Ethnisch gesehen waren die meisten Betroffenen Ukrainer, Polen, Belarussen und Russen. Seit Juni 1941, dem Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion, war die Wehrmacht auf das Territorium der Sowjetunion vorgedrungen. In den besetzten Gebieten begann die Zivilverwaltung der Reichskommissariate, Arbeitskräfte für die deutsche Industrie anzuwerben und zu verschleppen. Um sie ohne weiteres von anderen Zwangsarbeitern unterscheiden zu können, mussten Ostarbeiter einen fest mit der Kleidung verbundenen Aufnäher mit der Aufschrift „OST“ tragen, während Arbeiter aus dem Generalgouvernement einen Aufnäher mit dem Buchstaben „P“ (Polen) tragen mussten.
Die Hilfswilligen (HiWi) im Dienst der deutschen Wehrmacht erhielten zur Unterscheidung zusätzlich einen Ärmelstreifen und gewisse Privilegien, vor allem dieselben Ernährungsrationen wie Deutsche.
Nach ihrer Befreiung durch die Westalliierten der Anti-Hitler-Koalition wurden die meisten Ostarbeiter 1945 als so genannte Displaced Persons (DPs) zunächst in DP-Lagern untergebracht. Auf sowjetischen Druck hin repatriierten die West-Alliierten sie in die Sowjetunion. Dort kamen viele von ihnen in das Lagersystem des Gulag, weil man sie wegen ihres Aufenthaltes im deutschen Machtbereich der Kollaboration mit dem Feind und der Spionage beschuldigte. Aus Scham und Angst vor Ausgrenzung verschwiegen deshalb viele, dass sie Ostarbeiter gewesen waren. Knapp 20 Prozent der zurückgekehrten Ostarbeiter wurden zur Roten Armee einberufen.[2]
Ostarbeiter im nationalsozialistischen Recht
Ostarbeiter war eine Einstufung für „fremdvölkische“, d. h. nicht-deutsche Zivilarbeiter. Diese wurden durch die Deutsche Volksliste in vier hierarchisch gegliederte Stufen eingeteilt. Dabei wurde eine große Zahl von Menschen „eingedeutscht“, die bis 1939 polnische Staatsbürger waren. Im Prozess Rasse- und Siedlungshauptamt der SS, der von einem amerikanischen Militärgericht 1947 und 1948 im Rahmen der Nürnberger Prozesse geführt wurde, wurde dieses System der gestaffelten Einbürgerung fremder Staatsbürger über die Deutsche Volksliste als Verbrechen geahndet. Eine fünfte Hierarchiestufe waren die Ausländer bzw. „Fremdvölkischen“, zu denen auch alle Juden und Sinti und Roma (sog. Zigeuner) deutscher Staatsangehörigkeit zählten. Diese fünfte Stufe war ihrerseits wieder in sechs verschiedene Gruppen aufgeteilt, die in rechtlicher Hinsicht in unterschiedlichem Ausmaß diskriminiert wurden. Der untersten Gruppe gehörten Juden sowie Sinti und Roma an, die ab 1941/1942 im Holocaust bzw. Porajmos gezielt vernichtet wurden. Ostarbeiter waren die zweitunterste Gruppe und galten in der Sprache des Nationalsozialismus als „Untermenschen“.[2]
„Ostarbeitererlass“
Nach dem Angriff auf die Sowjetunion kamen in den Allgemeinen Bestimmungen über Arbeitskräfte aus den besetzten Gebieten im Osten von 1942, auch „Ostarbeitererlass“ genannt, vom 20. Februar 1942 nach dem Vorbild der Polen-Erlasse schärfer gefasste Bestimmungen für sowjetische Kriegsgefangene und Zivilarbeiter hinzu.[3] Zu den Erlassen wurden schriftliche Anordnungen an die lokalen Verwaltungs- und Polizeistellen sowie die Betriebsführer herausgegeben.
Die „Ostarbeitererlasse“ enthielten folgende Bestimmungen:
Verbot, den Arbeitsplatz zu verlassen
Verbot, Geld und Wertgegenstände zu besitzen
Verbot, Fahrräder zu besitzen
Verbot, Fahrkarten zu erwerben
Verbot, Feuerzeuge zu besitzen
Kennzeichnungspflicht: ein Stoffstreifen mit der Aufschrift „Ost“ musste gut sichtbar auf jedem Kleidungsstück befestigt werden
Verbot jeglichen Kontakts mit Deutschen, selbst der gemeinsame Kirchenbesuch war verboten[4]
Gesonderte Unterbringung der Ostarbeiter, nach Geschlechtern getrennt
Bei Nichtbefolgen von Arbeitsanweisungen bzw. Widersetzlichkeiten drohte die Einweisung in ein Arbeitserziehungslager, die Bedingungen in diesen Lagern ähnelten denjenigen eines Konzentrationslagers
Strenges Verbot des Geschlechtsverkehrs mit Deutschen, darauf stand zwingend die Todesstrafe
Seit dem Winter 1941/42 hatte sich das Scheitern des bisherigen Feldzugsplans abgezeichnet. Nachdem bis Anfang 1942 bereits eine in die Millionen gehende Zahl sowjetischer Kriegsgefangener im deutschen Gewahrsam zugrunde gegangen bzw. ermordet worden war, war man nun dringend auf Arbeitskräfte aus der Sowjetunion angewiesen. Die bisherige Kennzeichnung „Ost“ wurde geändert. „In Anerkennung ihrer Mitarbeit im Kampf gegen die jüdisch-bolschewistische Weltgefahr“ erhielten die Ostarbeiter stattdessen ein Volkstumsabzeichen, einen ovalen Sonnenblumenkranz mit Andreaskreuz, Georgskreuz, Ähre samt Zahnrad und anderen.[5] Dies sollte eine Art gesellschaftlichen Aufstieg verdeutlichen. „Der ‚Untermensch‘ war zum Bürger ernannt worden!“[6]
Ostarbeitersparen
Ausländische Arbeiter in Deutschland hatten die Möglichkeit, sich Postsparbücher ausstellen zu lassen, Ostarbeiter wurden davon ausgeschlossen. Devisenrechtlich war es ihnen verboten, Reichsmark in ihr Heimatland mitzunehmen. 1942 wurde eine besondere Form des „Ostarbeitersparens“ eingeführt, das Arbeitskräften aus der Ukraine, Weißruthenien und den neu besetzten Ostgebieten offenstand. Sie erhielten Karten, auf die sie Wertmarken kleben und die sie an ihre Verwandten schicken konnten, die dann die Hälfte des Sparbetrags abheben und in die jeweilige Währung tauschen konnten. Innerhalb des Deutschen Reiches war keine Abhebung möglich. Die andere Hälfte sollten die Arbeitskräfte selbst nach ihrer Rückkehr bekommen können. Am 27. September 1944 wurde die Auszahlung in den Heimatländern verboten. Gleichzeitig sollten die Ostarbeiter auf Verlangen der NSDAP-Parteikanzlei München verstärkt sparen. Die Zentralwirtschaftsbank der Ukraine erhielt allerdings die Möglichkeit, „im Bedarfsfall“ Auszahlungen an Ostarbeiter vorzunehmen.[7]
Entschädigungszahlungen
Durchschnittlich erhielten ukrainische Ostarbeiter, die in der deutschen Industrie gearbeitet hatten, als Entschädigung eine Einmalzahlung von 650 D-Mark von der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“. Diese Stiftung war jedoch erst Ende der 1990er Jahre durch die Bundesrepublik Deutschland eingerichtet worden, nachdem Holocaustüberlebende mit Sammelklagen gegen Banken, Versicherungen und Industrieunternehmen gedroht hatten.[2]
Thomas Schiller: NS-Propaganda für den „Arbeitseinsatz“. Lagerzeitungen für Fremdarbeiter im Zweiten Weltkrieg: Entstehung, Funktion, Rezeption und Bibliographie. LIT Verlag, Hamburg 1997, ISBN 3-8258-3411-5.
Ulrich Herbert: Fremdarbeiter. Politik und Praxis des „Ausländer-Einsatzes“ in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches. Verlag Dietz, Bonn 1999, ISBN 3-8012-5028-8.
Im Totaleinsatz: Zwangsarbeit der tschechischen Bevölkerung für das Dritte Reich, Dokumentation und Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit Berlin-Schöneweide, Prag/Berlin 2008, ISBN 978-80-254-1799-7.
Erinnerung bewahren: Sklaven- und Zwangsarbeiter des Dritten Reiches aus Polen 1939–1945. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Dokumentationszentrum Berlin-Schöneweide. Warschau/Berlin, 2007, ISBN 978-83-922446-0-8.
Kartsen Linne, Florian Dierl (Hrsg.): Arbeitskräfte als Kriegsbeute. Der Fall Ost- und Südosteuropa. Metropol Verlag, Berlin 2011, ISBN 978-3-86331-054-7.
Natascha Wodin: Sie kam aus Mariupol. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2017 (besonders der Dritte und Vierte Teil, S. 245–358).
↑ abcLaura Große, Laura Klar, Sophia Sailer, Sophie Tiedemann: (S+) Zweiter Weltkrieg: Als die Nazis ukrainische Jugendliche nach Deutschland verschleppten. In: Der Spiegel. 15. Mai 2023, ISSN2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 15. Mai 2023]).
↑Quelle und Zitat aus: Alexander Dallin: Deutsche Herrschaft in Russland 1941–1945. Königstein 1981 (unv. Nachdruck von 1958), ISBN 3-7610-7242-2, S.?
↑Oliver Rathkolb: Zwangsarbeiter in der Industrie. In: Bernhard Chiari [u. a.]: Die deutsche Kriegsgesellschaft 1939 bis 1945 – Ausbeutung, Deutungen, Ausgrenzung. Im Auftrag des MGFA hrsg. von Jörg Echternkamp. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 2005, Bd. 9/2, ISBN 978-3-421-06528-5, S. 697 f.