpfungen ist rechtlich bisher nur unzureichend geregelt.
Wolfgang Sofsky schreibt, dass nicht nur viele Unternehmen das Idealbild des gläsernen Bürgers haben, sondern auch der Staat. Der Verdacht des Staates gegen seine Bürger sei nie und nimmer auszuräumen. Für den Sicherheitsapparat sei die Offene Gesellschaft eine Ansammlung finsterer Gestalten, jedes Gehirn eine Quelle schwarzer Gedanken. Anonyme Daten über Geburtenrate, Freizeitverhalten oder Verkehrsaufkommen erscheinen harmlos, können aber jederzeit kombiniert und einem Individuum zugeordnet werden. Die Vernetzung der Daten ist nicht auf dieses beschränkt – der Staat wolle die sozialen Netzwerke erfassen, er wolle wissen welche Verbindungen zwischen den Gruppen, Gemeinschaften, Sekten und Zellen bestehen.[7]
Im Mittelalter konnten sich nur wenige Adelige und reiche Bürger ein privates Leben erlauben, in das niemand Einblick hatte (siehe auch Kemenate). Die meisten mussten sich ein Schlafzimmer, eine Küche und ein Wohnzimmer miteinander teilen. In den Bauernhöfen lebten und schliefen die Leute manchmal mit dem Vieh unter einem Dach; es kam vor, dass die Knechte und Mägde im Stall schliefen.
Eine besondere Privatsphäre hatten die Mönche, wenn sie sich in ihrer Freizeit etwas zurückziehen konnten. Allerdings war der Rückzug ins Kloster meist religiös bedingt, wobei unter diesen Bedingungen mit dem Begriff „privat“ meist etwas anderes als heutzutage verstanden wurde. Als technischen Katalysator der Entwicklung sehen Kulturhistoriker die Entwicklung des Schornsteins, der es ermöglichte, mehrere Räume gleichzeitig zu beheizen und Rückzugsräume für einzelne Personen innerhalb des Hauses zu schaffen.[8]
Aber auch Wirtschaft und Werbung stellen mit Scoring- (Schufa), Marktforschungs-Maßnahmen und Konsumenten-Profiling für Kritiker eine zunehmende Bedrohung von Privatsphäre dar.[11][12] Adressenhandel, Spam oder Phishing konstituieren einen neuen Graubereich zwischen legalen Belästigungen und betrügerischer Kriminalität.[13] Einige Cracker vermögen über das Internet in staatliche und Unternehmens-Datenbanken oder private Computer einzudringen und erhalten so teils Einblick in intimste Daten.[14]
Facebook-Chef Mark Zuckerberg sagte 2010 zunächst, Privatsphäre sei „nicht länger eine soziale Norm“.[15] Nach dem Datenskandal um die Analysefirma Cambridge Analytica verkündete Zuckerberg jedoch eine „Privatsphäre-fokussierte Vision für soziale Netzwerke“.[16]
In seinem Buch über den Great Reset prognostiziert Klaus Schwab eine Zukunft, in der der Mensch durch eine Kombination von KI, Internet der Dinge und Wearable Computing gesundheitlich überwacht und die Grenze zwischen öffentlichen und persönlich gestalteten Gesundheitssystemen verwischt wird.[17]
Literatur
Helmut Bäumler (Hrsg.): E-Privacy. Datenschutz im Internet. Vieweg, Braunschweig/ Wiesbaden 2000, ISBN 3-528-03921-3.
David Brin: The Transparent Society. Will Technology Force Us to Choose Between Privacy and Freedom? Perseus Publishing, Reading, MA 1998, ISBN 0-7382-0144-8.
Rafael Capurro: Ethik für Informationsanbieter und -nutzer. In: Anton Kolg u. a.: Cyberethik. Verantwortung in der digital vernetzten Welt. Kohlhammer, Stuttgart/ Berlin/ Köln 1998.
John Gilliom: Overseers of the Poor. Surveillance, Resistance, and the Limits of Privacy. Chicago University Press, Chicago/ London 2001, ISBN 0-226-29361-0.
Ralf Grötker (Hrsg.): Privat! Kontrollierte Freiheit in einer vernetzten Welt. Heise Zeitschriften Verlag, Hannover 2003, ISBN 3-936931-01-1.
Maximilian Hotter: Privatsphäre. Der Wandel eines liberalen Rechts im Zeitalter des Internets. Campus Verlag, Frankfurt am Main / New York 2011, ISBN 978-3-593-39407-7.
Frederick S. Lane: The Naked Employee. How Technology is Compromising Workplace Privacy. AMACOM, New York u. a. 2003, ISBN 0-8144-7149-8.
Adrian Lobe: Speichern und Strafen. Die Gesellschaft im Datengefängnis. Verlag C.H. Beck, München 2019, ISBN 978-3-406-74179-1.
Karden D. Loch, Sue Conger, Effy Oz: Ownership, Privacy and Monitoring in the Workplace: A Debate on Technology and Ethic. In: Journal of Business Ethics. 17, 1998, S. 653–663.
Michael Nagenborg, Privatheit unter den Rahmenbedingungen der IuK-Technologie. VS Verlag, Wiesbaden 2005, ISBN 3-531-14616-5.
Vance Packard: Die wehrlose Gesellschaft. Knaur, 1970.
Peter Schaar: Das Ende der Privatsphäre. Der Weg in die Überwachungsgesellschaft. 1. Auflage. C. Bertelsmann, München 2007, ISBN 978-3-570-00993-2.
Herman T. Tavani: Ethics & Technology. Ethical Issues in an Age of Information and Communication Technology. John Wiley & Sons, 2004, Kap. 5: Privacy and Cyberspace.ISBN 0-471-45250-5.
M. J. van den Hoven: Privacy or Information Injustice? In: Lester J. Pourciau (Hrsg.): Ethics and Electronic Information in the Twenty-First Century. Purdue University Press, West Lafayette 1999.
Reg Whitaker: The End of Privacy. How Total Surveillance is becoming a Reality. The New Press, New York 1999, ISBN 1-56584-569-2.
↑Abbestellt. Sippenhaftung bei der Bonitätsprüfung von Amazon. In: c't Magazin für Computertechnik. Heise Verlag, Heft Nr. 1, 21. Dezember 2009, S. 66–67.
↑Wolfgang Sofsky: Verteidigung des Privaten. Eine Streitschrift. Bonn 2007, S. 119 f.
↑Bobbie Johnson, Las Vegas: Privacy no longer a social norm, says Facebook founder. In: The Guardian. 11. Januar 2010, ISSN0261-3077 (theguardian.com [abgerufen am 2. Oktober 2019]).