Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad

Das Scherzlied Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad ist bei Kindern und Erwachsenen gleichermaßen beliebt und wird in vielen verschiedenen Versionen gesungen. Es entstand möglicherweise schon in den 1930er Jahren als Mischung aus zwei verschiedenen, älteren Schlagern: Der Refrain des Rheinländers Wir versaufen unsrer Oma ihr klein Häuschen, den Robert Steidl 1922 schrieb, bildet die Vorlage für die Melodie, wobei Steidl seinerseits diesen Melodieteil dem Trio-Teil des Liedes Die Holzauktion (um 1890) von Franz Meißner entlehnte. Der Text ist dagegen an den Foxtrott Meine Oma fährt Motorrad, ohne Bremse, ohne Licht (1928) von Ernst Albert (Text) und Erwin Bolt (Musik) angelehnt; deutliche inhaltliche Parallelen weist auch das Lied Wenn die liebe Tante mit dem guten Onkel (ebenfalls 1928) von Förster und Hirsch auf.

Rhythmik und Melodik

Melodie

Die Textpassagen „Meine Oma fährt …“ beginnen jedes Mal mit einer Sexte als markantem Tonsprung aufwärts, gefolgt von zwei Tetrachorden abwärts. Die Energie dieser Achtelnoten mündet zunächst in das dreimalige „Motorrad“-Motiv, bestehend aus einer wiegenden Terz abwärts. Nach Wiederholung der Textpassage „Meine Oma fährt …“ steigt die Melodie stufenweise in Achtelnoten zum abschließenden Grundton der Tonart an.

Quellen und Textvarianten

Das Deutsche Volksliedarchiv in Freiburg im Breisgau hat die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte des Liedes ausführlich erforscht. „Es ist ein Spiegelbild des spielerischen Vergnügens am Absurden und zugleich ein typisches und virulentes Beispiel für jenes Liedgut, das sich parallel zur medial geprägten Musikkultur des 20. Jahrhunderts entwickelt und mit einer gewissen Eigendynamik beständig verändert.“[1] Die genaue Entstehungszeit der Mischfassung ist bislang nicht bekannt. 1935/36 ist das Textincipit erstmals in einer Zeitschrift nachweisbar.[2] Das älteste dem Deutschen Volksliedarchiv vorliegende Incipit stammt aus dem Jahr 1942.[1]

Version von 1958

Gedruckt erschien Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad erstmals 1958 im Liederbuch Der Zündschlüssel vom Fidula-Verlag nach der Erinnerung des Herausgebers Johannes Holzmeister.[3]

1. Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad, Motorrad, Motorrad,
00meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad,
00meine Oma ist ’ne ganz patente Frau.

2. Meine Oma hat im hohlen Zahn ein Radio …

3. Meine Oma hat ’nen Nachttopf mit Beleuchtung …

4. Meine Oma hat ’ne Glatze mit Geländer …

5. Meine Oma hat ’ne Brille mit Gardinen …

6. Meine Oma hat ’nen Pet[t]icoat aus Wellblech …

7. Meine Oma hat im Strumpfband ’nen Revolver …

8. Denn meine Oma spielt in Hollywood ’nen Cowboy …

Version von 1980

Fredrik Vahle veröffentlichte 1980 im Liederspatz eine Version mit 25 Strophen, wobei die Oma der Zeit entsprechend hinter dem Lenkrad sitzt, Tagesschau guckt und in die Disco geht.[4]

WDR-Version

Gegendemonstration in Köln Januar 2020 gegen eine Kundgebung anlässlich des "Umweltsau"-Videos.

Der Westdeutsche Rundfunk Köln (WDR) hat 2019 mit dem WDR-Kinderchor der Dortmunder Chorakademie eine neue Version mit dem Titel „Meine Oma“ aufgenommen, die von einem Autor der WDR-2-Redaktion stammt und „mit Überspitzung und Humor den Konflikt zwischen den Generationen aufs Korn nehmen“ sollte.[5] Diese Version wurde am 27. Dezember 2019 als Video bei Facebook veröffentlicht.

Nach Kritik am Text („Meine Oma ist ’ne alte Umweltsau …“) wurde es kurze Zeit später „zum Schutz der Kinder“ wieder entfernt; Kopien des Videos sind nach wie vor bei YouTube abrufbar.[6] Zu den Kritikern zählte unter anderem der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU). Er schrieb, das Lied habe „Grenzen des Stil und des Respekts gegenüber Älteren überschritten. Jung gegen Alt zu instrumentalisieren“ sei „nicht akzeptabel.“ In einer WDR-Sondersendung am 28. Dezember entschuldigte sich der Intendant des Senders, Tom Buhrow, „ohne Wenn und Aber“ für das Video und bezeichnete es als einen „Fehler“. Programmchef Jochen Rausch sagte, man habe nicht ausreichend über „sprachliche Feinheit“ nachgedacht.[7]

Kundgebung überwiegend rechtsgerichteter Teilnehmer am 4. Januar mit Auftritt des Rappers "Master Spitter"[8]

Unterstellungen, dass Kinder für die Aufnahme instrumentalisiert worden seien, nannte der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbands „absurd und bösartig“, die Löschung des Videos sei „nicht schlau“ und „unglücklich“.[9]

In einer Stellungnahme bezog sich Chorleiter Zeljo Davutovic positiv auf die von Kindern und Jugendlichen ausgehende Bewegung Fridays for Future und betonte: „Es geht nicht um die Oma, sondern um uns alle“. Er bat all diejenigen um Entschuldigung, „die sich trotz der Einordnung als Satire“ persönlich angegriffen fühlten.[10]

Am 29. Dezember 2019 demonstrierten nach Schätzungen von Beobachtern zwischen 100 und 200 Personen vor dem Gebäude des WDR in Köln gegen den Sender und die Aufführung des Liedes. Nach Einschätzung der Polizei befanden sich auch rechtsgerichtete Personen unter den Teilnehmern.[11] Auch am 4. Januar 2020 kam es zu Kundgebungen vor den WDR Arkaden. Den etwa 35 Demonstranten aus dem rechten und rechtsextremen Spektrum stellten sich etwa 1500 Gegendemonstranten entgegen.[12]

Für den Konfliktforscher Maik Fielitz und den Sozialwissenschaftler Holger Marcks ist der Fall „ein besonders anschauliches Beispiel dafür, wie man einer künstlichen Empörungskampagne der extremen Rechten auf den Leim gehen kann“. Auswertungen eines Datenanalysten hätten gezeigt, dass vor allem rechtsextreme Kreise gegen den Videobeitrag mobilisiert hätten. Diese Stimmen seien „dann von manchen als eine Art Volksempfinden geadelt“ worden. Intendant Buhrow sei „nicht zu Unrecht“ dafür kritisiert worden, „über die Online-Strategien der extremen Rechten nicht gut im Bilde zu sein“.[13]

Einzelnachweise

  1. a b Eckhard John, Renate Sarr: Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad (2008). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon
  2. Gerd Eckert: Schlagertexte wenig verändert. In: Der Türmer: Deutsche Monatshefte. Die Bergstadt, Band 38 (1935–36), Teil 2, ZDB-ID 501058-5, S. 87–89, hier S. 88 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  3. Version von 1958, in Der Zündschlüssel
  4. Version von 1980, im Liederspatz
  5. Anna Ernst: „Dieses Ausmaß habe ich im Ansatz nicht erwartet“. Süddeutsche Zeitung vom 29. Dezember 2019, abgerufen am 14. Januar 2020.
  6. WDR 2 Comedy Kinderchor: „Meine Oma ist ne alte Umweltsau“ in HD 720p auf YouTube
  7. Und dann ruft Tom Buhrow in der Sondersendung an. In: Die Welt. 28. Dezember 2019, abgerufen am 14. Januar 2020.
  8. Vitus Studemund: Ausschreitungen auf Kölner Demonstrationen wegen Satirevideo. In: AiXformation – Nachrichten aus Aachen. 4. Januar 2020, ehemals im Original (nicht mehr online verfügbar); abgerufen am 20. April 2020.@1@2Vorlage:Toter Link/aixformation.de (Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven)
  9. WDR entschuldigt sich für Satire mit Kinderchor. Deutschlandfunk, 28. Dezember 2019, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 1. Januar 2020; abgerufen am 14. Januar 2020.
  10. „Umweltsau“-Satire: Chorleiter wehrt sich – „Neonazis“ pöbeln vorm WDR. In: Frankfurter Rundschau. 29. Dezember 2019, abgerufen am 14. Januar 2020.
  11. Streit um „Umweltsau“-Video – Demonstration vor dem WDR in Köln. Deutschlandfunk, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 29. Dezember 2019; abgerufen am 29. Dezember 2019.
    Warum ein Kinderlied über „Oma Umweltsau“ für Aufregung sorgt. Der Standard, 29. Dezember 2019, abgerufen am 30. Dezember 2019.
    Die Empörungsmaschine läuft heiß. Spiegel Online, 30. Dezember 2019, abgerufen am 31. Dezember 2019.
  12. Nach WDR-Satire Hunderte Menschen demonstrieren gegen rechte Kundgebung in Köln. Kölner Stadtanzeiger, 4. Januar 2020, abgerufen am 4. Januar 2020.
  13. Maik Fielitz, Holger Marcks: Digitaler Faschismus. Die sozialen Medien als Motor des Rechtsextremismus. Dudenverlag, Berlin 2020, S. 135.