Nicolò di Pietro oder Nicolò Paradisi[1] (auch Niccolò di Pietro Veneziano, Nicolaus Paradixi de Veneciis, Nicolaus pictor u. a.; nachgewiesen in Venedig zwischen 1394 und 1427)[2] war ein italienischer Maler der Spätgotik aus der venezianischen Schule.
In der Kunstgeschichte herrschte seit Beginn des 19. Jahrhunderts eine gewisse Verwirrung über Nicolò di Pietro, ausgelöst durch Giovan Maria Sasso, der ihn für identisch mit Nicoletto Semitecolo hielt.[2] Er sollte auch nicht verwechselt werden mit dem toskanischen Maler Nicolò di Pietro Gerini (aktiv ab 1365–1415 ?).[3]
Nicolò stammte aus einer Malerdynastie: sein Vater Pietro („Petrus Nicolai pictor de contrada Sancte Marine“) war ebenfalls Maler und ein Halbbruder des berühmten Lorenzo Veneziano.[4] Darüber hinaus wird von einigen Autoren vermutet, dass Nicolò ein Schüler von Giovanni da Bologna war, aufgrund stilistischer Überlegungen und weil dieser in seinem Testament von 1389 einem „Nicolao suo disipulo“ eine kleine Erbschaft vermachte – ob es sich dabei um Nicolò di Pietro handelte, ist jedoch nicht sicher.[2]
Nicolò übernahm die familiäre Werkstatt in Venedig in der Gemeinde Santa Marina an der Paradies-Brücke („chapite pontis paradixi“) und erhielt auch Aufträge von Orten auf dem italienischen Festland, unter anderem aus Verona und wahrscheinlich aus Mantua und Pesaro.[2]
Sein erstes signiertes und datiertes Werk ist eine Madonna mit Kind und Stifter, die er 1394 im Auftrage von Vulciano Belgarzone für die Kirche San Platone in Zara malte (heute: Accademia, Venedig).[2][1] Sie ist signiert mit „Nicolaus filius magistri Petri pictoris … qui moratur in chapite pontis paradixi“.[4]
1404 schuf er gemeinsam mit dem Holzschnitzer Catarino di Andrea Moranzone ein Kruzifix für das Augustinerinnenkloster in Verucchio bei Forlì (heute: Gemeindekirche, Verrucchio).[2][1] Am 12. Juni 1405 erscheint er („Nicolaus filius Petri pictoris“) als Zeuge in einem Testament der Margherita, Witwe von Bartolomeo Fustagnari.[2]
Von dem Kaufmann Francesco Amadi aus Lucca erhielt Nicolò 1408 den Auftrag für ein Altarbild, das als Pendant eines Altares von Gentile da Fabriano gedacht war.[2] Nicolòs Szenen aus der Legende des Hl. Benedikt für das Benediktinerkloster in Polirone bei Mantua sind von Gentile da Fabriano beeinflusst und befinden sich heute in diversen Museen (Uffizien, Florenz; Museo Poldi Pezzoli, Mailand).[2]
Zwischen Juli 1414 und März 1416 schuf er ein heute verlorenes Prozessionsbild für die Scuola Grande della Misericordia und 1419 war er im Fondaco dei Tedeschi als Zeuge bei einem Akt der Confraternita dei „ligatori“ anwesend.[2]
Das genaue Todesdatum von Nicolò di Pietro ist nicht bekannt, aber man weiß, dass er vor 1427 starb.[2] Er hatte mindestens zwei Kinder, einen Sohn Marco („paradixi filius quondam Nicolai pictoris“) und eine Tochter Antonia („filia de Nicholay militis pictoris“).[2]
Zu seinen Schülern gehörten der Maestro della Madonna del Parto, der Maestro del Dossale Correr und wahrscheinlich Michele Giambono.[2]
Würdigung
Nicolò di Pietro gehört zu den wichtigsten und originellsten venezianischen Malern seiner Zeit. Sein Stil hat ein ganz eigenes, erkennbares Profil mit volkstümlich wirkenden Figuren, und er kann als Neuerer gelten. In seinem Werk verbindet er Einflüsse aus Venedig und vom italienischen Festland (Giovanni da Bologna) mit solchen der internationalen Gotik aus Böhmen und dem Rheinland.[5][2] Ab etwa 1408 macht sich auch ein Einfluss durch Gentile da Fabriano bemerkbar.[2]
Nur wenige Werke von Nicolò di Pietro sind datiert. Die folgende Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit; sie ist nach stilistischen Erwägungen annähernd chronologisch geordnet.[2]
Madonna mit Kind und Stifter, 1394, Accademia, Venedig
Ankunft der Hl. Drei Könige (Arrivo dei Magi), Accademia, Venedig
Madonna dell’Umiltà, Privatsammlung
Marienkrönung, Galleria nazionale d’arte antica (Palazzo Barberini), Rom
Die zwölf Apostel, Galleria nazionale d’arte antica (Palazzo Corsini), Rom.
Geburt und Hochzeit der Jungfrau Maria, Museo del Cenedese, Vittorio Veneto
Polyptychon (urspr. für Sant‘ Agostino, Pesaro) verteilt in diversen Museen: Pinacoteca civica, Pesaro (die Hl. Paulus, Petrus, Laurentius und Nicola da Tolentino) und Institute of Arts, Detroit (Johannes d. Täufer)
Legende des Hl. Benedikt (urspr. für das Benediktinerkloster Polirone, Mantua) in diversen Museen: Uffizien, Florenz und Museo Poldi Pezzoli, Mailand
vier Evangelisten, Fresken in der Apsis von Santi Maria e Donato, Murano
Entwürfe zur Teppichserie Passion Christi, Domschatz von San Marco, Venedig
Literatur
Nicolò di Pietro, in: Lexikon der Kunst, Bd. 8, Karl Müller Verlag, Erlangen, 1994, S. 342
Cristina Guarnieri, Andrea de Marchi: Lorenzo di Niccolò called Lorenzo Veneziano: Saint John the Baptist, Altomani & Sons, Maastricht, 2016, S. 13, online als Google-Book (zweisprachig: englisch, italienisch; gesehen am 5. Mai 2020)
Irene Samassa: Nicolò (Niccolò) di Pietro, in: Dizionario Biografico degli Italiani, Volume 78, 2013, online auf Treccani (italienisch; gesehen am 28. März 2020)
Einzelnachweise
↑ abcNicolò di Pietro (auch Nicolò Paradisi), in: Lexikon der Kunst, Bd. 8, Karl Müller Verlag, Erlangen, 1994, S. 342
↑ abcdefghijklmnopqIrene Samassa: Nicolò (Niccolò) di Pietro, in: Dizionario Biografico degli Italiani, Volume 78, 2013, online auf Treccani (italienisch; gesehen am 28. März 2020)
↑Niccolò di Pietro Gerini, Kurzbiographie auf der Website der National Gallery, London (englisch; gesehen am 5. Mai 2020)
↑ abCristina Guarnieri, Andrea de Marchi: Lorenzo di Niccolò called Lorenzo Veneziano: Saint John the Baptist, Altomani & Sons, Maastricht, 2016, S. 13, online als Google-Book (zweisprachig: englisch, italienisch; gesehen am 5. Mai 2020)
↑Berthold Haendtke: Der französisch-niederländische Einfluss auf die italienische Kunst von ca. 1250 bis ca 1500..., Karl Koetschau (Hrsg.): Repertorium für Kunstwissenschaft, Band 38, Georg Reier, Berlin, 1916 (Neuausgabe: Walter de Gruyter GmbH & Co KG, 1968/2018), S. 67, online als Google-Book (gesehen am 5. Mai 2020)