Dieser Artikel behandelt den Ort Netra in Nordhessen. Für den namensgebenden Nebenfluss der Sontra siehe Netra (Fluss). NETRA steht auch für die Pipeline Norddeutsche Erdgas-Transversale.
Netra liegt im Tal der Netra im Zentrum der Landschaft Ringgau auf etwa 304 m über NN. Der Ort ist das nach Einwohnerzahl drittgrößte Dorf der Gemeinde.
Geschichte
Bereits 1025 wird Netra als „Nederne in Reinicgowe“ als damaliges Reichsgut erwähnt, als König Konrad II. den Ort dem Kloster Fulda schenkte. 1073 wurden erstmals die Herren von Netra genannt, die vermutlich auch die erste Burg errichteten. Diese trugen sie 1318 den Landgrafen von Thüringen zu Lehen auf. Im Laufe der Zeit übergaben die Herren von Netra Teile ihres Besitzes an das Kloster Germerode. Teile Netras erkauften 1366 die von Herren von Boyneburg-Hohenstein von den von Netra.
1556 starb das Geschlecht derer von Netra aus, die dortige Wasserburg und der übrige dazugehörige Besitz fiel erblich an die Hohenstein, die die Burg zu einem Wasserschloss umbauten. In Netra waren Ende des 16. Jahrhunderts 86 Untertanen verschiedener Herren ansässig: Neben einer Mehrheit boyneburg-hohensteinischer Untertanin befanden sich hier 18 germerödische Männer (Untertanen des ehemaligen Klosters Germerode, das nach der Reformation vom Landgrafen übernommen wurde) sowie einige Untertanen der Kurpfalz, die zusammen mit der Hälfte Röhrdas als Lehen vergeben wurden. Das Dorf kam entgegen oft wiederholter, aber falscher Behauptungen nicht 1654 zum landgräflichen Amt Bischhausen, sondern blieb bis zum Aussterben derer von Boyneburg-Hohenstein 1792 Teil des Gerichts Boyneburg.[3] 1792 gingen Netra und seine Burg in Staatsbesitz über. Das Gut wurde Staatsdomäne. 1818 war in Netra der Sitz eines Justizamtes im Amt Eschwege, welches 1866 zum Amtsgericht Netra wurde.[1] Ab 1821 gehörte der Ort zum Kreis Eschwege.
1925 lebten 663 Personen in Netra. Der Großteil von ihnen waren Bäuerinnen und Bauern, die dem evangelischen Glauben angehörten.[4]
Jüdisches Leben vor 1933
1885 umfasste die jüdische Gemeinde 90 Personen, womit sie 11,67 % der Gesamtbevölkerung entsprach. Durch die Gründung des deutschen Kaiserreiches im Jahr 1871 erhielten die jüdischen Mitbürger neue Rechte. Deshalb wanderten viele Jüdinnen und Juden aus Netra in Städte ab. Im Jahr 1932/1933 lebten 32 Jüdinnen und Juden im Ort. Die jüdischen Familien lebten vom Viehhandel oder anderen Handelstätigkeiten.[4]
In den 1920er Jahren gibt es zahlreiche Hinweise, dass Jüdinnen und Juden gut in die Dorfgemeinschaft integriert waren. So gab es im Ort eine Synagoge. Jüdische und christliche Kinder besuchten gemeinsam eine Dorfschule. Auch engagierten sich viele jüdische Mitbürger bei der Freiwilligen Feuerwehr oder nahmen politische Ämter wahr. Den getöteten jüdischen Soldaten aus Netra wurde gemeinsam mit den anderen getöteten Soldaten gedacht.[4]
Netra im Nationalsozialismus
Die Geschichte von Netra in der Zeit des Nationalsozialismus wurde 2006 durch eine Publikation von Erich Schwerdtfeger erstmals aufgearbeitet. Die persönlichen Erinnerungen von Ludwig Rothschild fanden darin Verwendung.[5] Ludwig Rothschild war gebürtiger Netraer und jüdisch. Er lebte von 1934 bis 1937 im Ort.[4]
Diese erste historische Abhandlung ergänzte Martin Arnold 2024 mit einem Artikel, der darüber hinaus Akten der Spruchkammer, der Hauptakteure der NSDAP und der evangelischen Kirche berücksichtigte.[4] Arnold bezeichnete das Dorf in seiner Analyse als eine „Hochburg des Nationalsozialismus“. In seinem Artikel setzte er sich mit den Opfern, den Tätern sowie auch Personen auseinander, die sich den Netraer SA-Funktionären entgegenstellten.[4]
Im 1976 errichteten Gemeindezentrum finden sich alle behördlichen Einrichtungen der Gemeinde. Angegliedert sind ein Dorfgemeinschaftshaus und (bis 1993) das Feuerwehrhaus.
Historische Namen
Die Schreibweise des Ortsnamens wechselte im Laufe der Jahrhunderte mehrfach, je nachdem wie der Schreiber der jeweiligen Urkunde das Gehörte ins Schriftliche zu übertragen suchte: Nederne (1025), Neddere (1075), Nedere circa flumen Nederaha (1140/41), Netre (1255), Neythere (1327), Netern (1344), Netter (1495).[1]
Bereits um 1073 wird anstelle der heutigen Wasserburg die Burg der Herren von Netra erwähnt. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts erbauten die Herren von Boyneburg-Hohnstein die Wasserburg. Sie befindet sich am westlichen Ortsrand. 1922 stürzte der Treppenturm ein; er wurde 1957 erneuert. Das Gebäude befindet sich heute in Privatbesitz.
Einwohnerentwicklung
Einwohnerstruktur
Nach den Erhebungen des Zensus 2011 lebten am Stichtag dem 9. Mai 2011 in Netra 537 Einwohner. Darunter waren 3 (= 0,6 %) Ausländer.
Nach dem Lebensalter waren 72 Einwohner unter 18 Jahren, 222 waren zwischen 18 und 49, 126 zwischen 50 und 64 und 117 Einwohner waren älter.[9]
Die Einwohner lebten in 243 Haushalten. Davon waren 78 Singlehaushalte, 66 Paare ohne Kinder und 75 Paare mit Kindern, sowie 21 Alleinerziehende und 6 Wohngemeinschaften. In 54 Haushalten lebten ausschließlich Senioren/-innen und in 153 Haushaltungen leben keine Senioren/-innen.[9]
Datenquelle: Historisches Gemeindeverzeichnis für Hessen: Die Bevölkerung der Gemeinden 1834 bis 1967. Wiesbaden: Hessisches Statistisches Landesamt, 1968. Weitere Quellen: LAGIS[1]; Zensus 2011[9]
Das Dorf Netra gehört zur Gemeinde Ringgau, dessen Bürgermeister seit 2019 der parteiunabhängige Mario Hartmann ist. Ortsvorsteher des Dorfes ist Philipp Pfister.[10]
Wahlen
Bei den Wahlen zur Europawahl 2024 konnten die CDU sowie die AFD große Gewinne verzeichnen.
Die Wahlergebnisse der Europawahl 2024 für die Gemeinde Ringgau sind folgende:[11]
Partei
CDU
GRÜNE
SPD
AfD
Linke
FDP
BSW
Die Partei
Wahlergebnis in %
29,6
8,5
21,7
16,1
2,6
4,5
4,8
1,7
Veränderungen
+4,3
−9,0
−4,6
+5,5
−1,6
−0,6
+4,8
−0,1
Stimmen
14.445
4.173
10.580
7.858
1.268
2.194
2.364
814
Religion
Jüdische Gemeinde
In Netra gab es eine Synagoge beziehungsweise einen Betsaal. Vermutlich Anfang des 19. Jahrhunderts wurde der Fachwerkbau mit Hofgebäude erbaut. Über das Aussehen des Gebäudes ist nichts Näheres bekannt. 1971 wurde das Gebäude wegen Baufälligkeit abgerissen. Die Synagoge befand sich in der Brauhausstraße 19, die Religionsschule in Datterode in der Leipziger Str. 45.[12]
Jüdischer Friedhof
Der Jüdische Waldfriedhof hat eine Fläche von 16 ar. 1985 waren noch 91 Grabsteine (Mazewa) vorhanden. Der Friedhof liegt etwa 1,5 km südlich von Netra, nahe der Straße von Netra nach Grandenborn innerhalb des Waldes am Waldrand.[13]
↑Thomas Diehl: Adelsherrschaft im Werraraum. Das Gericht Boyneburg im Prozess der Grundlegung frühmoderner Staatlichkeit (Ende des 16. bis Anfang des 18. Jahrhunderts). Hessische Historische Kommission Darmstadt und Historische Kommission für Hessen, Darmstadt und Marburg 2010, ISBN 978-3-88443-314-0 (Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte 159).
↑Erich Schwerdtfeger: Jüdisches Leben in einem hessischen Dorf. Aus den Lebenserinnerungen Ludwig Rothschilds (1916-1992). Norderstedt 2006, ISBN 978-3-8334-6352-5.
↑Hauptsatzung. (PDF; 105 kB) § 5. In: Webauftritt. Gemeinde Ringgau, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 18. Mai 2021; abgerufen im Mai 2021.Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.ringgau.de