Gerster, der Sohn eines Nervenarztes und einer Pianistin, erhielt zunächst Violin- und Klavierunterricht. 1913 begann er ein Studium am Dr. Hoch’s Konservatorium in Frankfurt, u. a. bei Bernhard Sekles (Improvisation) und Adolf Rebner (Violine). Dort machte er auch die Bekanntschaft mit Paul Hindemith. In den Jahren 1916 bis 1918 musste er seine Studien vorübergehend unterbrechen, da er zum Militärdienst einberufen wurde, doch 1920 konnte er sie erfolgreich abschließen. Ab 1921 war Gerster im Frankfurter Sinfonieorchester tätig, zunächst als Konzertmeister, von 1923 bis 1927 als Solobratschist. In den 1920er Jahren schloss sich Gerster der Arbeiterbewegung an und betreute Arbeitergesangsvereine. Von 1927 bis 1947 wirkte er als Dozent für Violine, Viola, Kammermusik, Musiktheorie und Komposition an der Folkwangschule in Essen.
Zeit in der NS-Diktatur
Während der Zeit des Nationalsozialismus komponierte er zu regimetreuen Texten, wie 1933 einen Weihespruch und einen Kampfchoral der Deutschen ChristenIhr sollt brennen auf einen Text von Baldur von Schirach,[1] oder 1936 das Volksspiel Die fremde Braut sowie das Chorlied Deutsche Flieger voraus.[1] Im Jahre 1939 musste er für kurze Zeit Wehrdienst als Straßenbausoldat leisten. 1940 komponierte er auf einen eigenen Text das Lied der Essener Straßenbaukompanien.[2] 1941 erlebte seine Oper Die Hexe von Passau ihre Uraufführung in Düsseldorf, weitere Aufführungen folgten unmittelbar in Bremen, Magdeburg, Essen und Liegnitz. Für diese Oper wurde er im selben Jahr mit dem Robert-Schumann-Preis der Stadt Düsseldorf ausgezeichnet. 1943 erhielt er durch die Reichsstelle für Musikbearbeitung einen mit 50.000 RM verbundenen staatlichen Auftrag zur Komposition seiner Oper Rappelkopf[3] (später dann Das verzauberte Ich). In der Endphase des Zweiten Weltkriegs nahm ihn Adolf Hitler im August 1944 in die Gottbegnadeten-Liste der in seinen Augen wichtigsten Komponisten auf, was ihn von jeglichem weiteren Kriegseinsatz, auch an der Heimatfront befreite.[3]
Zeit in der DDR-Diktatur
Nach 1945 stand Gerster auf den „Schwarzen Listen“ der US-Militärregierung, blieb aber weiterhin als Dozent in Essen tätig.[4] 1946 wurde er Mitglied der SED. 1947 nahm Gerster eine Professur für Komposition an der Musikhochschule in Weimar an. Dort wirkte er bis 1951, seit 1948 als Direktor. Am 12. Oktober 1949 wurde ihm und Hanns Eisler, der von Johannes R. Becher geschriebene Text der DDR-Nationalhymne zur Vertonung zugesand. Hanns Eislers Version wurde ausgewählt.[5][6][7] 1950 war er Gründungsmitglied der Deutschen Akademie der Künste in Berlin. 1951 wechselte er an die Hochschule für Musik in Leipzig, wo er bis zu seiner Emeritierung 1962 blieb. Von 1951 bis 1968 war Gerster Vorsitzender des Verbandes der Komponisten und Musikwissenschaftler der DDR.[8] Ein besonders erfolgreiches Werk von Gerster war die zum hundertjährigen Jubiläum der Revolution von 1848 von Gerster verfasste Festouvertüre 1948. Das offiziell als Werk von „hoher sozialistischer Qualität“ gelobte Werk[9] beginnt mit dem Kampflied Die Internationale, auf welches die Marseillaise und zahlreiche Arbeiterhymnen folgen. Das musikalisch überaus einfach und im Sinne der sozialistischen Kunstauffassung „leicht fasslich“ und „volkstümlich“ gehaltene Werk wurde anlässlich der 1. Kulturtagung der SED vom 5. bis 7. Mai 1948 uraufgeführt und zählt zu den am häufigsten aufgeführten Kompositionen in der DDR.[10]
Stil
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Gerster war ein relativ traditioneller Komponist. Er bewegt sich stets im Rahmen der erweiterten Tonalität, wobei er häufig Kirchentonarten verwendete. Seine Harmonik baut wesentlich auf Quinten und Quarten auf. Auch die Form seiner Werke orientiert sich an klassischen Schemata (wie der Sonatenform). Er fühlte sich zeitlebens mit dem Volkslied verbunden und benutzte teilweise originale Volksweisen in seinen Werken. Außerdem fällt eine Betonung auf dem „Handwerklichen“ in seiner Tonsprache auf. Gerster orientierte sich schon früh an Ansprüchen einer Musik für Massen, sodass er in der DDR keine Probleme hatte, die (zumindest Anfang der 1950er Jahre geforderten) „Richtlinien des Sozialistischen Realismus“ zu befolgen. Häufig fällt ein gewisser neoklassisizistischer Einschlag auf, aber auch großes Pathos ist Gerster keineswegs fremd. Teilweise ähnelt sein Stil dem seines Studienkollegen Hindemith.
Für modernere Verfahren wie die Zwölftontechnik interessierte sich Gerster kaum; letztere hat er nie in seinen Werken eingesetzt, sondern nur in Einzelfällen (wie in der Einleitung des Finales seiner dritten Sinfonie) Melodien komponiert, die aus allen zwölf Tönen der chromatischen Skala bestehen, doch selbst dies blieb die Ausnahme in seinem Schaffen. Während sich Gerster zu Lebzeiten ungemeiner Popularität erfreute – er zählte zu den wichtigsten Komponisten der ersten zwei Jahrzehnte der DDR –, wurde er später so gut wie vergessen.
Politische Kritik
Der Musikwissenschaftler Friedrich Geiger beurteilt Gersters Wirken in der DDR als einen reibungslos vollzogenen doppelten Seitenwechsel vom Komponisten der Arbeiter zum NS-Komponisten und schließlich zum Vorzeigemusiker der DDR. Ein gemeinsamer Nenner sei der appellative Charakter seiner Musik, dessen politische Inhalte schlicht ausgetauscht wurden.[11]
(die meisten Werke wurden bei B. Schott’s Söhne, Mainz verlegt)
Sonstiges
Die öffentliche Musikschule Weimar trug von 1975 bis 2016 den Namen Ottmar Gersters.[12]
Literatur
Hans Bitterlich: Ottmar Gerster. In: Dietrich Brennecke, Hannelore Gerlach, Mathias Hansen (Hrsg.): Musiker in unserer Zeit. Mitglieder der Sektion Musik der Akademie der Künste der DDR. Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1979, S. 48 ff.
Rainer Malth: Ottmar Gerster. Leben und Werk, Edition Peters, Leipzig 1988, ISBN 3-369-00043-1.
↑ abFred K. Prieberg: Handbuch Deutsche Musiker 1933–1945. CD-ROM-Lexikon, Kiel 2009, 2. Auflage, S. 2192f
↑Fred K. Prieberg: Handbuch Deutsche Musiker 1933–1945. CD-ROM-Lexikon, Kiel 2009, 2. Auflage, S. 2194
↑ abErnst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-10-039326-5, S. 181.
↑Fred K. Prieberg: Handbuch Deutsche Musiker 1933–1945. CD-ROM-Lexikon, Kiel 2009, 2. Auflage, S. 2191.
↑Anne-Kristin Schmidt: Musik als Werkzeug der Indoktrination: am Beispiel der Festouvertüre 1948 von Ottmar Gerster und dem Mansfelder Oratorium von Ernst Hermann Meyer, Are-Musik-Verlag, 2009, S. 62
↑Friederike Wißmann: Deutsche Musik, Berlin Verlag, 2015, S. 279 und 280. Vgl. zu den Wendemanövern auch: Jörg Fligge: „Schöne Lübecker Theaterwelt.“ Das Stadttheater in den Jahren der NS-Diktatur. Lübeck: Schmidt-Römhild, 2018. ISBN 978-3-7950-5244-7. S. 520f., zu Gerster: S. 150–152.