Bremer Reeder und Kaufleute gründeten 1896 die Aktiengesellschaft Deutsche Dampffischereigesellschaft „Nordsee“. Bereits im folgenden Jahr bereederte sie 23 Fischdampfer. Dass sie fast alle Städtenamen trugen, sollte in binnenländischen Patenstädten Werbung machen. Während die Verwaltung in Bremen ansässig wurde, baute die Regierung des Großherzogtums Oldenburg für die Flotte in Nordenham einen eigenen Fischereihafen mit Lager-, Versand- und Netzhallen, Werkstätten und Eishäusern. Vor Aufnahme der maschinellen Eisproduktion brachten Segelschiffe das Eis im Winter aus Norwegen an die Unterweser.[1]
Von Anfang an erstrebte man die langjährige Dreigliedrigkeit des Unternehmens:
Fischfang, Fischverarbeitung und Fischlieferung über eigene Verkaufsstellen bis zum Endverbraucher. So wurden eigene Geschäfte in Bremen noch im Gründungsjahr und bereits 1898 am Viktualienmarkt eröffnet. Den Transport besorgten eigene Eisenbahnkühlwagen.[1]
Die starke Befischung der Nordsee machte bereits um die Jahrhundertwende die Suche nach neuen Fanggründen notwendig. Um 1905 begann die Fischerei vor Island. Von 1906 bis in die 1920er Jahre wurde im Atlantik vor Nordafrika die „Marokkofischerei“ betrieben. 1928/29 suchten Schiffe der Nordsee auch bereits die Seegebiete um Grönland auf. Im großen Stil wurde dort erst nach dem Zweiten Weltkrieg gefischt.[1]
Durch die Weltwirtschaftskrise kam es 1928 bis 1934 zum Zusammenschluss mit anderen Unternehmen der Fischereibranche unter dem Namen „Nordsee“ Deutsche Hochseefischerei AG. Von da an waren 60 % der Flotte in Cuxhaven stationiert. 1934 übersiedelten die gesamten Nordenhamer Betriebsanlagen zur Ostseite des Geestemünder Handelshafens. Im selben Jahr wurde auch der Firmensitz von Bremen nach Wesermünde verlegt. Die Hauptverwaltung war der umgebaute Speicher A von 1862, zwischen den Gleisen des Bahnhofs Geestemünde.
Von den großen Verlusten im Zweiten Weltkrieg erholte sich das Unternehmen trotz der alliierten Auflagen rasch. In den 1960er Jahren kamen die pelagische Fischerei, Heckfänger und Fabrikschiffe auf. Die für die Bundesrepublik ungünstige Ausweitung der Hoheitsgewässer und die Überfischung in traditionellen Fanggebieten brachten die deutsche Hochseefischerei in eine tiefe Krise.[2] Trotzdem war die Nordsee 1980 noch das bedeutendste fischwirtschaftliche Unternehmen Europas. Täglich verarbeitete es über 1 Million Kilogramm Rohware. Das Vertriebsnetz umfasste 40 Lager für den Großhandelssektor im Bundesgebiet und in West-Berlin sowie 300 Fischspezialgeschäfte in der Bundesrepublik und in Österreich.[1]
Die Überfischung und die daraus resultierende Ausweitung der ausschließlichen Wirtschaftszone auf 200 Seemeilen, die mehrere Länder ab den 1970er Jahren vornahmen, schnitt die deutsche Hochseefischerei und von ihren Fanggebieten zunächst vor Island, dann auch vor Grönland, Kanada und Norwegen ab. Zugleich wurden Fangquoten festgelegt, die in der deutschen Hochseefischerei und auch bei der „Nordsee“ als größtes deutsches Unternehmen zu einer tiefen Krise führten. Die vorhandene Fangflotte war zu groß für die zugewiesene Quote und musst verkleinert werden.[3][4]
Bei der „Nordsee“ waren Ende 1980 noch drei Frischfischfänger und zehn Fabrikschiffe in Fahrt. Als 1982 die Dresdner Bank ihre Anteile an den Unilever-Konzern verkaufte, hielt dieser nun 99 Prozent der Anteile. Im Zuge der Zusammenlegung der deutschen Hochseefischerei zur Deutschen Fischfang Union (DFFU) im Jahr 1986, brachte die „Nordsee“ ihre letzten Schiffe in das neue Unternehmen ein, an dem sie mit 27 Prozent beteiligt war. Diesen Anteil verkaufte sie 1990 an die isländische Samherji und beendete damit die Geschichte des Unternehmens als Fischereibetrieb.[5][6]
Das Unternehmen ist führender Fischanbieter und nach McDonald’s und Burger King der drittgrößte Filialgastronom. Der Umsatz liegt bei 357 Millionen Euro.[7]
Ingo Heidbrink, Werner Beckmann, Matthias Keller: … und heute gibt es Fisch – 100 Jahre Fischindustrie und Fischgroßhandel in Schlaglichtern. Hauschild Verlag, Bremen 2003, ISBN 3-89757-202-8.
Ingo Heidbrink: Deutschlands einzige Kolonie ist das Meer. Die deutsche Hochseefischerei und die Fischereikonflikte des 20. Jahrhunderts. Convent Verlag, Hamburg 2004, ISBN 978-3-934613-80-5.
Nik Schumann: Cuxhaven, die Große Hochseefischerei und der Seefischmarkt. Verlag August Rauschenplat, Cuxhaven 2008, ISBN 3-935519-29-X.
Wilfried Brandes (Hrsg.): „Nordsee“. Geschichten über die größte deutsche Fischdampfer-Reederei, Edition Temmen, Bremen 1998, ISBN 3-86108-721-9.
Werner Beckmann: Die Reedereien der Hochsee- und Heringsfischerei in Bremerhaven (Band 40 der neuen Reihe der Sonderveröffentlichungen des Heimatbundes der Männer vom Morgenstern), Heimatbund der Männer vom Morgenstern, Bremerhaven 2003, ISBN 3-931771-40-7.
Publikationen im Niederdeutschen Heimatblatt
Dieter Kokot: „Vater des Wirtschaftswunders“ kam an Bord. Fischdampfer KOBLENZ und die Hochseefischerei in den 50er Jahren. In: Männer vom Morgenstern, Heimatbund an Elb- und Wesermündung e. V. (Hrsg.): Niederdeutsches Heimatblatt. Nr.808. Nordsee-Zeitung GmbH, Bremerhaven April 2017, S.1 (Digitalisat [PDF; 5,9MB; abgerufen am 16. Juli 2019]).
Peter Bussler: Ausflug in die Wingst vor 80 Jahren. Ein Betriebsfest der „Nordsee“ Deutsche Hochseefischerei AG im Jahr 1937. In: Männer vom Morgenstern, Heimatbund an Elb- und Wesermündung e. V. (Hrsg.): Niederdeutsches Heimatblatt. Nr.819. Nordsee-Zeitung GmbH, Bremerhaven März 2018, S.1–2 (Digitalisat [PDF; 11,2MB; abgerufen am 23. Juni 2019]).
↑ abcdeKlaus-Peter Kiedel: „Nordsee“ Deutsche Hochseefischerei GmbH. In: Lars U. Scholl (Hrsg.): Bremerhaven – ein hafengeschichtlicher Führer. Deutsches Schiffahrtsmuseum / Ditzen, Bremerhaven 1980, S. 102–105.
↑Absolute Spitze. In: Der Spiegel. 16. Juni 1985, ISSN2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 25. August 2024]).
↑Georg Giersberg: Menschen & Wirtschaft. Zwei Münsterländer in der Nordsee. Die Restaurantkette Nordsee stagniert seit Jahren. Vor allem junge Kunden meiden sie. Der ehemalige Bäcker Heiner Kamps und seine Weggefährtin Hiltrud Seggewiß wollen das jetzt ändern. In: FAZ. Frankfurt am Main 21. August 2015, S.20 (Digitalisat [abgerufen am 23. Juni 2019]).