Für die osmanische Regierung war es im Ersten Weltkrieg extrem wichtig, die den Briten gegenüberliegenden Garnisonen im Grenzgebiet zum Sultanat Ägypten auf dem Landweg zu versorgen. Osmanische Stoßrichtung war der Sueskanal. Dieser sollte für die Royal Navy unbenutzbar gemacht werden, um die Verbindung zwischen Britannien, dem Persischen Golf, Britisch-Indien und Ostafrika zu unterbrechen. Weiter mussten osmanische Truppen und Versorgungsgüter aus der Türkei an die Front gebracht werden, da die britische Flotte die absolute Seeherrschaft im östlichen Mittelmeer besaß und jeden Nachschub in die Levante über See unterband.
Eine durchgehende Eisenbahnverbindung zwischen der Türkei und Palästina konnte vor und während des Ersten Weltkriegs jedoch nicht hergestellt werden. Die Reisezeit für Truppenverstärkungen zwischen Istanbul und der Sinai- und Palästinafront betrug zwischen vier und sechs Wochen. Befestigte Straßen gab es kaum und Straßenverkehr war auf den existierenden Wegen während der Regenzeit im Winter nicht möglich. Truppen und Güter mussten mehrfach umgeladen werden, bevor sie die Front erreichten. Vom südlichen Endpunkt der Bahn in Palästina, von Silat eẓ-Ẓahr, mussten die Truppen zu Fuß über Jerusalem, Hebron und Beʾer Scheva zur Front marschieren. Der Nachschub wurde mit Kamelkarawanen befördert. Die unterschiedliche Spurweite der bestehenden Eisenbahnteilstücke zwischen der Türkei, Syrien und Palästina waren ein zusätzliches Problem.
Die osmanischen Truppen rückten von Beʾer Scheva am 14. Januar 1915 ab und erreichten die britischen Stellungen am Kanal am 3. Februar 1915. Dieser Angriff auf den Sueskanal scheiterte – auch wegen der schlechten Infrastruktur auf osmanischer Seite. Die Hedschasbahn war den Anforderungen am Anfang gewachsen, ausreichende Bestände an Kohle, Öl und Betriebsmitteln waren vorhanden. Es verkehrten täglich 9 Militärzüge, der öffentliche Verkehr war eingestellt. Beim Rückzug aus dem Angriff auf den Sueskanal im März 1915 gingen jedoch die Kohlevorräte der Bahn ihrem Ende zu.
Strecken
Spurweite 1050 mm
Um diese logistischen Schwierigkeiten zu beheben, wurde mit größtmöglicher Geschwindigkeit die Eisenbahn nach Süden vorangetrieben. Ausgangspunkt war eine Zweigstrecke der Jesreʾeltalbahn, die Bahnstrecke Afula–Nablus in den Bergen Samariens (daher auch Samarienbahn), der damals am weitesten südlich reichenden Bahnstrecke der Hedschasbahn in Palästina, die beim Ausbruch des Krieges bis Silat eẓ-Ẓahr befahrbar war. Es handelte sich um eine Strecke aus dem Netz der Hedschasbahn in der Spurweite 1050 mm.
Am 15. Januar 1915 begannen die Arbeiten, um die Bahn nach Süden voranzutreiben. Der kommandierende General, Cemal Pascha, versicherte sich dazu der Hilfe von Heinrich August Meißner Pascha, der dafür von der Bagdadbahnbaugesellschaft freigestellt wurde. Die Bahn wurde von Silat eẓ-Ẓahr südwärts zum unterhalb des Patriarchenweges (heute Landstraße 60) an der Samarienbahn einsam gelegenen Bahnhof al-Maṣʿūdiyya weitergeführt.
Al-Maṣʿūdiyya ostwärts verlassend nahm die Strecke eine 180°-Kurve im westwärts abfallende Einschnitt eines Zuflusses des Nablus’ und folgte im weiteren Verlauf dessen Tal (Wadi az-Zaymar, auch Wadi asch-Scheʾir) über Anabta nach Tulkarm (Birat Soreqa). Durch die scharfe Kurve ersparte sich die Militärbahn im Nordsüdverkehr einen zeitraubenden Richtungswechsel. Von Tulkarm in der Scharonebene, wo der Bahnbau technisch minder aufwändig ist, führt die Strecke südwärts weiter über einen Abschnitt der Strecke Jaffa–Jerusalem (J & J) ab Lod bis in den Sinai.
Da neues Baumaterial wegen der britischen Seehoheit nicht mehr angeliefert werden konnte, das Baumaterial aber zur Neige ging, wurden Vorräte genutzt, die für die Verlängerung der Hedschasbahn von Medina nach Mekka 1908 beschafft, aber nicht mehr verbaut worden waren und in Haifa lagerten. Schwellen wurden lokal hergestellt und von den Baustellen der Bagdadbahn zugeführt. Letztere mussten wegen der unterschiedlichen Spurweiten in Damaskus umgelocht werden. Weiter wurden einige militärisch unbedeutende Strecken demontiert, um das Material für die Verlängerung der Bahn nach Süden wieder zu verwenden. Dazu gehörte unter anderem der Abschnitt Jaffa-Lod der J & J-Linie im Mutesarriflik Jerusalem, die Bahnstrecke Haifa–Akko im Vilâyet Beirut, die Bahnstrecke Darʿa–Bosra und die Hauranbahn, beide im Vilâyet Syrien.
In flachem, bautechnisch anspruchslosem Gelände führte die Bahn von Tulkarm weiter nach Lod, immer ausreichend Abstand zum Meer einhaltend, um die Strecke außer Reichweite britischer Schiffsgeschütze zu belassen. In Lod mündete die Bahn in die Bahnstrecke Jaffa–Jerusalem (J & J). Deren Trasse wurde von hier bis Jerusalem von 1.000 mm auf 1.050 mm umgespurt und bis zum Betriebshalt am Wadi as-Surar (heute Nachal Soreq) als Fortsetzung genutzt. Mit Hilfe von 2.000 geschulten Soldaten ließ Meißner Pascha Wassertürme in Maṣʿūdiyya, Tulkarm, Ras al-ʿAin, Wadi Surar, at-Tina, Tell asch-Schariʿah (Gerar) und Beʾer Scheva errichten. Am 17. Oktober 1915 wurde der Betrieb bis zum Bahnhof Birüssebi (heute Beʾer Scheva) aufgenommen, am 31. Oktober d. J. wurde die Eröffnung des Bahnhofs gefeiert.[2]:314
Die Strecke al-Maṣʿūdiyya–Beʾer Scheva war 165 km lang und nutzte 18 km der J & J. Der Ort Beʾer Scheva war Hauptstützpunkt der osmanischen Streitkräfte in der Region. Von dort wurde weiter in Richtung Süden nach Nessana (ʿAudscha al-Ḥafir) (92 km) gebaut, das im Sommer 1916 erreicht wurde, an die Grenze zu Ägypten und nach al-Qusayma auf der Sinai-Halbinsel. Die Materialbeschaffung wurde dabei immer schwieriger, und die Geschwindigkeit des Gleisbaus nahm ab. In al-Qusayma endete dann der Bahnbau wegen der heranrückenden Briten. „Regulärer“ Bahnbetrieb fand nur bis Nessana (ʿAudscha al-Ḥafir) statt, er musste aber schon im Frühjahr 1917 wieder aufgegeben werden.
Nachdem die Streitkräfte der Mittelmächte Gaza in der Ersten Schlacht um diese Stadt hatten halten können, beschloss Friedrich Kreß von Kressenstein, Gazas Verteidigung besser zu versorgen und zu stärken, wozu er ab März 1917 eine Bahn von der Negevstrecke ab at-Tina in südwestlicher Richtung vorantreiben ließ. An ihrer Spitze gabelte sie sich, der Hauptstrang erreichte im April des Jahres Beit Hanun und maß insgesamt 53,5 km. Die Gabelung nach al-Hudsch (westlich Dorots) war 12 Kilometer.
Neben der zentralen Strecke errichtete das osmanische Militär zusätzlich noch eine Nebenstrecke von Tulkarm nach Kafr Qara (24 km) und von dieser abzweigend nach al-Dschalama (Gelenne) – Chadera (6 km). Diese Bahn führte der Hauptbahn Feuerholz als Heizmaterial für die Lokomotiven zu.
Spurweite 600 mm
Diese „Hauptstrecken“ wurden durch Feldbahnen in der Spurweite 600 mm ergänzt. Das waren im Einzelnen die Strecken
Tell asch-Schariʿah (Gerar) – Tell Abu Hurayrah (heute: Tel Haror) (vermutlich 600 mm), gebaut im März 1917 aus beim Rückbau der Strecke nach ʿAyn asch-Schallalah gewonnenem Material als Verbindung zur 16. Türkischen Division, um die wichtige Verteidigungsstellung in Tell Abu Hurayrah zu sichern;
Tell asch-Schariʿah (Gerar) – ʿAyn asch-Schellalah (vermutlich 600 mm), gebaut im Januar 1917.
Der gesamte Streckenneubau in Palästina während des Ersten Weltkrieges belief sich auf osmanischer Seite, die Feldbahnen in 600-mm-Spur eingerechnet, auf 437 km.
Betrieb
Das größte Problem des Eisenbahnbetriebs war, die Lokomotiven mit Brennstoff zu versorgen. Kohlevorkommen gab es nur im Libanon, allerdings in schlechter Qualität und geringen Mengen. Auf dem Seeweg konnte wegen der britischen Seeblockade nichts mehr herbeigeschafft werden. Der jährliche Holzbedarf für den Betrieb lag bei 150.000 t. Schon 1916 waren alle erreichbaren Baumbestände entlang der Bahnlinien verheizt, auch viele der alten Olivenhaine wurden abgeholzt. Die gesamte Inneneinrichtung aller Wagen der J & J wurde ebenfalls verfeuert, vermutlich als beim Vorrücken der Briten noch möglichst viele Lokomotiven nordwärts evakuiert werden sollten. Um Holz zu beschaffen, wurden Männer vom Militärdienst befreit, um auch weitab liegende Baumbestände nutzbar zu machen.
Trotz aller Anstrengungen konnte die durchgehende Bahnverbindung ab Istanbul erst 1918 fertiggestellt werden, also kurz vor Kriegsende, und hatte so auf den Ausgang der Kämpfe keinen Einfluss mehr. Nur noch etwa 100 Waggons mit deutscher Kohle erreichten die Hedschasbahn vor dem Zusammenbruch 1918.
Mit der Zeit wurden auch die Schmiermittel knapp. Deshalb griff man auf Rückstände der Olivenölproduktion zurück und es wurden Rizinusplantagen unter der Regie der Bahnverwaltung angelegt. Diese Betriebsbedingungen führten schon 1914/15 zu einem erheblichen Verschleiß bei den Lokomotiven.
1917/1918 kamen zwei deutsche Eisenbahnbetriebskompanien (E.B.S.K.) auf der Hedschasbahn zum Einsatz:
Die Kompanien bestanden aus deutschen Eisenbahnbeamten. Die E.B.S.K. 11 führte den gesamten Betrieb zwischen Samach und Tulkarm und stellte die Fahrdienstleiter.
Im November 1917 mussten die osmanischen Streitkräfte die Eisenbahn südlich von Tulkarm aufgeben, die Osmanische Militärbahn bestand also hier nur von 1915 bis 1917. Die britischen Militärbahnen in Palästina spurten die Streckenabschnitte zwischen Beʾer Scheva und Lod an der J&J-Linie bis 1917 und bis 1918 von dort weiter nach Tulkarm (Ostbahn) auf Normalspur um. Zwischen Wadi as-Surar und Beʾer Scheva wurde der Betrieb aber 1918 mangels Verkehrsaufkommens schon wieder eingestellt.
Teile der Trassen dieses südlichen Abschnitts bezog die israelische Staatsbahn Rakkevet Israel (RI) mit Begradigungen in ihre zwischen 1954 und 1956 nach Süden verlängerte Hauptlinie nach Beʾer Scheva ein. Im Jahre 2004 stellte die RI ein Teilstück zwischen Beʾer Scheva und Ramat Chovav südlich der Stadt als Güterbahn mit teils begradigter Trassenführung in Normalspur wieder her.
Bauliche Relikte
Von den osmanischen Militärbahnen haben nur wenige Gleisanlagen den Ersten Weltkrieg überdauert. Die nachfolgenden Briten übernahmen die Trassen zum Teil für die Britischen Militärbahnen in Palästina, die Strecken in Normalspur anlegte, teilweise rissen sie alte Trassen ersatzlos ab. Nur die kurzen Verbindungen der Samarienbahn zwischen ʿAfula und Nablus (Sichem) sowie das Nordende der Militärbahn Maṣʿūdiyya–Sinai aber nur bis Tulkarm wurden in der Mandatszeit in 1050 mm weiterbetrieben, weit davon entfernt, irgendwelche Bedeutung zu erlangen.
Die Britischen Militärbahnen ließen die Trasse der Militärbahn Maṣʿūdiyya–Sinai von Nachal Soreq (Wadi as-Sarar) nach Beʾer Scheva zwischen Mai und Juli 1918 auf 1435 mm umspuren, stellte den Betrieb allerdings schon drei Monate später wieder ein. Die letzten osmanischen Gleisanlagen südlich von Beʾer Scheva wurden erst 1924 demontiert, waren aber seit dem Krieg nicht mehr genutzt worden.
In Beʾer Scheva stehen noch immer die Bahnhofsgebäude der osmanischen Militärbahn, außerordentlich solide in Stein ausgeführt. In den 1990er Jahren wurde das Empfangsgebäude als Kulturzentrum genutzt, das Wohnhaus des Stationsvorstehers als Büro einer Naturschutzorganisation. 400 Meter entfernt steht der steinerne Unterbau des alten Wasserturms, heute von Wohnblocks umzingelt, die ihn weit überragen. Weitgehend intakt ist auch ein großer Steinbogenviadukt am südlichen Ende der Stadt. Kleinere Brücken und Dämme sind von der Straße nach Nitzana an der ägyptischen Grenze aus zu sehen.
Literatur
Paul Cotterell: Bahnt den Weg. Ein historisches Album der Eisenbahn in Israel. Hentrich & Hentrich, Berlin 2011, ISBN 978-3-942271-20-2.
Paul Cotterell: The Railways of Palestine and Israel. Tourret Books, Abingdon 1986, ISBN 0-905878-04-3 (englisch).
Walter Rothschild: Arthur Kirby and the last years of Palestine Railways: 1945–1948. Selbstverlag, Berlin 2009 (englisch, zugl. London King’s College Diss., 2009).
Einzelnachweise
↑Basis des US Air Transport Command, wo via Ägypten oder den Iraq angelieferte zerlegte Flugzeuge zusammengebaut wurden, um vom Flughafen Lydda nach Libyen und dem Italienischen Dodekanes auszuschwärmen.
↑Friedrich Kreß von Kressenstein, Friedrich Freiherr Kreß von Kressenstein – bayerischer General und Orientkenner: Lebenserinnerungen, Tagebücher und Berichte 1914–1946, Winfried Baumgart (Hrsg.), Paderborn: Brill | Ferdinand Schöningh, 2020, (=Schöningh and Fink History: Early Modern and Modern History), Seitenzahl wie hinter der Fußnotenzahl angegeben. ISBN 978-3-657-10019-4.