Der Lykische Bund war ein antikes Koinon der Städte der kleinasiatischen Landschaft Lykien (heute Türkei). Er existierte vermutlich seit dem frühen 2. Jahrhundert v. Chr. bis in die Spätantike hinein.
Geschichte
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Wann der Lykische Bund genau gegründet wurde, ist unklar. Sicher bezeugt ist er aber für das Jahr 167 v. Chr., als Lykien sich gegen die rhodische Regentschaft zur Wehr setzte und daraufhin vom römischen Senat die Freiheit erhielt.[1] Wahrscheinlich ist deshalb, dass die Gründung des lykischen Städtebundes auf die Auseinandersetzungen mit Rhodos zurückzuführen ist.[2]
Was die Folgezeit betrifft, so verfügen wir hierzu über kaum nennenswerte Informationen. Ereignisgeschichtlich in Erscheinung tritt Lykien erst wieder im Rahmen der römischen Bürgerkriege: Von Brutus belagert, fielen diesen u. a. die beiden wichtigsten lykischen Metropolen Xanthos und Patara zum Opfer - nicht, aber, so heben es die Quellenberichte hervor, ohne zuvor massiven Widerstand geleistet zu haben.[3] Gerade dies dürfte die Sonderstellung Lykiens nochmal entscheidend untermauert haben: Lykien blieb bis zur Provinzialisierung durch Kaiser Claudius nicht nur eine "freie Stadt", sondern hatte sogar im Jahre 46 v. Chr. erreicht, einen Foedus mit Rom zu schließen.[4]
Einen entscheidenden Wendepunkt erlebte Lykien dann im Jahre 43 n. Chr.: Nach dem Ausbruch einer stásis, so berichten Sueton und Cassius Dio, habe Rom Lykien zur Provinz gemacht. Während diese Berichte in der älteren Forschung derweil nicht selten als Erfindung der antiken Autoren abgetan wurden, so konnte gerade der Fund des sogenannten Stadiasmus Patarensis den Wahrheitsgehalt dieser Berichte aufzeigen. Höchstwahrscheinlich initiiert durch inneraristokratische Streitigkeiten entbrannten in Lykien so gewaltsame Kämpfe, dass nicht nur römische Bürger diesen zum Opfer fielen, sondern zusätzlich dazu auch die römischen Machteliten sich gezwungen sahen, entsprechend einzugreifen.[5]
Über die römische Provinzzugehörigkeit ab 43 n. Chr. bis in die Spätantike lassen sich Aktivitäten und Existenz des Lykischen Bundes über griechische Inschriften aus Lykien verfolgen. Er spielte ab Mitte des ersten Jahrhunderts n. Chr. eine wichtige Funktion im Kaiserkult und in der Kommunikation zwischen den lykischen Städten und der römischen Provinzadministration sowie bei der Ehrung herausragender Persönlichkeiten wie etwa Opramoas aus Rhodiapolis. Außerdem bewahrte sich der Lykische Bund Privilegien in der Erhebung finanzieller Abgaben an Rom, die durch den Archiphylax organisiert wurden.
Organisation
Über die genaue Anzahl der Bundesstädte waren sich schon die antiken Autoren uneins. So sollen es nach Strabon 23 Mitglieder gewesen sein, Plinius der Ältere spricht hingegen einige Jahrzehnte später von 36 Städten. Bedeutendes Merkmal der Organisation des Lykischen Bundes war das Repräsentativsystem. Seine Organisation überliefert Strabon nach Darstellung Artemidors:[1] Danach entsandten die Städte entsprechend ihrer Bedeutung und Einwohnerzahl ein bis drei Vertreter in die Bundesversammlung und leisteten entsprechend ihre Beiträge zur Bundeskasse. Nach Artemidor waren die sechs größten lykischen Städte Olympos, Myra, Xanthos, Patara, Pinara und Tlos; letztere hebt er in seiner geographischen Lage im Verhältnis zu Kibyra hervor.
In hellenistischer Zeit wechselten sich die Städte Strabon zufolge bei der Ausrichtung der Bundesversammlung ab. Bei dieser Gelegenheit wählten sie den Lykiarchen an ihre Spitze und anschließend weitere Amtsträger des Lykischen Bundes, auch wurden Gerichte (altgriechisch δικαστήριά) eingesetzt. Einige griechische Inschriften aus Lykien nennen als weitere Amtsträger im hellenistischen Lykischen Bund Strategen, Nauarchen und Hipparchen. Diese militärischen Posten wurden spätestens mit der Einrichtung der römischen Provinz Lycia obsolet, der Lykiarch durch den Bundespriester im Kaiserkult ersetzt.
Wahrscheinlich seit dem 1. Jahrhundert v. Chr. besaß auch Limyra drei Stimmen. Kleinere Städte verfügten über nur zwei oder eine Stimme oder schlossen sich als „Gemeindeverbund“ (Sympolitie) unter der Führung eines Ortes zusammen – mit einer gemeinsamen Stimme im Bund. Ein Beispiel hierfür ist die Sympolitie unter Führung von Aperlai, der Isinda, Apollonia und Simena angehörten. Möglicherweise erklärt dies auch die unterschiedlichen Mitgliedszahlen in den Quellen.
In der Kaiserzeit war der Bundespriester des Lykischen Bundes regelmäßig zugleich auch sein oberster Sekretär („Grammateus“). Diese oberste Leitungsfunktion folgte dem Annuitätsprinzip, offizielle Dokumente in Lykien datierten nach dem lykischen Bundespriester. Ab dem 2. Jahrhundert n. Chr. werden diese ehemaligen Amtsträger regelmäßig wieder als Lykiarch bezeichnet. Daneben übernahm der Archiphylax wichtige Aufgaben in der Finanzverwaltung des kaiserzeitlichen Bundes. Ihm waren Hypophylakes zugeordnet, die vermutlich regional zuständig waren.
Als Sitz der wichtigsten lykischen Kultstätte (Letoon) spielte Xanthos im hellenistischen und kaiserzeitlichen Bund Zeit eine herausgehobene Rolle. Durch die Provinzialisierung und die Bedeutung Pataras für die Provinzialverwaltung gewann die benachbarte Hafenstadt, einst Hafen von Xanthos, an Bedeutung. Patara erlebte in den ersten Jahrhunderten n. Chr. eine Blütezeit und war vielleicht – die Zeugnisse sind widersprüchlich – Sitz der römischen Provinzialverwaltung von Lykien und Pamphylien. Das Buleuterion von Patara diente vermutlich in der Kaiserzeit als Versammlungsort des Lykischen Bundes.
Rezeption
Montesquieu hebt in seinem Werk Vom Geist der Gesetze (De l’Esprit des Lois) das proportionale Wahlrecht nach der bei Strabon überlieferten Verfassung des hellenistischen Lykischen Bundes hervor und sieht in ihm ein Modell einer guten föderalen Republik.[6] Als solches spielte er beim Entwurf der amerikanischen Verfassung 1787 eine Rolle.
Literatur
- Frank Kolb, Barbara Kupke: Lykien. Geschichte Lykiens im Altertum (= Antike Welt, Sonderheft; Zaberns Bildbände zur Archäologie Bd. 2). von Zabern, Mainz 1992, ISBN 3-8053-1415-9.
- Martin Zimmermann: Zwischen Polis und Koinon: zum ὑποφύλαξ im lykischen Bund, in: EA 21, 1993, S. 107–120.
- Rudolf Haensch: Capita Provinciarum. Statthaltersitze und Provinzialverwaltung in der römischen Kaiserzeit, Mainz a. Rh. 1997.
- Ralf Behrwald: Der Lykische Bund. Untersuchungen zu Geschichte und Verfassung (= Antiquitas. Reihe 1: Abhandlungen zur alten Geschichte. Bd. 48). Habelt, Bonn 2000, ISBN 3-7749-3035-X (Zugleich: Chemnitz, Techn. Univ., Diss., 1997/98)
- Denis Knoepfler, “Un modèle d’une belle république fédérative”? Montesquieu et le système politique des Lyciens, de la genèse de l’Esprit des Lois aux découvertes épigraphiques les plus récentes en Asie Mineure, in: Journal des Savants 2013, 111–154.
- Babett Edelmann-Singer: Koina und Concilia. Genese, Organisation und sozioökonomische Funktion der Provinziallandtage im römischen Reich, Stuttgart 2015, v. a. S. 101–105.
- Ralf Behrwald, Lykian League. In: Federalism in Greek Antiquity, hgg. v. Hans Beck/Peter Funke, Cambridge 2015, 403–418.
- Rick Pinazza, Die stásis im Lykischen Bund. Folge eines inneraristokratischen Konkurrenzkampfes?, in: HZ 319.2, 2024, S. 241–269.
Einzelnachweise
- ↑ a b Pol. 25,4-6 u. Liv. 41,6,8-12 sowie Pol. 30,5,12 u. Liv. 44,15,1.
- ↑ Martin Zimmermann: Bemerkungen zur rhodischen Vorherrschaft in Lykien (189/88-167 v. Chr.). In: KLIO. Band 75, 1993, S. 110–130.
- ↑ App. civ. 4,76–81; 5,7; Cass. Dio 47,34,1–6; 47,36,4; Plut. Brutus 30–32.
- ↑ Stephen Mitchell: The Treaty between Rome and Lycia of 46 BC (MS 2070). In: Rosario Pintaudi (Hrsg.): Papyri graecae Schøyen. Florenz 2005, S. 167–172.
- ↑ Rick Pinazza: Die stásis im Lykischen Bund. Folge eines inneraristokratischen Konkurrenzkampfes? In: HZ. Band 319, Nr. 2, 2024, S. 241–269.
- ↑ Montesquieu: De l’Esprit des Lois. IX, 3, S. 372.