Fratzscher lieferte Beiträge zur internationalen Makroökonomik, besonders zur monetären Ökonomik und zur Finanzwissenschaft.[5] Seine Forschung untersucht zum Beispiel, wie Notenbanken optimal mit Märkten und Konsumenten kommunizieren sollten[6] und wie sich Finanzkrisen vorhersagen lassen.[7] Außerdem ist er bekannt für seine Forderungen nach einem effizienteren Staatswesen und einer gerechteren Besteuerung.[8] Er setzt sich ein für mehr Chancengleichheit und wirtschaftliche Teilhabe in Deutschland.[9]
Fratzscher ist Empfänger verschiedener wirtschaftswissenschaftlicher Preise, wie des Kiel Institute Excellence Award in Global Economic Affairs (2007).[10] Der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zufolge ist er einer der einflussreichsten Ökonomen Deutschlands[11] und liegt im IDEAS/RePEc-Ranking der Top-10 % der Ökonomen weltweit auf Platz 409.[12]
Marcel Fratzschers Vater war Agrarökonom, seine Mutter war Chemikerin.[13] In seiner Jugend reiste Fratzscher viel, spielte Geige und Tischtennis, wo er es bis in die zweite Bundesliga brachte.[14] Er studierte an der Christian-Albrechts-Universität zu KielÖkonomie und legte hier 1992 sein Vordiplom ab. Im Anschluss führte er sein Studium an der Universität Oxford fort und erhielt dort 1994 mit seiner Arbeit Moral philosophy and political philosophy, intern’l economics den Titel B.A. in Philosophy, Politics, and Economics (PPE). Den Master of Public Policy erlangte Marcel Fratzscher 1996 an der Harvard University, John F. Kennedy School of Government, in Cambridge (USA). Am European University Institute in Florenz erhielt Marcel Fratzscher im Jahr 2002 den akademischen Grad Ph.D. im Bereich Ökonomie. Von 1998 bis 2000 erhielt er für seine Promotion Förderung vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD).
Im April 2001 wechselte Fratzscher zur Europäischen Zentralbank nach Frankfurt am Main, zunächst als Senior Economist and Economist im Direktorat Volkswirtschaft und anschließend als Adviser und Senior Adviser im Direktorat International. Ab 2008 leitete er die 24-köpfige Abteilung International Policy Analysis. Die Hauptaufgabe dieser Abteilung liegt in der Formulierung von Politikpositionen der Europäischen Zentralbank über internationale Themen in den drei Bereichen globale Wirtschafts- und Finanzfragen, länderspezifische und regionale Themen in Asien und Lateinamerika sowie die globale Finanzmarktarchitektur und ihre Institutionen (u. a. Themen über den Internationalen Währungsfonds, G20, G7). Daneben unterrichtete Marcel Fratzscher „International Finance“ im Ph.D.-Programm der Goethe-Universität Frankfurt.
Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung und Professur
Seit Anfang 2013 ist Marcel Fratzscher Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung DIW und hat die „DIW S-Professur“ für Makroökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin inne.[15][16]
Die 2014 von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel eingerichtete Fratzscher-Kommission wurde von dem für seine Nähe zur SPD bekannten Fratzscher geleitet und hatte die Stärkung von Investitionen in Deutschland zum Thema.[17][18]
Forschung
Marcel Fratzschers Forschung konzentriert sich zumeist auf angewandte Fragen der internationalen Makroökonomie, monetären Ökonomie und Finanzwissenschaft. Er forscht insbesondere zu der Frage, wie Notenbanken mit Märkten und Öffentlichkeiten kommunizieren sollten,[6] sowie über die globalen Übertragungsmechanismen der globalen Finanzkrise 2007–2010.[19]
Fratscher legte im Mai 2024 vor der Europawahl u. a. bei einer Veranstaltung in Dresden seine Analyse zur Wirtschaftspolitik der AfD dar. Er erläuterte, dass die Partei in ihrem Europawahlprogramm eine neoliberale, antieuropäische und protektionistische Politik vertritt, die aus seiner Sicht den deutschen Staat schwächen und der deutschen Wirtschaft schaden würde. Die Leidtragenden einer solchen Wirtschaftspolitik wären mehrheitlich Menschen mit schlechten Ausbildungsstand, geringem Einkommen, die in eher strukturschwachen Gegenden leben. Er wies auf das Paradoxon hin, dass die Wählerschaft der AfD sich überproportional aus der Gruppe zusammen setze, auf die das zutreffen würde.[20][21]
Marcel Fratzscher plädiert für eine Änderung der Geldpolitik. Die EZB solle hierzu das Inflationsziel von derzeit 2 % auf 4 % pro Jahr erhöhen. Eine niedrigere Inflationsrate sei unter den gegenwärtigen internationalen Umständen nicht möglich, ohne der Wirtschaft durch zu restriktive geldpolitische Maßnahmen zu schaden.[22] Fratzscher befürwortet auch ein gewisses Maß an „Grüner Inflation“. Die Anpassung relativer Preise sei notwendig, um den Preis für klimaschädliches Verhalten einzupreisen und um Anreize für Innovationen und alternative, ultimativ klimaneutrale Wirtschaftsprozesse zu setzen. Er verweist darauf, dass die durchschnittliche Inflationsrate von 1957 bis 1998 bei 3,1 % gelegen habe, was ja auch niemand als ein Problem empfunden habe.[23]
Die aktuelle Wirtschaftskrise in Deutschland sieht Fratzscher als Chance. Historisch sei es so, dass Volkswirtschaft oft erst durch Krisen widerstandsfähiger und resilienter geworden seien. So habe etwa die Agenda 2010 und Entschlossenheit der Unternehmer und Arbeitnehmer die Wirtschaftskrise der frühen 2000er Jahre beendet. Allerdings habe der Erfolg der 2010er Jahre uns satt gemacht. Viele Unternehmen hätten in dieser Zeit darauf verzichtet, in neue Technologien, Effizienz oder Digitalisierung zu investieren. Auch wenn es derzeit ein gewisses Maß an Deindustrialisierung und „Gesundschrumpfung“ gebe sei die wirtschaftliche Substanz weiterhin gesund. Die größte Gefahr sei jetzt die grüne Transformation zu verlangsamen.[24][25]
Kontroversen
Dem Versuch einer Studie von Fratzscher, die gestiegenen Geflüchtetenzahlen in 2015 wirtschaftlich positiv darzustellen, widersprach der Ökonom Daniel Stelter. Stelter wies darauf hin, dass die Annahmen der Studie an verschiedenen Stellen unrichtig seien. Es fehle eine ökonomisch belastbare Datengrundlage und die Kosten sowie die Dauer für Bildung und Ausbildung würden unterschätzt. Von Geflüchteten werde im Gegensatz zu Einwanderern auch kein Deckungsbeitrag erwartet. Auch aus rein ökonomischer Sicht sei die Studie eine reine Simulationsrechnung mit nicht belastbaren Annahmen zum zukünftigen Investitionsbedarf sowie zu den zukünftigen Kosten und Erträgen.[26]
Der Wirtschaftsjournalist Rainer Hank unterstellte Marcel Fratzscher im Sommer 2017, dass er sich zu einem „lautstarken Claqueur der Sozialdemokraten gemausert“ habe, und kritisierte im Weiteren die hohe mediale Präsenz von Fratzscher.[27]
Im Februar 2024 kritisierte Fratzscher die Bezahlkarte für Asylbewerber, da „die IT-Programmiererin aus Indien oder der Ingenieur aus Brasilien nicht mehr nach Deutschland kommen werden.“ Allerdings wurde dazu kritisch angemerkt, dass diese Fachkräfte nicht als Asylbewerber nach Deutschland kämen und für sie daher die Bezahlkarte nicht relevant sei. Auf Nachfrage beharrte Fratzscher auf seiner Aussage und meinte, dass die Kürzung von Leistungen die Zuwanderung hoch qualifizierter Menschen nach Deutschland unattraktiver machen würde.[28]
Privates
Fratzscher spricht Deutsch, Englisch, Italienisch, Spanisch sowie Indonesisch.[14] Sportlich hat er eine Vorliebe für gelegentliches Bungeespringen entwickelt.[14] Er lebt seit 2013 in Berlin.
Sein Bruder ist Daniel Fratzscher, Geschäftsführer der Euroweb Group.[29]
Auszeichnungen
Beim Handelsblatt-Ökonomen-Ranking 2011, das die Forschungsleistung von ca. 1500 Ökonomen an der Qualität ihrer Publikationen seit 2007 misst, wurde Fratzscher im Jahr 2011 auf dem vierten Platz geführt.[30] Zudem erhielt er den Kiel Institute Excellence Award in Global Economic Affairs in 2007[31] für seine Forschung über globale Finanzmarktverbindungen und Geldpolitik und den CEPR 2007 Prize for the Best Central Bank Research Paper für seine Arbeit über Finanzmarktblasen und globale Ungleichgewichte.
Macroprudential policy and central bank communication (mit B. Born und M. Ehrmann), Juli 2010.
Contagion and the global equity market collapse of the 2007-09 financial crisis (mit G. Bekaert, M. Ehrmann und A. Mehl), Juni 2010.
Asset Prices, News Shocks and the Current Account (mit R. Straub), Juni 2010.
IMF Surveillance and Financial Markets – A Political Economy Analysis (mit J. Reynaud), mimeo, September 2009.
The Global Transmission of the 2007-09 Financial Crisis in a GVAR model (mit A. Chudik), European Economic Review.
Monetary policy in the media (mit H. Berger and M. Ehrmann), Journal of Money, Credit and Banking.
Politics and Monetary Policy (mit M. Ehrmann), Review of Economics and Statistics.
How successful is the G7 in managing exchange rates? Journal of International Economics 79(1): 78–88, September 2009.
Convergence and anchoring of yield curves in the euro area (mit M. Ehrmann, R. Gürkaynak und E. Swanson), Review of Economics and Statistics.
What Explains Global Exchange Rate Movements During the Financial Crisis? Journal of International Money and Finance 28: 1390–1407, Dezember 2009.
Risk sharing, finance and institutions in international portfolios (mit J. Imbs), Journal of Financial Economics 94: 428–447, Dezember 2009.
Stocks, bonds, money markets and exchange rates: Measuring international financial transmission (mit Ehrmann & R. Rigobon), Journal of Applied Econometrics.
Do China and oil exporters influence major currency configurations? (mit A. Mehl), Journal of Comparative Economics 37, 335–358, September 2009.
Central bank communication and monetary policy: A survey of the evidence (mit Alan Blinder, M. Ehrmann, J. de Haan, D.-J. Jansen), Journal of Economic Literature XLVI(4), 910-45, Dezember 2008.
The political economy under monetary union: Has the euro made a difference? (mit L. Stracca), Economic Policy 58 307–348, April 2009.
Marcel Fratzscher: Es liegt nicht am Euro! Viele Deutsche machen den Euro für die Krise verantwortlich, eine neue Partei will ihn gleich abschaffen. Sie alle irren. In: Die Zeit. 9. April 2013 (zeit.de).
Die Deutschland-Illusion: Warum wir unsere Wirtschaft überschätzen und Europa brauchen. Hanser, München 2014, ISBN 978-3-446-44034-0.
Verteilungskampf. Warum Deutschland immer ungleicher wird. Hanser, München 2016, ISBN 978-3-446-44465-2.
Die neue Aufklärung: Wirtschaft und Gesellschaft nach der Corona-Krise, 2020, Berlin Verlag, ISBN 978-3-8270-1432-0.
Geld oder Leben. Wie unser irrationales Verhältnis zum Geld die Gesellschaft spaltet, Berlin Verlag, Berlin 2022, ISBN 978-3-8270-1456-6
Ralph Bollmann, Lisa Nienhaus: Politikberater Fratzscher: Gabriels Geheimwaffe. Marcel Fratzscher ist zum neuen Chefökonomen der Bundesregierung aufgestiegen. Mit Fleiß und einem untrüglichen Gespür für Macht. Seine Ökonomen-Kollegen wird er bald ins Aus gedrängt haben. In: FAZ. 17. September 2014 (faz.net).
↑Marcel Fratzscher: Irrweg des bedingungslosen Grundeinkommens. In: Wirtschaftsdienst. Band97, Nr.7, 1. Juli 2017, ISSN1613-978X, S.521–523, doi:10.1007/s10273-017-2170-x.
↑ abAlan S. Blinder, Michael Ehrmann, Marcel Fratzscher, Jakob De Haan, David-Jan Jansen: Central Bank Communication and Monetary Policy: A Survey of Theory and Evidence. In: Journal of Economic Literature. Band46, Nr.4, Dezember 2008, ISSN0022-0515, S.910–945, doi:10.1257/jel.46.4.910.
↑DIW-Chef Fratzscher: „Corona-Krise ist letzter Sargnagel für den Neoliberalismus“. In: FAZ.NET. ISSN0174-4909 (faz.net [abgerufen am 21. Januar 2023]).
↑Laura Valentukeviciute: Camouflaged Privatization: The Influence of the Fratzscher Commission and PricewaterhouseCoopers on Berlin’s Schools. In: Palgrave Macmillan (Hrsg.): Professional Service Firms and Politics in a Global Era. Springer International Publishing, 2021, ISBN 978-3-03072128-2, S.237–248, doi:10.1007/978-3-030-72128-2_12 (englisch).
↑Alexander Chudik, Marcel Fratzscher: Identifying the global transmission of the 2007–2009 financial crisis in a GVAR model. In: European Economic Review (= Special Issue: Advances in International Macroeconomics: Lessons from the Crisis). Band55, Nr.3, 1. April 2011, ISSN0014-2921, S.325–339, doi:10.1016/j.euroecorev.2010.12.003 (sciencedirect.com [abgerufen am 21. Januar 2023]).
↑Excellence Awards in Global Economic Affairs. Excellence Award 2007. In: ifw-kiel.de. Kiel Institute for the World Economy, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 17. Oktober 2010; abgerufen am 7. Februar 2019.