Dieser Artikel befasst sich mit dem Bruder von Kaisers Napoleon I. Zu dessen gleichnamigem Enkel, Kardinal Lucien Bonaparte (1828–1895), siehe Lucien-Louis-Joseph-Napoleon Bonaparte.
Ab 1800 Botschafter in Spanien, griff er gemeinsam mit Manuel de Godoy (1767–1851), dem Ersten Minister Spaniens, im so genannten Orangenkrieg (spanisch Guerra de las Naranjas) Portugal an. Anstatt das Land zu besetzen, wie es sein Bruder wollte, erpressten Lucien und de Godoy eine hohe Entschädigung für sich selbst und gewährten den milden Frieden von Badajoz. Napoleon war außer sich vor Wut und nannte seinen Bruder einen Schuft und Dieb.
Auf Luciens Anregung wurde die Académie française, deren Mitglied er von 1803 bis 1816 war, 1803 wiedererrichtet.
Nach dem Zerwürfnis mit seinem Bruder Napoleon wegen seiner zweiten Eheschließung zog Lucien sich 1804 auf seine Ländereien in Canino in Italien zurück. Im Palazzo Núñez in Rom, den er 1806 erworben hatte, sammelte er seine Antiken. Die Mutter bemühte sich lange vergeblich, die Brüder wieder zu versöhnen. Als er 1810 nach Amerika auswandern wollte, geriet er in britische Gefangenschaft, die bis zum Jahre 1814 andauerte. Währenddessen residierte er auf dem Landsitz Thorngrove in Worcestershire. Von den Briten freigelassen, wurde er von PapstPius VII. 1814 zum Principe di Canino e Musignano erhoben und somit päpstlicher Titelträger seiner Ländereien. Der Papst, den Napoleon 1809 nach seiner Exkommunikation hatte verhaften und jahrelang in Frankreich internieren lassen, dessen Kirchenstaat er besetzte, hatte gleichwohl stets Fürsprecher in der Familie gefunden, insbesondere die Mutter Laetitia und deren Bruder Kardinal Joseph Fesch.
Trotz seiner Differenzen mit dem Kaiser unterstützte Lucien Napoleon 1815 bei dessen Rückkehr der Hundert Tage. Nach der Schlacht von Waterloo und der endgültigen Abdankung Napoleons wurde Lucien in Turin vom König von Sardinien festgesetzt und nach Intervention Pius’ VII. freigelassen. Im Zuge der Restauration der Bourbonen wurde er 1816 aus Frankreich verbannt und verlor seinen Sitz in der Académie française. Er verbrachte den Rest seines Lebens in Italien. Dort grub er als Hobby-Archäologe römische Kunstwerke aus und interessierte sich für die Etrusker. 1823 wurde er zum Mitglied der American Philosophical Society gewählt.[1]
Als Autor verfasste Lucien Werke in Prosa und in Reimform; so den Roman La Tribu indienne (deutsch Der Indianerstamm) und das Gedicht Charlemagne über Karl den Großen.
Familie und Nachkommen
In erster Ehe war Lucien ab 1794 mit der wohlhabenden Erbin Christine Boyer (1773–1800) verheiratet. 1803 heiratete er Alexandrine de Bleschamp, die unter dem Namen Madame Jouberton bekannte Witwe Hippolyte Joubertons; das Paar hatte zehn gemeinsame Kinder. Diese Ehe mit einer als nicht standesgemäß betrachteten Frau wurde gegen den Willen Napoleons geschlossen und führte zum Zerwürfnis zwischen beiden Brüdern.
Seine Urenkelin Marie Bonaparte war eine Vorkämpferin der Psychoanalyse und Weggefährtin Sigmund Freuds. Es gab noch weitere Nachkommen, die wissenschaftliche Neigungen hatten: Aus der Ehe von Luciens Tochter Letizia mit dem Engländer Thomas Wyse ging Louis Lucien Napoleon Wyse hervor, der die Landenge von Panama erforschte. Luciens Enkel Roland Bonaparte (ein Sohn von Pierre Napoleon Bonaparte) war ein bekannter Anthropologe.