Die Musikalischen ExequienSWV 279–281 (op. 7) sind ein geistliches musikalisches Werk für Singstimmen und Basso continuo (Orgel und Violone) von Heinrich Schütz. Das Werk entstand als Begräbnismusik zur Beisetzung von Heinrich Posthumus Reuß am 4. Februarjul. / 14. Februar 1636greg. und wurde noch im selben Jahr bei Wolff Seyffert in Dresden gedruckt. Das damals geläufige lateinische Wort ex[s]equiae bedeutet „Leichenbegängnis“; es stellt keinen Traditionszusammenhang mit der ebenfalls oft Exsequien genannten katholischen Begräbnisliturgie her.
Schütz komponierte die Musikalischen Exequien 1635/36 anlässlich des Todes seines Landesherrn Heinrich Posthumus Reuß. Sie könnten – laut dem Titelblatt der Musikalischen Exequien – erstmals zu dessen Trauergottesdienst und Beisetzung in der alten Johanniskirche in Gera erklungen sein.[1] Die Feierlichkeiten fanden, wie von Heinrich Posthumus Reuß noch vor seinem Tod bestimmt, am Tag des Propheten Simeon, am Sonntag nach Darstellung des Herrn, dem 4. Februarjul. / 14. Februar 1636greg. statt, dessen Sterbelied, das Canticum B. Simeonis, zentral sowohl für Schütz’ Komposition als auch die Leichenpredigten war. Die Geraer Hofordnungen, die wegen des Dreißigjährigen Krieges, Pest, Kälte und Hunger kurz vor der Feier eine sparsamere Zeremonie als ursprünglich geplant festlegten, geben jedoch keinen Hinweis auf eine Aufführung von Schütz’ Musik.[2] Dass sie tatsächlich aufgeführt wurde, ist eher unwahrscheinlich. Auch die „Textbücher“ zu dem Begräbnis, verschiedene Fassungen des Abdrucks Derer Sprüche Göttlicher Schrifft vnd Christlicher Kirchen Gesänge (Gera 1636),[3] verweisen nur implizit auf Schütz’ Exequien und spiegeln vermutlich nicht den realen, sondern idealisierten Ablauf wieder. Denn als Teil der herrscherlichen Repräsentation und Erinnerungskultur hatten der Musikdruck und die Funeralschriften über den Sterbetag hinaus gehende wichtige symbolische Bedeutung. Schütz selbst betrachtete die Musikalischen Exequien nicht nur als flüchtiges Gelegenheitswerk, sondern reihte es als Opus 7 unter seine anderen Werksammlungen.[4]
Der Fürst hatte noch zu seinen Lebzeiten eine Sammlung von Bibelversen und Liedtexten zusammengestellt, mit denen sein Sarg beschriftet werden sollte. Dieselbe Textsammlung übergab Heinrichs Witwe nach dessen Tod am 3. Dezemberjul. / 13. Dezember 1635greg. an Schütz, der sie zur Grundlage des ersten Teils der Exequien – vor der Predigt – machte. Nach der Predigt über den Text „Herr, wenn ich nur dich habe“ (Ps 73,25-26 Lut) schloss Schütz als zweiten Teil der Exequien die Vertonung ebendieses Textes als Motette an. Zur Bestattung des Sarges in der Familiengruft unter der Kirche erklang als abschließende fünfstimmige Motette der Lobgesang des Simeon Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren.
Werkbeschreibung
Die Musikalischen Exequien sind für Vokalstimmen und Basso continuo komponiert, wobei die drei Teile unterschiedlich besetzt sind. Der erste Teil ist sechsstimmig ausgeführt (2 Soprane, Alt, 2 Tenöre, Bass, wobei im Altus-Stimmbuch einmal ein zweiter Bass verlangt ist). Im Vorwort zur gedruckten Ausgabe erläutert Schütz, dass an den mit „Capella“ bezeichneten Teil-Sätzen weitere Ripieno-Sänger zu jeder Stimme hinzutreten können. Der zweite Teil verlangt zwei jeweils mit Sopran, Alt, Tenor und Bass besetzte Teilensembles. Im dritten Teil kontrastiert eine 5-stimmige „Capella“ (Sopran, Alt, 2 Tenöre, Bass) mit drei Solostimmen (2 Soprane und Bariton als zwei Seraphim mit der Beata Anima), die als Fernchor aufzustellen sind – bei entsprechenden Möglichkeiten mehrfach an bis zu drei verschiedenen Stellen des Aufführungsraumes.
Satzfolge
Teil I: Concert à 6 in form einer teutschen Missa, SWV 279 (Besetzung: Singstimmen SSATTB, Basso continuo)
Intonatio (Tenor): Nacket bin ich von Mutterleibe kommen
Soli (Cantus, Altus, Tenor, Bassus, Quintus, Sextus): Herr ich lasse dich nicht du segnest mich denn (1 Mos 32,27b Lut)
Capella: Er sprach zu mir (Martin Luther, Nun freut euch, lieben Christen g’mein)
Teil II: MotetteHerr, wenn ich nur dich habe, SWV 280 (Besetzung: 8 Singstimmen doppelchörig SATB/SATB, Basso continuo ad libitum) (Ps 73,25-26 Lut)
Teil III: Canticum B. SimeonisHerr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren, SWV 281 (Besetzung: Favoritchor SSBar, Kapellchor SATTB, Basso continuo) (Lk 2,29–32 Lut)
Werner Breig: Heinrich Schütz’ „Musikalische Exequien“: Überlegungen zur Werkgeschichte und zur textlich-musikalischen Konzeption. In: Schütz-Jahrbuch 11, 1989, S. 53–68
Norbert Bolin: ›Sterben ist mein Gewinn‹ (Phil. 1, 21). Ein Beitrag zur evangelischen Funeralkomposition der deutschen Sepulkralkultur des Barock, 1550–1750. Kassel 1989.
Renate Steiger, »›Der gerechten Seelen sind in Gottes Hand‹. Der Sarg des Heinrich Posthumus Reuß als Zeugnis lutherischer ars moriendi«, in: Diesseits- und Jenseitsvorstellungen im 17. Jahrhundert, hrsg. von Ingeborg Stein, Jena 1996, S. 189–212.
Hans Gebhard (Hrsg.): Harenberg Chormusikführer. Harenberg, Dortmund 1999, ISBN 3-611-00817-6.
Werner Breig, »Von der ›Sterbens-Erinnerung‹ zur ›Teutschen Missa‹ und vom ›Wercklein‹ zum Werk. Zu Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte von Schütz’ ›Musikalischen Exequien‹«, in: Schütz-Jahrbuch 41, 2019, S. 21–35.
Beate Agnes Schmidt: Tod und Unsterblichkeit:Gedanken zu den „Musikalischen Exequien“. In: Schütz-Jahrbuch 45, 2023, S. 48–58.